Exklusiv
Das große Gusenbauer-Interview
04.11.2006
Nach dem Geheimtreffen beim Bundespräsident rätselt das Land: Wie geht es weiter? Das sagt der SPÖ-Chef im Gespräch mit ÖSTERREICH zur Zukunft der Koalition.
ÖSTERREICH: Herr Gusenbauer, Sie haben im ersten Interview mit ÖSTERREICH gesagt: Bis Weihnachten steht die Regierung. Gilt das noch?
Gusenbauer: Na sicher. Es gilt: Bis Weihnachten ist die Regierungsbildung abgeschlossen. Ich würde sagen: Dieses Land hat sich jetzt einen Monat lang um die Befindlichkeiten der ÖVP gekümmert. Jetzt sollten wir uns alle endlich um die Befindlichkeit dieses Landes und seiner Menschen kümmern. Die Trauerarbeit der ÖVP in allen Ehren – aber nach einem Monat sollte das endlich vorbei sein. Und wir sollten die Regierungsbildung endlich angehen.
ÖSTERREICH: Es bleibt beim Terminplan?
Gusenbauer: Es bleibt dabei: Regierung bis Weihnachten.
ÖSTERREICH: Sie haben nicht den Eindruck, dass die Regierungsbildung in einer ausweglosen Sackgasse ist?
Gusenbauer: Wenn man die täglichen Wortmeldungen der ÖVP verfolgt, hat man natürlich den Eindruck, dort will man alles – nur nicht verhandeln. Jeden Tag wird irgendetwas Neues erfunden, warum man nicht verhandeln kann. Nur – ich glaube: Für eine staatstragende Partei, die doch immerhin noch 34 Prozent der Stimmen hat, ist diese Form der Verantwortungs-Verweigerung nicht akzeptabel.
ÖSTERREICH: Steuern wir auf eine Staatskrise zu?
Gusenbauer: Glaube ich nicht. Regierungsverhandlungen haben auch in der Vergangenheit länger gedauert. Nur in der Vergangenheit hat man sich an einen Tisch gesetzt – diese Form der Verhandlungsverweigerung hat es noch nicht gegeben. Wir müssen anfangen, über die konkrete Regierungsbildung zu reden.
ÖSTERREICH: Warum passiert das nicht?
Gusenbauer: Der Punkt ist: Die ÖVP hat das Wahlergebnis vom 1. Oktober bis heute nicht zur Kenntnis genommen - und will es offenbar auch nicht zur Kenntnis nehmen. Sie glaubt offenbar, sie kann ohne Mehrheit - sie wurde ja mit 38 Prozent sensationell abgewählt - einfach weiterregieren. Ich bin mir sicher: Das ist ein Zustand, den werden der Herr Bundespräsident und die Bevölkerung nicht mehr sehr lange zur Kenntnis nehmen. Ich treffe überall Leute, die sagen: Jetzt reichts. Wir haben vor 40 Tagen gewählt, wir wollen eine Regierung.
ÖSTERREICH: Sie haben Schüssel im Wohnzimmer des Bundespräsidenten getroffen. Das Treffen war ein Flop?
Gusenbauer: Naja. Es war zumindest ein Gespräch in guter Atmosphäre, wo man die Lage analysiert hat. So wie sich die ÖVP derzeit verhält - wie beim Beamten-Mikado - ist es schon höchst positiv, wenn ein Gespräch zustande kommt. Denn sonst findet ja derzeit nur Gesprächsverweigerung statt.
ÖSTERREICH: Gibt es als Resultat des Gesprächs einen Termin, an dem die Verhandlungen aufgenommen werden?
Gusenbauer: Die Haltung der ÖVP scheint ja die zu sein, dass sie bis zum Ende der Untersuchungsausschüsse im Parlament keine Verhandlungen führen will. Das ist natürlich inakzeptabel.
ÖSTERREICH: Wurde beim Bundespräsidenten ein Vier-Augen-Gespräch vereinbart?
