Eine FPÖ-geführte Regierung hat nach Experteneinschätzung "Belastungspotenzial für die Zusammenarbeit mit westlichen Nachrichtendiensten".
Es sei "durchaus wahrscheinlich", dass der "Informationsaustausch mit Österreich in gewissen Bereichen zumindest eingeschränkt wird", erklärt der Schweizer Geheimdienstexperte Adrian Hänni im Gespräch mit der APA. Sein Wiener Kollege Thomas Riegler sieht das ganz ähnlich.
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"Es ist möglich, dass es wieder zu Einschränkungen bei der nachrichtendienstlichen Kooperation kommen wird. Das betrifft nicht Warnungen vor Terroranschlägen, sondern wahrscheinlich vor allem Informationen mit Russlandbezug", meinte Riegler im Gespräch mit der APA. Hänni wiederum vermutet, hinter jüngsten "markanten Kommentaren" vor allem aus Deutschland scheine die Absicht zu stehen, eine FPÖ-Regierungsbeteiligung zu verhindern.
Warnungen aus Deutschland
Deutsche Sicherheitspolitiker hatten sich im "Handelsblatt" (Mittwoch-Ausgabe) kritisch geäußert. Die Nähe der FPÖ zur russischen Regierung stelle "ein durchaus veritables Problem dar", sagte der Vorsitzende des Geheimdienste-Kontrollgremiums des deutschen Bundestags, Konstantin von Notz (Grüne). Es stehe "die Integrität der Zusammenarbeit der europäischen Sicherheitsbehörden infrage". Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner hält Konsequenzen für unerlässlich. "Die Zusammenarbeit mit Rechtsaußen-Regierungen und Putin-Freunden muss bei nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit nahezu auf null zurückgefahren werden, wenn man keine unvertretbaren Sicherheitsrisiken einkalkulieren will", sagte er dem "Handelsblatt".
Ähnlich äußerte sich der CDU-Politiker Christoph de Vries, der ebenfalls dem Geheimdienstgremium angehört: "Mit Blick auf die engen Verflechtungen der FPÖ und der Dienste mit Russland in der Amtszeit Herbert Kickls als Innenminister sind Sorgen für die weitere Zusammenarbeit nicht unbegründet." Der frühere Chef des Leitungsstabs des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Conrad, warnte dagegen vor vorschnellen Entscheidungen. Es werde entscheidend "auf die Bewertung der Details von Machtstrukturen, Entscheidungskompetenzen und Personalien" ankommen, sollte eine FPÖ-geführte Koalition tatsächlich zustande kommen, sagte er dem "Handelsblatt". Gleichwohl sieht er "Grund für Aufmerksamkeit, gegebenenfalls auch für pragmatische Lösungsansätze". Anlass dafür seien nicht nur die bekannte Vorgeschichte zur Russland-Nähe der FPÖ, sondern auch die offenen Fragen in der "Großaffäre Marsalek".
Experten: Informationsaustausch bei Russland-Bezug womöglich eingeschränkt
Auch der Geheimdienstexperte Hänni zeigt sich zurückhaltend. Allerdings sei durchaus wahrscheinlich, dass im Fall einer FPÖ-geführten Regierung die internationalen Nachrichtendienste den Informationsaustausch zu russischer Spionage und anderen russischen Geheimdienstaktivitäten in Europa sowie zum Krieg in der Ukraine "zumindest" einschränken. Der Historiker vom Institut für Zeitgeschichte in München hält "es aber für sehr unwahrscheinlich, dass die Zusammenarbeit mit den österreichischen Nachrichtendiensten und der Informationsaustausch mit Österreich mehr oder weniger vollständig zum Erliegen kommt". Informationen zum islamistischen Terrorismus oder gar konkrete Hinweise auf Anschläge würden weiterhin mit österreichischen Diensten geteilt werden, so Hänni. Auch andere Kooperationsformen jenseits vom Informationsaustausch dürften weitergeführt werden.
