Regierungserklärung
Die Ansagen des Kanzlers
15.01.2007
Zum ersten Mal seit knapp zehn Jahren gab wieder ein SPÖ-Chef die Regierungserklärung ab. Diskutiert wurde den ganzen Tag.
Ein wenig Triumph schwingt mit: Der neue Regierungschef Alfred Gusenbauer (SPÖ) hat heute im Sitzungssaal des Nationalrats erstmals oben auf der Regierungsbank Platz genommen. Ex-VP-Kanzler Wolfgang Schüssel muss bei den Abgeordneten sitzen. Der neue Kanzler ist vorerst am Ziel.
Kritiker versucht er, in seiner Regierungserklärung - der ersten eines SP-Chefs seit zehn Jahren - zu besänftigen. Gusenbauer kündigte zur Entschärfung der Studiengebühr-Diskussion sogar an, selbst für wöchentliche Nachhilfe an einer Schule zur Verfügung stehen.
16-stündige Sitzung
Die Nationalratssitzung zum
Regierungsprogramm dauerte - samt eingeschobener dreistündiger Dringlicher
des BZÖ - mehr als 16 Stunden. Zur Regierungserklärung Alfred Gusenbauers
(S) gab es, samt Ministern, 107 Wortmeldungen.
Antrag zum Programm
SPÖ und ÖVP haben das Regierungsprogramm der
wiederbelebten großen Koalition in der Regierungserklärungs-Sitzung des
Nationalrates am Dienstag in einer Entschließung begrüßt. Die Regierung wird
darin um zeitgerechte Vorlage der Vorhaben ersucht. Die Opposition stimmte
dem SP-VP-Antrag natürlich nicht zu. Die Grünen kritisierten ihn als "Unsitte",
verlange man damit doch von allen Abgeordneten, noch ohne jede Verhandlung
allen Details des rot-schwarzen Koalitionsübereinkommens zuzustimmen.
Für die Parlamentsdirektion bedeutete der Antrag noch viel Arbeit in den späten Abendstunden. Denn bei der Einbringung um 21.30 Uhr waren die dortigen Mitarbeiter noch "intensiv mit der Vervielfältigung" des Antrages für alle Abgeordneten beschäftigt, wie Nationalratspräsidentin Barbara Prammer berichtete. Beigefügt war ihm nämlich auch das rund 170 Seiten starke Regierungsprogramm.
Knackpunkt Studiengebühren
Gusenbauer hat am Dienstag in
seiner ersten Regierungserklärung vor dem Nationalrat den Konflikt um die
Studiengebühren und deren Erlass nur bei der Leistung sozialer Dienste zu
entschärfen versucht. Der SPÖ-Chef äußerte Verständnis für jene, die sich
weitergehende Schritte erhofft hätten. Er kündigte seine Bereitschaft an,
selbst einmal pro Woche in einer Wiener Schule Nachhilfe zu geben.
Stabile Finanzen und Soziales
In der 61-minütigen Erklärung
referierte Gusenbauer nochmals das Regierungsprogramm, legte ein Bekenntnis
zur stabilen Staatsfinanzen ab und kündigte eine "große
Steuerreform" an. Sozialpolitisch versprach der Neo-Kanzler mehr
Gerechtigkeit und die Etablierung einer legalen Form der
24-Stunden-Betreuung. Die geplante Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge
um 0,15 Prozent bezeichnete Gusenbauer als "maßvoll".
Gewürdigt wurde, dass bei chronisch und mehrfach Kranken eine
Rezeptgebühr-Obergrenze in Höhe von zwei Prozent des Einkommens festgelegt
wird.
Frauenpolitik und Jobs
Frauenpolitik werde dieser Regierung "besonders"
wichtig sein, versprach Gusenbauer. Die Beschäftigungsquote solle bei zum
Ende der Legislaturperiode auf 65 Prozent steigen, die Zahl der
Vollzeitarbeitsplätze müsse steigen. Gewürdigt wurde einmal mehr die
Flexibilisierung des Kindergelds.
