Inside Syrien

"So erlebte ich Assads Hölle"

12.02.2012

Fünf Tage Syrien: Militärs, Kalaschnikows, Geheimdienst und Demonstrationen.

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© ÖSTERREICH/ Daniel
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"Die Kinder schreien. Das Essen geht aus. Überall sind Leichen", sagt Ammar. Er ist ein 25-jähriger Rebell aus Damaskus, der sich nach Homs eingeschlichen hat, um zu helfen. In der Protesthochburg geht die Armee mit gnadenloser Härte gegen bewaffnete Aufständische und unbewaffnete Zivilisten vor. Täglich sterben hier Menschen. 5.500 Menschen seien in Syrien bereits getötet worden, schätzt die UNO. "Und ihr schaut weg", sagt mir Ammar vorwurfsvoll.

Fünf Tage bin ich in Syrien, als eine von wenigen westlichen Journalisten, um hinzuschauen. Sehe Fotos von verletzten und verbrannten Kindern und blanke Panik in den Gesichtern der Menschen. Die Welt ist hilflos: US-Präsident Obama fordert ein "Ende des Mordens" von Syriens Präsident Bashar al-Assad. Europa, die arabische Liga mahnen, bitten und drohen. Vergebens. Russland steht hinter Assad, verhindert jede UNO-Resolution.

Am 15. März 2011 startete der Aufstand gegen Assad - zunächst unbewaffnet. Eine Ärztin aus Deraa - 20 Kilometer von Jordanien entfernt -redet am Telefon kritisch über Syriens Präsident. Sie wird verhaftet. Das Undenkbare passiert: Die Menschen demonstrieren. Assads Regime sperrt Tausende Oppositionelle ein. Die Armee stempelt die Rebellen "als Terroristen" ab und schießt. Die Aufständischen greifen auch zu Waffen. Damals wird auch Aisha, eine 24-jährige Aktivistin, sechs Tage vom gefürchteten Mukhabarat -dem Geheimdienst - verhört, weil "eine Freundin dem Mukhabarat berichtet hatte, dass ich für Demos in Syrien bin". Neun Männer seien im Haus ihrer Eltern erschienen. In Damaskus ist die Angst so allgegenwärtig wie die Männer vom Mukhabarat.

Am vergangenen Freitag gehe ich durch die menschenleeren Straßen von Damaskus: Nur Soldaten mit Kalaschnikows und Geheim dienst-Männer sind überall. Freitag "ist gefährlich. Unter der Woche sind alle auf den Straßen", sagt mir Ali. Er ist "Leutnant der freien syrischen Armee", die gegen Assads Truppen kämpft. Er ist "desertiert, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe: tote Frauen, tote Kinder. Ich habe Schreckliches erlebt."

Regime-Treue bleiben an diesem Freitag zu Hause, weil sie "Angst vor einem Selbstmordanschlag haben". Drei Mal sei das passiert, sagt ein Geschäftsmann.

In Damaskus steht die Mehrheit noch hinter Assad, weil "sie Angst vor Chaos und Islamisten haben", erklärt Aisha. Am Abend werde ich dennoch Zeugin einer Anti-Assad-Demonstration: Zwanzig Männer mit Gesichtsmasken tauchen in einer kleinen Gasse auf.

Nach zehn Minuten rennen sie panisch weg. Der Geheimdienst sei auf dem Weg. Am Samstag ein Anruf aus Syriens Informationsministerium: "Sie sind seit einem Tag hier und haben sich nicht bei uns gemeldet." Später "erklärt" mir ein Regime-Mann: "Wir hatten Sorgen, dass sie entführt oder festgenommen werden."

Am Sonntag führt das Ministerium die Journalisten nach Sednaya, wo ein Kloster beschossen wurde. Die christliche Minderheit halte zu Assad, "weil er uns schützt", sagt zumindest Vater George. Die Gegner Assads sind keine homogene Gruppe: Studenten. Arbeitslose und Islamisten.

Das Regime organisiert eine "Tour" nach Deraa, wo alles begann. Es will Kontrolle signalisieren und verliert sie prompt: "Assad tötet uns alle", sagt mir ein Mann - hinter ihm der Mukhabarat. Auf manchen Dächern stehen Sniper. In der Nacht "toben hier blutige Kämpfe", flüstert eine Frau mir zu. Saudi-Arabien schickt den Rebellen Waffen. Der Iran bewaffnet Assads Schergen.

"Sie töten immer mehr in Homs", klagt Ammar an. "Warum lässt uns die Welt im Stich?", fragt Aisha.

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