Migrationsforscher

Experte: Österreich und EU müssen gezielt Fachkräfte anwerben

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Wenn Politiker in Österreich oder der EU über Migration sprechen, geht es meist um die Frage, wie diese begrenzt werden kann.  

Viel seltener hört man, dass eine alternde und zunehmend kinderlose Gesellschaft auf Zuwanderung angewiesen ist. "Wir werden in Zukunft mehr Arbeitskräfte brauchen, die wir aus dem Ausland holen müssen", sagt Migrations- und Demografieforscher Rainer Münz im Interview mit der APA.

Der Anteil legaler Arbeitsmigration an der Gesamtzuwanderung sei in Europa "sehr niedrig". Vor allem im Vergleich zu Kanada, Australien oder den Golfstaaten falle auf, dass die EU bedeutend weniger Migrantinnen und Migranten wegen ihrer Fähigkeiten anwirbt, erklärt Münz. Dabei sei dies eine Notwendigkeit, solange es keine andere Lösung für den Arbeitskräftemangel gibt - etwa dass die Einheimischen wieder häufiger in Vollzeit arbeiten und später in Pension gehen. Denn: In ganz Europa sind sinkende Geburtenraten zu beobachten, die Bevölkerung altert und die Babyboomer-Generation geht in Pension.

Zahl der Asylanträge relativ hoch 

Gleichzeitig ist die Zahl der Asylanträge in der EU im Vergleich zu anderen Weltregionen relativ hoch, sagt Münz, der vergangene Woche den Bericht "Einwanderung in die EU. Das große Bild für die EU und ihre Mitgliedsstaaten" in Brüssel präsentierte. Seit 2013 wurden in den EU-Staaten acht Millionen Asylanträge gestellt und überdies vier Millionen Menschen aus der Ukraine temporärer Schutz gewährt. Das liege einerseits an der geografischen Lage, aber auch an der europäischen Auslegung des Asylrechts und der Art, Asylanträge zu zählen. "Man kann durchaus darüber diskutieren, ob Syrer, die aus der Türkei in die EU kommen, Anspruch auf Asyl haben, wenn sie schon in einem Transitland in Sicherheit waren", gibt der Experte zu bedenken. "Dies könnte sich allerdings in Zukunft ändern, wenn die Türkei syrischen Flüchtlingen das Aufenthaltsrecht entzieht."

Für ganz Europa gilt: Die Mehrzahl der Asylanträge erfolgt nicht nach einem irregulären Grenzübertritt. Über die Hälfte der Anträge in Österreich stammt von Menschen, die über Familiennachzug - also völlig legal - ins Land kommen. In rund 15 Prozent der Fälle handelt es sich um neugeborene Kinder von Geflüchteten, die in Österreich zur Welt kommen und nach der Geburt einen Asylantrag stellen müssen. In allen diesen Fällen wird beinahe automatisch Asyl gewährt. 2024 wurden nur etwa 38 Prozent der Asylanträge nach einem irregulärem Grenzübertritt gestellt.

Frontex nicht die einzige Lösung

"Wenn nur ein Drittel der Asylanträge das Ergebnis illegaler Migration ist, kann der Schluss nur sein, dass (die EU-Grenzschutzagentur, Anm.) Frontex nicht die einzige Lösung sein kann. Dann braucht man andere Maßnahmen, einen anderen Blick darauf", betont Münz, der aktuell an der Central European University (CEU) lehrt. Es brauche Abkommen und Regelungen mit Nachbarstaaten nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals, fordert der Wissenschafter. Dabei gehe es nicht zuletzt um Finanzhilfen für Länder außerhalb der EU, die geflüchteten Personen Schutz gewähren.

Hinsichtlich der von der EU geplanten Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen, die in dem im Mai beschlossenen Migrations- und Asylpaket vorgesehen sind, sieht Münz eine Reihe ungelöster Probleme. Bisher sei nicht geklärt, von welchen Ländern Schutzsuchende aufgenommen werden, die an der Außengrenze Asyl erhalten. Derzeit gebe es jedenfalls in der EU keinen verbindlichen Verteilungsschlüssel für anerkannte Flüchtlinge, aber auch kaum Drittstaaten, in die sie gebracht werden könnten. Zugleich ist offen, was mit jenen passieren wird, die an der Grenze kein Asyl bekommen.

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