Auch wenn der Mund-Nasen-Schutz nicht mehr überall Pflicht ist, sprechen sich Experten weiterhin für die Maske aus.
454 aktiv an Covid-19 erkrankte Personen hat es am Sonntag in Österreich gegeben. Das Virus ist weiterhin vorhanden, auch wenn es immer mehr Lockerungen gibt. In Supermärkten ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes nicht mehr verpflichtend. Mehrere Experten haben sich in der ORF-Sendung "Im Zentrum" am Sonntagabend weiterhin für die Maske ausgesprochen.
"Wirksames Mittel"
Sie ist "ein wirksames Mittel der Eindämmung", werde aber genauso unterschätzt wie Händewaschen, sagte Umweltmediziner Hans-Peter Hutter. Das Tragen der Maske schützt nicht nur das "Ich", sondern in selbem Maße das "Wir", betonte der Sonderbeauftragte im Gesundheitsministerium, Clemens Auer. "Ich bin ein Maskenmann", konstatierte er. "Wir werden nicht drum herumkommen, das freiwillig weiter zu tragen", meinte Auer. Alle seien von der Pandemie gleich betroffen und müssten das gemeinsam durchstehen, dabei dürfe nicht auf subjektive Befindlichkeit Rücksicht genommen werden. "Ich schütze mich und die anderen", sagte der Sonderbeauftragte.
Dass die Maskenpflicht in Supermärkten aufgehoben wurde, erklärte er mit "Wünschen nach Vereinfachung". Auch Hutter hätte die Maskenpflicht im Supermarkt belassen. Denn das Tragen dieses Schutzes sei "eines der wichtigsten Dinge, dass wir vermitteln, es wird noch länger dauern", sagte er. Maske tragen müsse ebenso wie Abstand halten und regelmäßiges Händewaschen weiterhin eingehalten werden, "das sollte sich automatisieren", sagte der Mediziner. Denn das Virus ist weiter da, "manchmal flackert es auf".
Zeichen des Selbstschutzes
Durch die Lockerungen bekomme man den Eindruck, "es muss vorbei sein", warnte auch Michaela Pfadenhauer, Vorständin des Instituts für Soziologie, Universität Wien. Der jetzige Zustand mit den zunehmenden Lockerungen sei wesentlich schlechter auszuhalten als der Lockdown oder die vorherige Normalität. Deshalb sei es wichtig, weiterhin darüber zu informieren, dass es weitere Infektionen gibt, sagte die Expertin. Die Maske sei zwar "sozial extrem störend", aber eben auch eine dauernde Warnung, die die Coronazeit permanent als noch existent in Erinnerung ruft, erklärte Pfadenhauer.
Auch Erika Wichro, Medizinerin und Expertin für Internationale Öffentliche Gesundheit, sprach sich pro Mund-Nasen-Schutz aus. "Ich trage die Maske aus Überzeugung." Sie sei ein "Zeichen des Selbstschutzes ebenso wie für den Schutz der Allgemeinheit und repräsentiere "achtsame Verantwortlichkeit". Dabei gehe es um Gewohnheit, eine "Frage des Wollens", man könne sich "an alles gewöhnen".
Auswirkungen auf Wissenschaft
Das Coronavirus hat unterdessen auch Auswirkungen auf die Wissenschaft und die Praxis von Veröffentlichungen. Zuletzt gab es dazu in Deutschland Diskussionen um eine Studie zur SARS-CoV-2-Infektiosität von Kindern vom Berliner Virologen Christian Drosten. Diese wurde als sogenannter Preprint veröffentlicht, also noch ohne Peer Review. Normalerweise werden Studien zunächst von anderen Experten kommentiert und diskutiert, ehe sie in wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht werden. Doch in Zeiten der Pandemie "möchte man alles Wissen gleich verfügbar machen", sagte die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl. Das sei "eine neue Situation und macht auch die Unsicherheit aus". Dass Experten öffentlich streiten, sei jedenfalls kontraproduktiv und werde von den Menschen nicht verstanden, sagte Hutter. Derartige Diskurse sollten vielmehr wissenschaftlich intern besprochen werden. Eine gewissen Unsicherheit mit dem Coronavirus werde es weiterhin geben. In der Risikokommunikation sei Ehrlichkeit wichtig. "Wichtig ist auch zu sagen, wenn man etwas nicht weiß", betonte Hutter.
In der Bevölkerung werden die Lockerungen der Covid-Maßnahmen zwiegespalten aufgenommen, so werden einerseits weiterhin Masken auch ohne Pflicht getragen, andererseits hat sich eine gewissen Sorglosigkeit breitgemacht. Puchhammer-Stöckl konstatierte, dass sich nicht alles regeln lässt und vieles in der Eigenverantwortung liegt, etwa, ob man Verwandte, die einer Risikogruppe angehören, umarmen darf. Das sei eine "persönliche Bemessung". Jeder solle aber zuvor abwägen, ob man sich in Risikosituationen befunden habe, wie viele Kontakte erfolgt waren.
Luxemburg will mit flächendeckenden Tests der gesamten Bevölkerung eine zweite Corona-Welle verhindern. Eine derartige Strategie sei für Österreich nicht sinnvoll und umsetzbar. Hier gehe es darum, weiterhin dort zu testen, wo es sinnvoll ist, etwa in Krankenhäusern und Pflegeheimen, sagte Puchhammer-Stöckl.
In Deutschland ist am Sonntag bekanntgeworden, dass die Zahl der Corona-Infizierten in der Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück auf 1.331 gestiegen ist. Dies teilte der Kreis Gütersloh am Sonntag mit. Die Experten in der ORF-Sendung betonten, dass derartige Hotspots auf prekäre Verhältnisse zurückzuführen seien. Besonders wichtig sei in diesem Zusammenhang das Containment. Das Virus sei in Österreich derzeit auf einem geringen Niveau, könne aber auch hier "jederzeit wieder große Schwierigkeiten verursachen", warnte Puchhammer-Stöckl. Sonderbeauftragter Auer setzt auf Eigenverantwortung. Immer wieder ist aus zahlreichen Gastronomiebetrieben zu hören, dass Vorschriften nicht eingehalten werden. Auer betonte, dass die Behörden nicht alle Bars, Rezeptionen etc. kontrollieren können. Die Betreiber hätten selbst eine Verantwortung und dürften nicht nur an die eigenen Einnahmen denken, sagte der Sonderbeauftragte.
Für Irritation während der Sendung sorgte eine kurze Tonstörung. Der Satz von Wichro - "Die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut" - wurde plötzlich zum Dauerecho.