Dem pflichtet der Terrorismus- und Sicherheitspolitik-Experte Riegler bei. Selbst unter einer FPÖ-Kanzlerschaft wäre man nicht von Hinweisen auf terroristische Bedrohungsszenarien von ausländischen Partnerdiensten abgeschnitten. Es sei "Usus" solche Informationen an betroffene Staaten weiterzugeben, "auch wenn man mit ihnen nicht übereinstimmt". Die USA hätten beispielsweise Russland vor radikalislamistischen Anschlägen in Moskau gewarnt.
Wohl "Anlassfall" für Einschränkungen nötig
Was den Austausch von Informationen mit Russland-Bezug betrifft, wäre nach Einschätzung von Riegler ein "konkreter Anlassfall" erforderlich, der bewirken müsste, dass das Vertrauen in die österreichischen Behörden im Ausland erschüttert wird, wie es mit der seinerzeitigen Razzia in der Zentrale des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BVT) und der Beschlagnahmung von als geheim klassifizierten Daten der Fall war. Allerdings habe sich die Situation seit 2018 deutlich verkompliziert: "Die Anzahl rechter Regierungen hat in ganz Europa deutlich zugenommen. Mit Ungarn und der Slowakei gibt es zwei Regierungen, die den EU-Kurs in der Ukraine-Frage offen in Frage stellen." Die mögliche Besetzung des US-Geheimdienstkoordinators mit Tulsi Gabbard werfe außerdem "die brisante Frage auch, inwieweit man den USA bald noch vertrauen kann", hielt Riegler fest.
"Eine FPÖ-Regierung alleine wird meiner Einschätzung nach nicht zu einer solch massiven Krise führen, wie wir sie 2018 und in den Jahren danach erlebt haben. Natürlich kann sich die Ausgangslage ändern, wenn westliche Partnerdienste zum Beispiel konkrete Hinweise auf einen Informationsabfluss nach Russland erhalten", betonte auch Hänni. Die Zusammenarbeit der Geheimdienste erfolge in Gremien, "wo man keine politischen Signale setzt". Das einzige Kriterium sei, "ob man dem anderen traut, dass die Informationen sicher sind".
2018 gab es unter dem damaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl eine Razzia im BVT. Der österreichische Staatsschutz wurde wegen massiver Sicherheitsbedenken aus dem sogenannten Berner Club verbannt, einem inoffiziellen Zusammenschluss westlicher Geheimdienste. Damals teilten andere westliche Geheimdienste keine sensiblen Informationen mehr mit Wien, angeblich auch deshalb, weil der US-Geheimdienst CIA Indizien dafür hatte, dass ein BVT-Mann geheime Unterlagen an Russland weitergab. Staatsgeheimnisse sollen unter anderem an den flüchtigen Wirecard-Topmanager und mutmaßlichen Russland-Agenten, den Österreicher Jan Marsalek, verraten worden sein. Das BVT wurde mittlerweile durch die Direktion Staatsschutz Nachrichtendienst (DSN) ersetzt.
Ablöse des BVT durch DSN führte zu "Professionalisierung"
Bei der DSN habe eine "Professionalisierung" stattgefunden. Die BVT-Nachfolgebehörde habe "an internationale Standards angeschlossen, was Informationssicherheit betrifft, die Ausbildung der Mitarbeiter, die Sicherheitsüberprüfungen". Während das BVT noch stärker polizeilich geprägt gewesen sei, "ist die DSN unterwegs Richtung Nachrichtendienst". Besonders wichtig für das internationale Standing hält Riegler Postenbesetzungen. Veränderungen an der Spitze der österreichischen Nachrichtendienste - neben der DSN das für die Auslandsaufklärung zuständige Heeresnachrichtenamt (HNA) und das Abwehramt - seien bei politischem Wechsel häufig. Allenfalls sollten nach Dafürhalten des Experten "Leute aus dem Apparat" zum Zug kommen, die bereits über internationale Kontakte und Vertrauen bei den Partnerdiensten verfügen.