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Der Kanzler sagt die Neuwahl ab

05.03.2017

Der Kanzler im ersten großen Interview nach dem Regierungskrach und Neustart.

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ÖSTERREICH: Sie haben bei einer SPD-Veranstaltung in Bayern diese Woche gesagt, rechtsnationale Parteien, wie die FPÖ, „starten im ­Tigerkostüm und enden als Bettvorleger“. Ganz schön frech …

KERN: … aber richtig. Das sind Parteien der großen Sprüche – aber wenn’s um die Realisierung geht, sind sie eine Wolke. Das haben sie ja bei Nigel Farage in London gesehen: Zuerst hetzt er alle für den Brexit auf, und dann kneift er.

ÖSTERREICH: Sie haben aber wohl die FPÖ gemeint …

KERN: Auch die FPÖ verspricht Milch und Honig, aber wenn es ans Liefern geht, hinterlässt sie einen Scherbenhaufen – siehe Kärnten. Meine Kritik an der FPÖ ist ja nicht, dass ihre Wähler rechtsex­trem sind – das ist der Großteil ­sicher nicht –, sondern dass sie keine politischen Konzepte hat, die in der Realität funktionieren.

ÖSTERREICH: Das klingt ja schon so, als würden Sie sich auf den Wahlkampf mit Strache richtig freuen.

KERN: Aber Herr Fellner, wer sich auf einen Wahlkampf freut, der muss schon ein Masochist sein. Aber ich weiß, ich bin ein Polit-Newcomer und bald kommt der Tag der Wahrheit – und darauf ­bereite ich mich in Ruhe vor.

ÖSTERREICH: Sie waren ja ganz nah am Tag der Wahrheit dran, als Sie der ÖVP plötzlich das Ultimatum für das neue Regierungsprogramm gestellt haben. Wie knapp waren wir wirklich an der Neuwahl?

KERN: Sie waren ja einer von denen, die geschrieben haben, das Timing wäre super für die SPÖ, ich soll in Neuwahlen gehen – aber in so einer Situation entscheidest du als Kanzler nicht, was gut ist für die SPÖ, sondern was gut ist für das Land. Und gut für das Land ist, wenn die Legislaturperiode erst im Herbst 2018 endet und nicht früher. Das ist das Ziel: Wahl erst im Herbst 2018. Ich hielte es für ­einen großen Fehler, wenn wir früher wählen.

ÖSTERREICH: Und wozu dann das ganze Theater mit dem absurden Ultimatum?

KERN: Ich finde, wir haben in Wahrheit 2016 eine gute Arbeit gemacht. Ganztagsschule, Investitionspakete, Steuersenkung. Aber das ist nicht rübergekommen wegen der dauernden Streitereien. Und mir ging das alles viel zu langsam. Deshalb habe ich den „Plan A“ gemacht – bewusst nicht als SPÖ-Programm, sondern als Regierungsagenda für zehn Jahre Österreich. Und das will ich jetzt schnell und vor allem gemeinsam umsetzen. Und wenn dann dauernd gestritten und gebremst wird, dann kommt der Punkt, da musst du als Kanzler auf den Tisch hauen und sagen: So machen wir das – oder aus.

ÖSTERREICH: Sie wollten bewusst auf den Tisch hauen?

KERN: Richtig, ich wollte auf den Tisch hauen. Und Sie sehen: Das Ergebnis recht­fertigt den vielleicht etwas heftigen Auftritt. Wir starten jetzt genau die Jobinitiative, die ich immer wollte: 20.000 Jobs für Menschen über 50, dazu ein Bonus für alle Unternehmen, die künftig österreichischen Arbeitslosen statt EU-Ausländern den offenen Job geben – die ersparen sich 50 % der Lohnnebenkosten, das wird gewaltig und da geht’s letztlich um 200.000 Jobs, die derzeit von Ausländern besetzt werden.

ÖSTERREICH: Sie wollen – in der Kreisky-Tradition – ein Job-Kanzler werden?

KERN: Das ist eine schöne journalistische Formulierung. Aber: Die Wirtschaft springt an, die Konjunktur kommt wieder, die Steuersenkung beginnt zu wirken – wir haben Rückenwind, und den müssen wir jetzt zur Job-Offen­sive nützen. Bill Clinton hat einmal gesagt: Wahlen gewinnst du nur, wenn du die Wirtschaft und die Jobs in Schwung bringst. Und er hat auch gesagt: Wir sind für die Menschen da, die früh auf­stehen, hart arbeiten und sich an die Regeln halten. – Genau das ist mein Credo.

