Lesen Sie hier das große ÖSTERREICH-Interview mit dem Bundeskanzler.
ÖSTERREICH: Sie sind jetzt ein Jahr im Amt. Ist es der Job, von dem Sie seit Ihrer Jugend geträumt haben?
Alfred Gusenbauer: Ich mache das gerne, weil ich letztendlich in der Position bin, wo ich für die Österreicherinnen und Österreicher etwas bewegen kann. Das ist bisher bei allen Schwierigkeiten auch gelungen.
ÖSTERREICH: Wo sehen Sie Ihre Erfolge?
Gusenbauer: Am wichtigsten ist, dass wir die Arbeitslosigkeit reduzieren konnten, auch wenn uns da die gute Konjunktur geholfen hat. Zweitens war mir wichtig, dass Österreich nach Jahren des Neoliberalismus wieder sozialer wird. Das ist in vielen Punkten gelungen. Wir haben in zwei Etappen die Mindestpensionen um mehr als acht Prozent erhöht, während in anderen Teilen Europas nicht einmal die Teuerungsrate abgedeckt wird. Wir haben in Österreich einen Mindestlohn von 1.000 Euro eingeführt. Wir haben höhere Stipendien und wir haben die Hacklerregelung bis zum Jahr 2010 verlängert.
ÖSTERREICH: Und auf der negativen Seite. Wer hat Ihnen in diesem Jahr mehr Nerven gekostet? Die Opposition oder der Koalitionspartner?
Gusenbauer: Meine Nerven sind absolut intakt. Ich arbeite mit großem Elan, weil die Menschen erwarten, dass die Regierung für sie arbeitet. Dabei lasse ich mich von kleinen Scharmützeln nicht aufhalten.
ÖSTERREICH: Sie haben ja die Scharmützel auch in der eigenen Partei. Bei der Pflegeamnestie waren einige Landeschefs nicht auf Linie.
Gusenbauer: Nein. Es gibt hier eine völlig klare, einheitliche Meinung der SPÖ: Wir haben ein gutes Gesetz, nicht umsonst hat es die Regierung beschlossen und alle neun Landeshauptleute haben es paraphiert. Das Gesetz gilt, wir sind uns aber darüber im Klaren, dass es – wie auch sonst bei der Einführung von Gesetzen – nicht ab dem ersten Tag eine „Aktion scharf“ gibt. Das ist gemeinsame Meinung von Gabi Burgstaller über Michael Häupl bis zu Erwin Buchinger und zu mir.
ÖSTERREICH: Das hat aber bei der SPÖ-Klausur zuletzt anders geklungen.
Gusenbauer: Wenn man versucht, Dinge bewusst anders darzustellen, dann wird das immer gelingen.
ÖSTERREICH: Zum Koalitionspartner. Ist angesichts der Streitereien eine vertrauensvolle Arbeit überhaupt möglich?
Gusenbauer: Die ÖVP ist seit der letzten Wahl fast beinahe so stark wie die SPÖ. Es gibt zu einzelnen Fragen unterschiedliche Meinungen, die auf Basis des Regierungsprogramms in aller Vernunft ausdiskutiert werden sollten. Würden sich alle in der Regierung ein Beispiel an mir nehmen, der ich im gesamten letzten Jahr niemanden persönlich angegriffen oder attackiert habe, dann würde die Arbeit reibungsloser funktionieren.
ÖSTERREICH: Was sind Ihre wichtigsten Ziele für das Regierungsjahr Nummer 2?
Gusenbauer: Wir wollen den Umbau in Richtung „neues soziales Österreich“ fortsetzen. Dazu zählen die Mindestsicherung und die Lösung der offenen Pflegefragen jenseits der 24-Stunden-Betreuung. Dazu gehört die Reform des Gesundheitssystems und dazu gehören neuen Maßnahmen, dass wieder mehr junge Menschen Ja zu Kindern sagen können. Der zweite große Arbeitsbereich ist der Arbeitsmarkt. Wir wollen die Arbeitslosigkeit unter vier Prozent bringen und wir werden heuer auch die Ausbildungsgarantie für alle unter 18-Jährigen umsetzen. Der dritte große Bereich wird die Integration sein, damit Menschen, die bereits in Österreich sind, ihren Rechten und Pflichten besser nachkommen können.
