Türkis-blaues Regierungsabkommen umfasst satte 183 Seiten
ÖVP und FPÖ haben am Samstag ihr gemeinsames Regierungsprogramm für die Jahre 2017 bis 2022 präsentiert. Das 183-seitige Papier mit dem Titel "Zusammen. Für unser Österreich." enthält mit Steuerentlastungen, Bürokratieabbau und Verschärfungen für Migranten eine ganze Reihe von Maßnahmen, die die Anhänger von Schwarz-Türkis-Blau freuen werden. Für die Gegner von ÖVP und FPÖ gibt es einige Knüller.
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Belohnung für die Fleißigen
In der Präambel zum Regierungsprogramm geben ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache die politische Stoßrichtung der Regierungsarbeit vor: "Mit unserer Politik fördern wir unternehmerische Initiative, belohnen die Fleißigen und sichern einen sozialen Ausgleich unter allen Gesellschaftsschichten. Wir setzen uns als Ziel, die Steuer- und Abgabenlast nachhaltig zu senken und mittelfristig keine neuen Schulden mehr zu machen. Wir schützen unseren Sozialstaat vor Missbrauch und werden die illegale Migration nach Österreich stoppen."
Der Stil der Zusammenarbeit soll ganz neu sein. "Wir müssen wegkommen vom falschen Stil des Streits und der Uneinigkeit und einen neuen Stil des positiven Miteinanders leben", so Kurz und Strache. ÖVP und FPÖ werden einen gemeinsamen Regierungssprecher installieren und sich in der Regierung ein einheitliches Erscheinungsbild geben. Inhaltlich kreist das Regierungsprogramm um die Themen Bürokratieabbau, Steuerentlastungen, Gerechtigkeit, Sozialmissbrauch, Migration, Sicherheit, EU-Politik, Digitalisierung, Umwelt und Bildung.
Direkte Demokratie
In Sachen direkter Demokratie haben sich ÖVP und FPÖ auf die Weiterentwicklung von Volksbegehren geeinigt, das Regierungsprogramm liest sich aber im Vergleich zu den Wahlprogrammen so, als hätten beide Parteien Angst vor der eigenen Courage bekommen. In einem ersten Schritt sollen künftig 100.000 Wahlberechtigte echte Gesetzesinitiativen starten können, der Ausbau von Volksabstimmungen wird vorerst vertagt. Erst gegen Ende der Gesetzgebungsperiode soll es die Möglichkeit zu Referenden auf Initiative der Bürger geben. Die Hürde dafür liegt nun deutlich höher, als von ÖVP und FPÖ bisher vorgeschlagen. Erst wenn 900.000 Wahlberechtigte ein Volksbegehren unterzeichnen, soll es eine bindende Volksabstimmung geben.
Die Regierung hat sich auch eine umfassende Reform der Sozialversicherungen vorgenommen. Vorgesehen ist eine Reduktion auf "maximal fünf Träger". Die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern bleibt wie erwartet. Die Kammern werden im Regierungsprogramm lediglich dazu eingeladen, ihre Mitgliedsbeiträge zu senken. Sollte dies nicht geschehen, behält sich die Regierung eine gesetzliche Änderung vor.
Im Kapitel Arbeit sticht vor allem die Neugestaltung des Arbeitslosengeldes hervor. Dieses soll degressiv gestaltet werden. Je länger man es bezieht, umso niedriger wird es. Die Notstandshilfe soll in diesem neuen Arbeitslosengeld aufgehen und abgeschafft werden. Für Ausländer wird geprüft, dass diese nach Ausschöpfung des Arbeitslosengeldanspruchs in Österreich in die sozialrechtliche Zuständigkeit des Herkunftslandes fallen sollen. "Geprüft" werden sollen Beschäftigungsbonus und Aktion 20.000, beides bisherige Prestigeprojekte der SPÖ. In einem separaten Papier mit dem Titel "Einsparungen im System" wird bereits sehr konkret die Abschaffung des Beschäftigungsbonus und das "Einfrieren" der Aktion 20.000 auf 5.000 angekündigt.
Zuwanderung
Die Sozialpolitik verknüpft die Regierung eng mit Zuwanderungsfragen: "Die eigenen Staatsbürger" stehen im Vordergrund. Die Mindestsicherung sei "ein wichtiges Instrument, um Armut zu vermeiden", wird betont, wobei österreichweit eine Deckelung auf 1.500 Euro geplant ist. Das Pflegegeld ab Stufe vier wird erhöht. Beim Verein für Konsumenteninformation übernimmt die Regierung das Ruder.
