Arigona
Die ersten Fotos nach der Flucht
10.10.2007
Der Bundespräsident schlägt vor: Asylwerber sollen nach sieben Jahren in Österreich bleiben dürfen. Indes sind die ersten Bilder von Arigona nach ihrer Flucht aufgetaucht.
Ein Mädchen im blauen "adidas"-Sweater im Gespräch mit ihrem Beschützer, dem Dorfpfarrer von Ungenach.
Das Schicksal der 15-Jährigen berührt derzeit wie kein anderes die Herzen der Österreicher. Nach ihrer spektakulären Flucht - keine 24 Stunden befand sie sich an ein und demselben Ort, bevor sie in einer Nacht- und Nebelaktion in die Obhut des Dechants Josef Friedl gebracht wurde - sieht man ein junges, sorgenvoll in die Zukunft blickendes Mädchen.
Fischer: Asylwerber sollen nach 7 Jahren bleiben
Bundespräsident
Heinz Fischer machte am Donnerstag einen konkreten Vorschlag zur
Abschiebungsdebatte ausgelöst durch den Fall Arigona Zogaj und ihrer
Familie. Seiner Auffassung nach sollten integrierte Asylwerber nach sieben
Jahren bleiben dürfen, meint Fischer. Das wäre nicht nur human, sondern
würde auch die Behörden entlasten.
Mehr zum Vorschlag des Präsidenten lesen Sie hier .
Bezirksbeamte pro Arigona
Für Arigona und ihre Mutter gibt es
neue Hoffnung auf einen humanitären Aufenthalt. Grund ist der
Kriterienkatalog, den ÖVP-Innenminister Günther Platter und der
oberösterreichische ÖVP-Landeshauptmann Josef Pühringer am Tag von Arigonas
Verschwinden ausgehandelt haben. Basierend darauf hat die
Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck eine "Anregung" ans
Innenministerium verschickt.
Für Arigona und Mutter
"Die Sachvoraussetzungen haben
sich geändert", begründet Bezirkshauptmannstellvertreter Martin
Gschwandtner den Schritt. Der neue Katalog berücksichtige auch Kriterien wie
Sprache oder Integrationsgrad. Davor habe es eine "klare Judikatur
gegeben, die genau diese Dinge als nicht relevant eingestuft hat".
Die "Anregung" sei vor einer Woche verschickt worden und gelte nur für Mutter und Tochter Zogaj, nicht für die übrigen fünf Familienmitglieder. Diese liegen nicht in der Kompetenz der Bezirkshauptmannschaft, weil sie nicht mehr in Österreich sind.
Neue Kriterien maßgeblich
Der Kriterienkatalog war von
Platter und Pühringer erst am 26. September 2007 vereinbart worden. Am
selben Tag wurde die Familie Zogaj von der Polizei abgeholt. Arigonas Vater
und ihre vier Geschwister wurden tags darauf in den Kosovo abgeschoben, ihre
Mutter durfte vorerst bleiben, weil die 15-Jährige verschwunden war. Daher
könnte das Papier für die beiden Frauen doch noch zur Anwendung kommen.
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Arigonas Flucht
Pfarrer Josef Friedl sitzt mit einem ihm
unbekannten Mann im Auto und wird per Handy mitten in der Nacht auf die A 1
gelotst. Die Fahrt geht bis nach Wien, dort passieren sie mehrere Straßen.
Auf einem kleinen, dunklen Parkplatz werden sie angehalten. Plötzlich hält
ein zweites Fahrzeug und ein Mädchen mit einem Plastiksack in der Hand
springt heraus, reißt eine Tür von Friedls Auto auf und kauert sich auf den
Rücksitz. So spannend erzählt Josef Friedl sein erstes Treffen mit Arigona
Zogaj, die nach fast zwei Wochen in der Nacht auf Montag im Pfarrhaus von
Ungenach, einer 1.300 Einwohner-Gemeinde in Oberösterreich, endet.
Flucht
"Keine 24 Stunden war Arigona auf ihrer Flucht an
ein und demselben Ort", weiß Pfarrer Josef Friedl nach Gesprächen mit
der 15-Jährigen. Seit Montag, 3.15 Uhr, sitzt Arigona in der Obhut des
Pfarrers von Ungenach. Friedl, seit 30 Jahren in der Gemeinde und in
Flüchtlingsfragen engagiert, wurde nach seiner Rede bei der Demonstration
für Arigona in Frankenburg am Samstag gebeten, ob er eine Brücke zu dem
verschwundenen Mädchen schlagen könnte. "Jemand aus Wien hat
mich dann angerufen", gibt sich der Pfarrer geheimnisvoll.
Lesen Sie hier: Pfarrer kümmert sich um Arigona
Angst
Angst vor der Polizei und große Sorge um ihre Familie
bestimmten die letzten beiden Wochen von Arigona. Am 26. September hatte
ihre Flucht begonnen. Während ihr Vater und vier Geschwister bereits auf dem
Weg in den Kosovo waren, verbrachte sie die erste Nacht bei einer Freundin,
dann begann die Odysee. Körperlich gehe es Arigona gut, psychisch sei sie
Schwankungen unterworfen, so Friedl. Selbstmordgefährdet sei sie aber nicht.