ÖSTERREICH: Was planen Sie konkret bei der Integration?
Gusenbauer: Der nächste Schritt muss sein, dass nach den Kindern auch erwachsene Migranten zu besseren Deutschkenntnissen kommen können.
ÖSTERREICH: Apropos Integration: Ist die Causa Arigona Zogaj abgeschlossen oder erwarten Sie noch eine Änderung beim Standpunkt von Innenminister Günther Platter? Sie haben früher ein Bleiberecht für das Mädchen gefordert.
Gusenbauer: Ich gehe davon aus, dass sich der Innenminister das noch einmal anschauen wird. Immerhin gibt es ja verschiedene Initiativen wie die meines Freundes Alfons Haider, der die Patenschaft für die Ausbildungszeit übernehmen und die materielle Versorgung sicherstellen würde.
ÖSTERREICH: Das heißt, Arigona soll über den Sommer, in dem sie die Schule abschließt, hinaus bleiben?
Gusenbauer: Ich gehe davon aus, dass der Innenminister diese neuen Argumente berücksichtigen wird.
ÖSTERREICH: Verfahren ist auch die Frage der Krankenkassen-Sanierung. Was macht Hoffnung für eine Lösung?
Gusenbauer: Die Hoffnung kommt daher, dass sich der Finanzminister und ich persönlich der Sache angenommen haben. Außerdem werden sich langsam alle bewusst, dass es mit kosmetischen Maßnahmen vorbei sein muss. Nur neues Geld zufließen zu lassen, löst die Probleme nicht.
ÖSTERREICh: Werden Sie sich auch des Nichtraucherschutzes annehmen? Zuständig wäre ja dieselbe Ministerin wie bei den Kassen, nämlich Andrea Kdolsky.
Gusenbauer: Ich kann nicht alles zur Chefsache machen. Aber für uns hat der Nichtraucherschutz absoluten Vorrang. Im Koalitionsabkommen ist dazu vereinbart, dass es grundsätzlich ein Rauchverbot geben soll. Und nur dort, wo es einen zweiten Raum gibt, kann es ein Raucherzimmer geben.
ÖSTERREICH: Ein Schwerpunkt 2008 wird auch die Steuerreform. Wie hoch soll die Entlastung sein?
Gusenbauer: Die Entlastung soll rund drei Milliarden Euro ausmachen.
ÖSTERREICH: Wo erwarten Sie dabei die heftigsten Diskussionen? Viele SPÖ-Forderungen wie eine höhere Negativsteuer für Niedrigverdiener lösen beim Koalitionspartner ÖVP nicht gerade Begeisterung aus.
Gusenbauer: Die Frage ist nicht, was ÖVP-tauglich ist, sondern was menschentauglich ist. Es gibt eine große Erwartung an diese Steuerreform. Und nachdem die Menschen in den letzten Jahren viel an Steuern bezahlt haben, haben sie ein Recht auf eine sozial gerechte Entlastung, wo vor allem der Mittelstand und die unteren Einkommensbezieher profitieren.
ÖSTERREICH: Was heißt für Sie Mittelstand?
Gusenbauer: Das sind die Einkommen bis zu 4.000 Euro brutto. Das muss die Hauptzielgruppe sein.
ÖSTERREICH: Was erhoffen Sie sich von der EURO, die das heurige Jahr auch stark prägen wird?
Gusenbauer: Das wird ein tolles Fußballfest. Österreich steht in der internationalen Auslage wie noch niemals zuvor, es werden 7.000 Journalisten in unserem Land sein und viele Milliarden Menschen werden die EURO im Fernsehen verfolgen. Das ist eine Jahrhundertchance, uns als leistungsfähiges, sicheres Land und als Urlaubsziel Nummer 1 zu präsentieren.
ÖSTERREICH: Viele Fans werden keine Karten für die Spiele bekommen. Sie verfügen über ein Kartenkontingent. Wissen Sie schon, wen Sie da einladen?
Gusenbauer: Nein. Das hängt in erster Linie von staatspolitischen Notwendigkeiten ab.
ÖSTERREICH: Sind schon viele Begehrlichkeiten an Sie herangetragen worden, die Sie abwehren müssen?
Gusenbauer: Ich habe allen, die sich privat bezüglich Karten an mich gewendet haben, mitgeteilt, dass es nur für Staatsgäste Karten geben wird.