Das Kapitel Inneres und Justiz umfasst zahlreiche Verschärfungen im Asylrecht, ein Sicherheitspaket aber auch die Möglichkeit zur Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler mit deutscher und ladinischer Muttersprache. Vorgesehen ist auch eine sicherheitspolizeiliche Befugnis zur unverzüglichen Schließung von Kultusstätten wegen Terrorismuspropaganda. Für sogenannte Gefährder soll es Gebiets- und Reisebeschränkungen geben sowie die Möglichkeit zur Einschränkung elektronischer Kommunikationsmittel. Die Polizei bekommt mehr Personal, bis 2019 zusätzlich 2.100 Planstellen. Bei Gewalt- und Sexualdelikten sind künftig härtere Strafen geplant.
Steuern
Die Steuer- und Abgabenquote wollen ÖVP und FPÖ in Richtung 40 Prozent senken. Der Pfad dort hin: ein "Familienbonus Plus" von bis zu 1.500 Euro pro Kind und Jahr, eine Tarifreform bei der Lohn- und Einkommensteuer, die Reduktion der Arbeitslosenversicherungsbeiträge für niedrige Einkommen, die Senkung der Umsatzsteuer auf Übernachtungen von 13 auf 10 Prozent sowie eine faire Besteuerung internationaler Internet-Konzerne durch die Einführung der "Digitalen Betriebsstätte" auf europäischer Ebene.
Im Bereich "Wirtschaftsstandort und Entbürokratisierung" hat sich die neue Bundesregierung eine umfangreiche Liste an Maßnahmen vorgenommen. Ziel ist ein entbürokratisierter, effizienter und starker Wirtschaftsstandort Österreich. Geplant ist etwa der Ausbau flexibler Arbeitszeitmodelle. Das Wohnrecht soll modernisiert, das Wohnungsangebot erhöht werden und Wohnraum wieder vermehrt im Eigentum übernommen werden können. Sozialer Wohnbau soll jenen zugutekommen, die ihn wirklich brauchen. Das Mietrecht soll vereinfacht werden.
Erwartbares, aber durchaus auch Überraschungen hält das Familien-Kapitel bereit: Das noch junge Kindergeld-Konto soll gleich wieder evaluiert und der Kündigungsschutz ausgedehnt werden. Kommen soll die Familienbeihilfe-Kürzung für Kinder, die im EU-Ausland leben. Geldleistungen sollen außerdem an bestimmte Bedingungen wie Deutsch-Kurse gekoppelt werden. Für Alleinerziehende will man die Unterhaltshöchstgrenzen evaluieren.
Pensionisten sollen künftig nach 40 Beitragsjahren 1.200 Euro Mindestpension erhalten. Für Grundwehrdiener soll es ebenfalls mehr Geld geben. Während das absolute Rauchverbot in der Gastronomie gekippt werden soll, wird Rauchen für Jugendliche unter 18 Jahren verboten bzw. erschwert.
Im Bildungsbereich setzt die neue Regierung auf die Einführung einer an bestimmte Kompetenzen geknüpften Bildungspflicht statt der bisher neunjährigen Schulpflicht, neue Leistungsüberprüfungen sowie den Erwerb von Deutschkenntnissen vor dem Eintritt in den Regelunterricht. Außerdem soll geprüft werden, inwieweit Sozialleistungen an die Einhaltung schulgesetzlicher Verpflichtungen gebunden werden.
Im Kunst- und Kulturbereich ist die "Neuaufstellung der Bundestheaterholding" sowie die Evaluierung aller Förderungen über 100.000 Euro geplant. Im Medienbereich kommt eine Reform des ORF. Im Regierungsprogramm ist von einer "Verschärfung der Transparenzbestimmungen zur Sicherung einer objektiven und unabhängigen Berichterstattung" die Rede. Im Printbereich werden die Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt der "Wiener Zeitung" gestrichen.
Im Vorwort zum Regierungsprogramm betonten der künftige Bundeskanzler Kurz und sein Vizekanzler einmal mehr die Notwendigkeit von Veränderungen: "Veränderung darf jedoch nicht zum Selbstzweck werden. Veränderung muss auf einem soliden Fundament dort Entwicklungen vorantreiben, wo die Politik in den letzten Jahren zu schwach war, um zu handeln. Dieses Fundament setzt sich zusammen aus der österreichischen Verfassung, der immerwährenden Neutralität, den Grundprinzipien der Europäischen Union, aber auch den Grund- und Menschenrechten, den bürgerlichen Freiheiten sowie den Rechten von Minderheiten. Auf diesem Fundament wollen wir die Zukunft unseres Heimatlandes, aber auch des gesamten Kontinentes mitgestalten und die richtigen Rahmenbedingungen schaffen."