Hervorgehoben wurde von Gusenbauer, dass es die jüngste Regierung aller Zeiten sei und jene mit dem höchsten Frauenanteil. Vorsichtig näherte sich der SPÖ-Chef dem Thema Gleichstellung homosexueller Verbindungen an.
Schulreform ohne Ideologie
Im Bildungsbereich würdigte der
SPÖ-Chef die geplante "schrittweise" Senkung der
Klassenschülerhöchstzahl auf 25 und äußerte die Hoffnung, dass man sich im
Schulbereich jenseits "irgendwelcher Ideologien" zum besten System
für die Kinder verständigen könne: "Diese Utopie ist
machbar, diese Utopie werden wir umsetzen."
An den Unis sollen nach Vorstellung Gusenbauers unter seiner Kanzlerschaft "merkbare Verbesserungen" bei den Studienbedingungen entstehen. Nochmals gewürdigt wurde vom Kanzler der Ausbau der Studienbeihilfe sowie des Kreditmodells.
Für den Bereich Jugend wurde vom Kanzler die Senkung des Wahlalters auf 16 hervorgehoben. In den Bundesmuseen soll für alle ein eintrittsfreier Tag pro Monat etabliert werden.
Thema Eurofighter umschifft
Das Thema Eurofighter umschiffte
Gusenbauer in der Regierungserklärung. Das Bundesheer müsse entsprechend
ausgestattet und gerüstet sein: "Dies gilt auch für die
Luftraumüberwachung."
Kein konkretes Türkei-Statement
Außenpolitisch hob der
Kanzler hervor, dass Österreich "auf Basis der immer währenden
Neutralität" weiterhin ein solidarischer Partner sein werde, der
sich intensiv an der Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik beteiligen werde. Zum EU-Beitritt äußerte er sich nicht
explizit, sprach nur von Möglichkeiten zur Partnerschaft.
Straffer Ausländer-Kurs
Einen straffen Kurs schlug
Gusenbauer in der Ausländerpolitik ein: "Integration steht vor
Neuzuzug" wurde vom Kanzler als Devise ausgegeben. Zuwanderung müsse
auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Arbeitsmarkts abgestimmt sein.
Lösung für Ortstafel-Frage
In der Ortstafel-Frage
machte Gusenbauer klar, dass man die verfassungsmäßigen Rechte der
Volksgruppen sicherstellen wolle: "Es besteht kein Zweifel daran, dass
es geboten ist, die Ortstafelerkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs
umzusetzen." Dies solle in möglichst breitem Konsens mit den
Volksgruppen erfolgen und verfassungsrechtlich abgesichert werden.
Große Koalition verteidigt
Die Zusammenarbeit seiner SPÖ
mit der ÖVP verteidigte Gusenbauer: "Große Koalitionen sind nicht
an sich gut oder schlecht." Es gehe darum, was die beiden Partner
leisten, wie sie miteinander umgingen und wie offen die große Koalition auch
für Initiativen der Opposition oder von außerhalb des Parlaments sei.
Einmal noch ging der SPÖ-Vorsitzende indirekt auf öffentliche Vorwürfe ein, wonach sich seine Partei bei den Verhandlungen mit der ÖVP über den Tisch habe ziehen lassen. Man hab ein "sehr ambitioniertes" Programm entwickelt, "das die Handschrift beider Partner trägt." Das Wahlergebnis sei der Auftrag zur Kooperation gewesen, wenn man eine stabile Bundesregierung in Österreich haben wollen.
Kritik kam von der Opposition
Grünen-Chef Van der Bellen
bezeichnete die Regierungserklärung als "Programm der enttäuschten
Hoffnungen". FPÖ und BZÖ orteten eine inhaltliche Fortsetzung von
Schwarz-Orange. SPÖ-Klubobmann Cap verteidigte das Programm, es trage "deutliche
sozialdemokratische Handschrift".