ÖSTERREICH: Und neben der Job-Offensive …

KERN: … kommt eine Kindergartenoffensive, mit einem kostenlosen zweiten Kindergartenjahr für alle. Dann eine Ganztagsschuloffensive, mit mindestens einer Ganztagsschule in jeder Bezirkshauptstadt – das wird eine Riesenentlastung für alle Frauen. Und das Wichtigste wird die Di­gitaloffensive: ab 2019 ein Gratis-Tablet für jedes Kind, beginnend mit je einem Jahrgang. Unser ganzes Bildungssystem und auch die Unis sollen digital werden. Ich will, dass wir uns an die Spitze der Digitalisierung stellen. Wir sollen bei den neuen Technologien in Europa die Besten werden.

ÖSTERREICH: Entschuldigung, aber da ernten Sie bei mir und den meisten Digital-Experten einen Lachkrampf. Diese Regierung ist seit fünf Jahren nicht in der Lage, die versprochene Breitbandoffensive zu starten. Bevor Sie in der Digitalisierung Erster sind, ist das Silicon Valley am Mond.

KERN: Das tut mir weh, wenn Sie das so negativ sehen – weil es so nicht ist. Wir sind schon jetzt im Breitband etwa viel besser als Bayern, die Breitbandoffensive läuft. Und ich sage: Wir werden das Tempo jetzt verdoppeln – verdoppeln! Wir sind bei der Finanzierung der Start-ups super, werden auch das verdoppeln.

ÖSTERREICH: Wie wichtig ist Ihnen denn die harte Linie gegen Flüchtlinge? Ihr Fremdenpaket liest sich ja so, als hätte es HC Strache erfunden.

KERN: Also bitte – das ist ganz und gar kein rechtes Paket. Das ist nur konsequent. Die Zahl der Flüchtlinge muss deutlich reduziert werden, damit unsere Integrationsoffensive Erfolg haben kann.

ÖSTERREICH: Und deshalb streichen Sie jetzt jedem abgewiesenen Asylwerber ab dem ersten Tag die Grundversorgung, damit er in den Untergrund wandert?

KERN: Das ist ein sensibles Thema und wird noch verhandelt werden. Das wird ein stufenweiser Prozess. Zuerst wird es Incentives für die Ausreise geben, dann viel konsequentere Abschiebungen. Aber klar ist: Der Druck auf die Illegalen muss erhöht werden. Wir brauchen viel konsequentere Rückführung – keine Illegalen mehr im Land.

ÖSTERREICH: Wir haben Sonntag das Begräbnis von Sabine Oberhauser. Werden wir kommende Woche eine größere Regierungsumbildung erleben?

KERN: Sabine Oberhauser muss nachbesetzt werden – leider. Ich wäre so glücklich, wenn sie noch bei uns wäre, sie war so ein goldener, so ein herrlicher Mensch. Also sie wird nachbesetzt, da beginne ich aber aus Respekt erst am Montag, darüber nachzudenken. Sonst wird es eher keine Regierungsumbildung geben – ich bin mit dem Team sehr zufrieden, alle haben mein Vertrauen. So bleibt’s.

ÖSTERREICH: Und zum Abschluss noch einmal die Frage: Wann wählen wir jetzt wirklich?

KERN: Also: Die Diskussion über Neuwahlen ist vorbei. Wir haben jetzt ein neues Regierungsprogramm, beide Seiten nehmen das neue Programm und den Koalitionsvertrag ernst. Die Legislaturperiode endet im Herbst 2018. Und damit basta.

ÖSTERREICH: Es gibt aber viele, wie Außenminister Kurz, die sagen, weil Österreich im Herbst 2018 den EU-Vorsitz hat, muss man spätestens im Frühjahr 2018 wählen. EU-Vorsitz und Neuwahl gleichzeitig – das geht gar nicht.

KERN: Dazu ein klares Wort: Die Arbeit in der EU wird mittlerweile vom Ratspräsidenten und seinem Team gemacht. Die Belastung für Österreich wird also diesmal nicht dramatisch groß werden. Das kann also kein Grund sein, vorzeitig Wahlen vom Zaun zu brechen. Mein Ziel ist: Wahlen erst im Herbst 2018. Wie vorgesehen.

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