Gusenbauer: Wir haben einstweilen noch nichts vereinbart. Es findet am Montag das Parteipräsidium der SPÖ statt. Wir werden dort noch einmal unsere Verhandlungsbereitschaft konkretisieren. Ich werde gleich nach der Präsidiumssitzung Schüssel anrufen und ihn darüber informieren - und ich werde ihm anbieten, dass wir uns zusammensetzen. Ich bin gerne dazu bereit. Es wäre höchste Zeit, dass wieder verhandelt wird. Wir sind startklar - alle unsere Konzepte liegen bereit.
ÖSTERREICH: Voraussetzung, dass weiter verhandelt wird, ist wohl, dass es einen Kompromiss rund um den Eurofighter-Ausschuss gibt.
Gusenbauer: Josef Cap hat heute einen Kompromiss vorgelegt, hinter dem ich voll stehe - und der lautet: Handeln wir diesen U-Ausschuss, der gut und wichtig ist, damit man weiß, ob es Ausstiegs-szenarien aus dem Eurofighter-Vertrag gibt, rasch ab. Und wenn sich ÖVP und SPÖ auf den Ausstieg oder das Ergebnis des Ausschusses nicht einigen können, dann legen wir alle Karten auf den Tisch und unterziehen wir dieses Thema einer Volksabstimmung. Das ist der beste Weg, wie man aus diesem verfahrenen Thema herauskommen kann: Lassen wir das Volk entscheiden!
ÖSTERREICH: Der U-Ausschuss soll schnell erledigt sein?
Gusenbauer: Er darf nicht zur Farce werden. Er muss gründlich, ordentlich und seriös arbeiten. Aber ich glaube, der U-Ausschuss kann in ein paar Monaten erledigt sein. Es hat noch nie in Österreich einen U-Ausschuss gegeben, der kürzer als sechs Monate gedauert hat. Ich kann mir vorstellen, dass man den Eurofighter-Ausschuss in drei Monaten schafft, schneller geht’s ganz sicher nicht, das wäre ohnehin Weltrekord. Dann alle Karten auf den Tisch und Volksabstimmung.
ÖSTERREICH: Dass man den U-Ausschuss aussetzt...
Gusenbauer: ...kommt nicht in Frage. Der Ausschuss ist eingesetzt und nicht aussetzbar. Aber er soll seriös werden und auf keinen Fall ein Tribunal wie früher bei der ÖVP. Mein Vorschlag: Ziehen wir die angesehensten Rechtsexperten dieses Landes für die Arbeit heran, holen wir die hochkarätigsten Sachverständigen für den Ausschuss.
ÖSTERREICH: Denken Sie eigentlich über eine Minderheitsregierung nach, wenn sich die ÖVP verweigert?
Gusenbauer: Ich denke nicht eine Sekunde an eine Minderheitsregierung. Ich habe den klaren Auftrag vom Herrn Bundespräsidenten, eine stabile Regierung zu bilden. Und klar ist, dass es in den wesentlichen Fragen inhaltlichen Konsens gibt. Nehmen Sie die Bildungspolitik - was da passiert ist, ist sensationell: Da gibt es einen nationalen Konsens von der Industriellenvereinigung bis zur SPÖ mit Einigung in allen Fragen. Ich bin der Meinung: Man kann das Bildungsthema in den Koalitionsverhandlungen mittlerweile in einem Tag erledigen, weil es Konsens gibt. Man kann sich beim wichtigen Thema Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in einem Tag einigen, weil es auf der Basis der Wifo-Studie Konsens gibt. Wenn man will, kann man die ganzen Regierungsverhandlungen in zwei Wochen absolvieren.
ÖSTERREICH: Sie meinen, die Parteien sind sich inhaltlich näher als man glaubt?
Gusenbauer: Ich glaube, das einzig Trennende ist, dass sich die ÖVP nicht vom Bundeskanzlersessel verabschieden will. Inhaltlich sind wir in zwei Wochen fertig - bis Weihnachten sind es noch sieben Wochen. Also: Bis Weihnachten sollte die Regierung stehen...