Sie schläft jeden Tag bis 11 Uhr, abends schaut sie fern. Arigonas größte
Sehnsucht sei jene, ihre beiden jüngeren Geschwister endlich wieder zu
sehen. „Arigona will ein normales Leben führen“, erklärte der Pfarrer. Sie
wünsche sich nichts mehr als in die Schule zu gehen.
Gespräch
"Arigonas größte Angst ist die Abschiebung",
betont Friedl. Die brauche sie vorerst nicht zu fürchten, das sei ihm von
Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer versichert worden.
Hintergrund: Friedl ist seit Jahren mit Pühringer gut bekannt, die beiden
kennen einander seit Schultagen. Pühringer kam extra für ein halbstündiges
Gespräch mit Arigona Dienstagabend nach Ungenach. Eine Rückkehr der beiden
kleinen Geschwistern Albin und Albona konnte er ihr jedoch nicht in Aussicht
stellen. Ein Leben mit ihrer ganzen Familie in Österreich – Arigonas Kampf
geht weiter.
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BZÖ schimpft die Kirche
Der Orange Generalsekretär Gerald
Grosz appelliert an die Kirche, nicht die Gesetze infrage zu stellen. Er
befand, dass "vereinzelte Äußerungen von Bischöfen der katholischen und
protestantischen Kirche dem säkularisierten Staatssystem schaden"
würden.
BZÖ-Justizsprecherin Helene Partik-Pable schlug vor, dass der Vater Zogaj aus dem Ausland einen Antrag auf Einwanderung stellen solle: "Das kann er ja, dann kann er ja die Familie mitnehmen." Damit wäre das Problem der gesamten Familie gelöst und das rechtsstaatliche Prinzip gewahrt.
FPÖ ortet NGO-Industrie
Laut FPÖ-Chef Heinz-Christian
Strache versucht offenbar eine "NGO-Industrie", "mit allerlei
Tricks und Kniffen" Asylverfahren jahrelang zu verschleppen. Wer
falsche Angaben mache und so sein Verfahren verzögere, werde durch ein
Bleiberecht quasi belohnt. Das führe den Rechtsstaat ad absurdum, meint
Strache.
Erpressungsdebatte
Pfarrer Josef Friedl sagte am Mittwochabend,
dass das Mädchen "niemanden erpressen" wollte. Sie wolle nur
mit ihrer Familie zusammen sein und hier bleiben. ÖVP-Innenminister Günther
Platter hatte der 15-Jährigen nach ihrer Selbstmorddrohung vorgeworfen, den
Staat erpressen zu wollen. Dass ihm selbst eine Haftstrafe wegen Beihilfe
zum unbefugten Aufenthalt drohen könne, schreckt den Geistlichen nicht.
Justizministerin: "keine Erpressung"
Die
Selbstmorddrohung der Kosovarin ist auch laut Justizministerium keine
Erpressung. Es gebe ja keinen Bereicherungsvorsatz, es sei nicht um Geld
gegangen. Erpressung sei das "falsche Wort", aber auch "Nötigung
trifft nicht zu", betonte ein Sprecher des Ressorts.
Grüne sehen auch keine Erpressung
Die Grünen werfen Platter
mittlerweile üble Nachrede vor, Arigona habe den Innenminister nicht
erpresst. Vielmehr habe er sich durch diese Behauptung möglicherweise der
üblen Nachrede schuldig gemacht. Mehr
zu den grünen Argumenten lesen Sie hier .
Kanzler äußert sich zum Fall Arigona
SPÖ-Bundeskanzler
Alfred Gusenbauer hat sich Mittwochabend nach anfänglicher Zurückhaltung
doch zu Wort gemeldet. In der "ZiB 1" befand er es neuerlich als "grauslich",
wenn Kinder abgeschoben und Familien zerrissen werden. Das sei nicht
notwendig. Trotz des gemeinsamen Vorgehens von SPÖ und ÖVP bei der
Nationalratssondersitzung plädierte Gusenbauer wieder für die Gewährung
eines humanitären Bleiberechts im Fall Zogaj. Die ÖVP lehnt das ab.
Bleiberecht aus menschlichen Gründen
Er glaube, dass ein
Bleiberecht aus "menschlichen Gründen" möglich sei, denn "Gesetzestreue
und Menschlichkeit widersprechen sich nicht", so Gusenbauer in Richtung
Platter, der seine harte Linie mit der Einhaltung von Gesetzen argumentiert.
Gusenbauer sprach sich für die "richtige Mischung" aus:
Schutzbedürftige sollen Schutz bekommen, Zuwanderer solle sich das Land
hingegen selbst aussuchen. In Einzelfällen könne man aber menschlich
vorgehen, auch wenn kein Asylrecht bestehe.