Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch beim ORF eine Art "Spitzelwesen".
Auch im ORF wurden in der Vergangenheit den Parteien von ORF-Mitarbeitern Senderinterna zugetragen. Für den früheren Generalintendanten Gerhard Weis gibt es aber - anders als beim deutschen ZDF - "kein Spitzelwesen" im österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Allerdings nur, weil dies laut Weis "nie notwendig" gewesen sei, "die Sitten sind bei uns viel verlotterter als in Deutschland". Für Redakteursrat Fritz Wendl sind Informationsflüsse aus der Redaktion zu Parteien zwar nicht gänzlich auszuschließen, hätten aber in den vergangenen 20 Jahren massiv abgenommen.
Spitzelsystem in Deutschland
Der scheidende ZDF-Chefredakteur
Nikolaus Brender hatte am Wochenende scharf mit der parteipolitischen
Dominanz in Deutschlands öffentlich-rechtlichem Fernsehen abgerechnet.
Brender sprach unter anderem von einem internen "Spitzelsystem, das davon
lebt, dass Redakteure den Parteien Senderinterna zutragen". Nach Meinung des
früheren ORF-Chefs Weis, der 2001 auf Betreiben der damaligen schwarz-blauen
Regierung sein Büro vorzeitig räumen musste, gibt es Ähnliches auch im ORF.
"Verhaberung"
Der Informationsfluss aus den
ORF-Redaktionen in die Parteizentralen hat "in den letzten zehn Jahren ganz
massiv zugenommen", so Weis. Grundsätzlich habe die beginnende "Verhaberung"
mancher Journalisten mit der Politik schon unter Bruno Kreisky begonnen. In
den vergangenen Jahren sei der Einfluss der Politik aber "richtiggehend
ungeniert worden". So sei ihm von der schwarz-blauen Regierung eine Liste
mit Leuten vorgelegt worden, "die etwas werden sollen". Als er abgelehnt
habe, sei damit auch sein berufliches Ende als Generalintendant gekommen
gewesen.
Der systembedingte Einfluss der Parteien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat nach Ansicht von Weis natürlich seine Auswirkungen gezeitigt: "Ein Spitzelwesen war nie notwendig, weil es immer Freiwillige gegeben hat, die sich an die Parteien angebiedert haben. Insofern sind die Sitten bei uns noch viel verlotterter als in Deutschland." So wurden in der älteren und jüngeren Vergangenheit wiederholt Fälle überliefert, bei denen Interna aus Redaktions- und Planungssitzungen an Parteizentralen weiter geleitet wurden, was dann zu Interventionsversuchen führte.
Enge Beziehung mit Politik
Für den Redakteursrat hat sich in den
vergangenen Jahren aber vieles deutlich zum Besseren gewendet, was die allzu
enge Beziehung von Redaktionsmitgliedern mit der Politik angeht. "Ich
glaube, dass es wirklich für den überwältigenden Großteil der Journalisten
im ORF nicht mehr gilt." Nicht zuletzt habe sich die Praxis bewährt, dass
bekanntgewordene politische Interventionen öffentlich gemacht würden. "Jeder
weiß, dass ihm das auch blühen würde, wenn sich ein Informationsfluss
herausstellt."
Allerdings gebe es gesetzesbedingte systemimmanente Mängel, so Wendl. "So lange das über die Geschäftsführung und weitere wesentliche Unternehmensbelange entscheidende Gremium, der Stiftungsrat, weiter so gut wie ausschließlich nach parteipolitischen Interessen beschickt wird, ist der ORF nämlich zwangsläufig nicht so unabhängig, wie er das laut einem Verfassungsgesetz eigentlich wäre."