Heftige Debatten

EU-Reformvertrag ist ratifiziert

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Der EU-Reformvertrag wurde am Nachmittag im Nationalrat abgesegnet. Davor gab's noch eine wilde Debatte pro und contra.

Das österreichische Parlament hat kurz nach 18 Uhr den EU-Reformvertrag von Lissabon ratifiziert. Die Mandatare von SPÖ, ÖVP und Grünen gaben in namentlicher Abstimmung und in Anwesenheit von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (S) und Außenministerin Ursula Plassnik (V) ihre Zustimmung. Bis zuletzt war das Konvolut, das eine abgemilderte Variante der ursprünglich vorgesehenen EU-Verfassung darstellt, heiß umstritten. In einer wüsten Debatte ließen die Nationalratsabgeordneten einander wissen, was sie von dem Vertrag und von einander halten.

Strache ortet Suppenhühner
Die FPÖ-Abgeordneten hoben - als Gegner der Ratifizierung - während der Sitzung Österreich-Schals. Parteichef Heinz-Christian Strache hatte auch zwei Maulkörbe für Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Vizekanzler Wilhelm Moltererer mit. Der Bundesadler würde nach Brüssel geschickt, um als gekochtes Suppenhuhn wiederzukehren, meinte Strache und behauptete, dass die Todesstrafe im EU-Reformvertrag versteckt sei.

Westenthaler sieht Plattenbau
BZÖ-Chef Peter Westenthaler verglich die EU mit einem Plattenbau beziehungsweise mit einem Zug mit ein paar hoch bezahlten Schaffnern, in dem aber keine Menschen säßen, meinte er in Anspielung auf den bürokratischen Aufwand in Brüssel. Die Sorgen der Bürger würden nicht ernst genommen, kritisierte Westenthaler.

Cap will kein Zwerg sein
SPÖ-Klubchef Josef Cap verteidigte den Reformvertrag. Allein könne man nichts erreichen. "Als Zwerg stehe ich im Garten und werde beregnet", machte er sich für die Union stark. Es gehe um acht Millionen Schicksale, die einen Anspruch auf Zukunftsperspektiven hätten.

Schüssel braucht ein Lasso
ÖVP-Klubchef Wolfgang Schüssel fand den Vortrag Straches "intellektuell unzumutbar" und beschwerte sich, dass man die ganze Zeit den falschen Behauptungen über den Reformvertrag mit dem Lasso oder dem Schmetterlingsnetz nachlaufen müsse. Dass es am Gebiet der Union seit dem Zweiten Weltkrieg keinen Krieg gegeben hat, nannte Schüssel ein "europäisches Wunder".

Van der Bellen ortet Größenwahn
Grünen-Chef Alexander Van der Bellen gingen die Rechtsparteien ebenfalls auf die Nerven: "Mit Ihnen zu diskutieren ist echt sinnlos", befand er. Dass die FPÖ vermute, dass sich Österreich allein besser durchsetzen könnte als in der EU, ließ den Wirtschaftsprofessor Größenwahnsinn vermuten.

Die Grüne Dritte Nationalratsabgeordnete Eva Glawischnig hatte ebenfalls Blau und Orange am Kieker und attestierte ihnen: "Ihre Glaubwürdigkeit ist heute gestorben."

Gusenbauer spürt Erfolg
Der Kanzler verteidigte den EU-Reformvertrag mit wirtschaftlichen Argumenten. Österreich bekomme das meiste Wachstum aus Mittel- und Osteuropa. Der erfolgreiche Weg führe das Land zu mehr Wohlstand und zu mehr Arbeitsplätzen, setzte sich Gusenbauer für die Europäische Union ein.

Molterer am Wirtschaftskurs
Ähnlich argumentierte der Vizekanzler. Er führte ins Treffen, dass die österreichische Wirtschaft mittlerweile 125 Mrd. Euor mit Exporten verdiene, was untrennbar mit der europäischen Entwicklung zusammenhänge.

Die 10 wichtigsten Fragen und Antworten zum Vertrag

1. Können wir Bürger nun mehr in der EU mitbestimmen?
Ja und nein. Es kommt eine EU-Volksabstimmung. Bei mehr als einer Million Unterschriften muss sich die Kommission mit dem Thema (nicht bindend) beschäftigen. In der gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik kann Österreich überstimmt werden. Es gibt kein Veto mehr.

2. Kommen mit dem Lissabon-Vertrag neue EU-Ämter?
Ja. Das EU-Parlament wählt ab nächstem Jahr den Ratspräsidenten, der als sogenannter „Mr. EU“ für zweieinhalb Jahre wirkt. Im Gespräch dafür ist ÖVP-Klubchef Wolfgang Schüssel. Auch die Außenpolitik soll künftig mit einer Stimme sprechen.

3. Ist jetzt die „immerwährende Neutralität“ abgeschafft?
Nein. Österreich bleibt neutral. Zwar besagt die Solidaritätsklausel im Vertrag, dass die EU-Staaten etwa im Falle eines Terrorangriffs oder einer Naturkatastrophe Beistand leisten müssen. Über den Einsatz des Bundesheers entscheidet aber Österreich allein.

4. Können wir jetzt bei Atomkraft-werken überstimmt werden?
Nein, hier ändert sich nichts. Österreich kann nicht überstimmt werden. Allerdings muss Österreich weiter die europäische Atomenergieforschung unterstützen, zu der wir uns bereits beim EU-Beitritt 1995 ­verpflichtet haben.

5. Verlieren wir die Rechte über unser Wasser?
Nein. Im Vertrag von Lissabon ist explizit festgehalten, dass die Versorgung der Bürger mit Wasser Sache des Nationalstaates bleibt. Dafür sind weiter der Bund, die Länder und Gemeinden eigenständig verantwortlich.

6. Wird der Transitverkehr bei uns weiter zunehmen?
Ja. Die Transportwirtschaft wächst weiter. EU pocht auf das Recht des freien Warenverkehrs. Allerdings wurde im Vertrag nun erstmals der Klimaschutz als verbindliches Ziel festgeschrieben. Damit fällt es Österreich leichter, für Bahnausbau und höhere LKW-Maut zu kämpfen.

7. Ist der Austritt Österreichs aus der EU jetzt möglich?
Ja. Der Vertrag von Lissabon schafft erstmals die Möglichkeit, dass ein Mitgliedsstaat (derzeit 27) die EU wieder verlassen darf. Bedingung dafür ist, dass die Mehrheit der Wahlberechtigen eines Staates für ­einen Austritt stimmt.

8. Wird die Erweiterung der EU nun leichter möglich?
Ja und nein. Die Erweiterung – etwa durch Balkanstaaten wie Kroatien – soll durch eine handlungsfähigere EU mit neuen Entscheidungsabläufen erleichtert werden. Die Grundrechtscharta erschwert allerdings den Beitritt der Türkei zur EU.

9. Verlieren kleinere Gemeinden weiter an Einfluss?
Nein. Der Reformvertrag stellt klar, dass die Mitgliedsstaaten für die „Daseinsvorsorge“ zuständig sind. Daher wurde der Gestaltungsspielraum für Kommunen im Bereich öffentlicher Nahversorgung, Müllabfuhr und Gesundheit gestärkt.

10. Wird die Europäische Union nun sozialer?
Jein. Die EU versucht zumindest einen kleinen Schritt in Richtung mehr soziale Verantwortung zu gehen. ­Soziale Rechte wie „Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung“ sollen ab 2009 erstmals vor dem Euro­päischen Gerichtshof einklagbar sein.

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