Kanzler Werner Faymann über Steuerreform, Zukunft der EU & Nahost-Konflikt
In wenigen Tagen geht es für SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann in den Urlaub: Zunächst will er in der Steiermark wandern, dann ein paar Tage in Kroatien ausspannen. Ganz abschalten wird Faymann freilich nicht können.
Immerhin ist sowohl in der Heimat als auch in der großen weiten Welt kein Frieden angesagt:
Auch über den Sommer hinweg möchte der SPÖ-Chef seine Steuerreform-Pläne forcieren. Im großen ÖSTERREICH-Interview erklärt er nochmals unmissverständlich, dass er eine „Steuerreform ab 2015“ will. Widerstand des Koalitionspartners hin oder her.
EU-Volten
Aber auch an einer anderen Front muss Faymann noch kämpfen: Johannes Hahn muss nach wie vor um seinen Job als EU-Kommissar bangen. In dieser Frage will der Kanzler noch seinen Freund, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, bearbeiten.
Am 29. August ist Werner Faymann dann Gastgeber des traditionellen SPÖ-Kanzlerfestes im Gartenhotel Altmannsdorf.
Ein Event, das auch den politischen Herbst einleiten soll – und eben den Kampf um die Steuerreform.
Im November stellt sich Faymann schließlich beim SPÖ-Parteitag seiner Wiederwahl.
Aber, jetzt heißt es erst mal ein bisschen neue Energien tanken …
Werner Faymann: "Das ist kein Neid, nur Gerechtigkeit"
ÖSTERREICH: Sie kämpfen nach wie vor für eine Steuerreform ab 2015. Die ÖVP-Spitze ist nach wie vor dagegen. Wie wird das ausgehen?
Werner Faymann: Die Steuerreform – also eine Entlastung für die Menschen – ist mir ein Herzensanliegen. Ich möchte, dass wir nicht nur das Land mit der geringsten Arbeitslosigkeit in der EU sind, sondern auch jenes, das für Gerechtigkeit sorgt. Unser Ausgabensystem in Gesundheit und Sozialem ist gerecht. Bei den Einnahmen mangelt es noch. Daher bin ich für die Millionärsabgaben, mit denen man die Steuerreform teilweise gegenfinanzieren könnte.
ÖSTERREICH: VP-Klubchef Lopatka wirft Ihnen deshalb aber eine Neiddebatte vor und meinte: „Sie sollen aus dem Keller kommen!“
Faymann: Man muss wirklich nicht alles kommentieren. Mir geht es darum, dass wir eine starke Mittelschicht haben. Diese will ich stärken. Neoliberale haben es natürlich leichter. Sie stört es nicht, wenn es nur noch Superreiche oder Superarme gibt. Mich als Sozialdemokrat und Kanzler lässt aber so etwas nicht kalt. Dafür braucht man keinen Neid, sondern nur Augen. Wer das nicht erkennt, dem empfehle ich eine Lesebrille.
ÖSTERREICH: Aber, was sagen Sie zum Argument von VP-Chef Spindelegger, wonach man zuerst sparen müsse, bevor eine Steuerreform leistbar sei?
Faymann: Ich bin auch für sinnvolles Sparen und Strukturmaßnahmen. Aber der Mittelschicht muss am Ende mehr netto vom Brutto übrig bleiben.
ÖSTERREICH: Wann soll die Steuerreform in Kraft treten?
Faymann: Auch der Finanzminister hat gesagt, sie kann im Juli beschlossen werden. Dann kann sie auch gleich in Kraft treten. Wir können es auch phasenweise machen. Aber ein Teil sollte gleich kommen.
ÖSTERREICH: Der EU-Gipfel musste auf 30. August verschoben werden, weil sich die Regierungschefs vergangene Woche nicht auf ein Personalpaket einigen konnten. Eine schiefe Optik, oder?
Faymann: Ob wir die neuen EU-Posten – die ohnehin erst im Herbst auslaufen – nun im Juli oder August beschließen, finde ich nicht so wesentlich. Da habe ich andere Sorgen. Es ist mir wichtiger, dass wir als EU den gleichen Elan im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit an den Tag legen wie beim Kampf für Banken. Ich weiß, dass Journalisten die nicht besetzten Posten als Scheitern ansehen, aber die Frage, wie man vernünftig investiert, ist bedeutender. Jean-Claude Juncker hat als Kommissionspräsident seine Schwerpunkte vorgestellt. Das ist entscheidend.
ÖSTERREICH: Es sind so gut wie keine Frauen für die EU-Kommission vorgeschlagen worden. Peinlich, oder?
Faymann: Die EU-Sozialdemokraten wollen ja Federica Mogherini als neue Hohe Beauftragte. Das wäre ein Top-Job. Ich unterstütze sie. Aber ja, die Kommission ist derzeit zu männerlastig – und bevor Sie es sagen: auch durch unsere Schuld, weil wir mit Hahn ebenfalls einen Mann vorgeschlagen haben. Es dürfen in der neuen Kommission auf keinen Fall weniger Frauen sein als in der alten. Ich unterstütze da die Position des EU-Parlaments. Ich hoffe, dass wir uns am 30. August auf Federica Mogherini einigen werden. Das wäre schon ein gutes Zeichen.
ÖSTERREICH: Es könnte sein, dass Juncker Hahn ablehnt. Sie haben gesagt, es würde keine Zusage geben, oder?
Faymann: Das könnte sein. Es gibt keine Zusage. Aber ich hoffe nicht, dass es dazu kommt. Ich halte Johannes Hahn für einen guten Kommissar. Ich möchte mir nicht den Fall einer Ablehnung ausmalen.
ÖSTERREICH: Und wenn es doch dazu kommt?
Faymann: Dann werden wir uns zusammensetzen und in Alternativen denken. Ich verstehe das Anliegen von Juncker, dass er mehr Frauen in der Kommission will. Da hat er recht.
ÖSTERREICH: Die EU hat wegen der Eskalation in der Ostukraine auch die Möglichkeit härterer Sanktionen gegen Putins Russland beschlossen.
Faymann: Ja, leider eskaliert die Lage im Osten weiter. Und es kann nicht sein, dass Waffen über die russische Grenze kommen und das von Russland offenbar gefördert wird. Falls die Lage sich weiter verschärft, sollte man Waffenverkäufe an Russland stoppen. Das sollte unter die Sanktionen fallen.
ÖSTERREICH: Und Wirtschaftssanktionen? Das will Österreich ja nicht, oder?
Faymann: Ich hoffe, dass das nicht notwendig wird. Es wäre wichtig, die Situation zu deeskalieren. Frieden muss unser Ziel sein.
ÖSTERREICH: Die EU verhält sich dafür an einer anderen Front sehr passiv: im Nahen Osten. Wie schätzen Sie die Eskalation zwischen der Hamas und Israel ein?
Faymann: Verheerend. Wir haben als EU-Regierungschefs – darauf habe ich auch sehr geachtet – ausdrücklich festgestellt, dass Israel ein Recht auf Selbstverteidigung hat. Ja, die Raketen werden vom Abwehrsystem abgefangen. Aber deswegen werden sie trotzdem gegen Israel abgefeuert. Wir haben auch dazu gesagt, dass die Gegenreaktion Israels verhältnismäßig bleiben muss. Der Schutz der Zivilisten in Gaza ist wichtig. Mir ist allerdings klar, dass man so etwas leichter aufschreibt, als man es in der Praxis leben kann, wenn man, wie Israel, mit Raketen beschossen wird. Und ja, die EU-Außenpolitik agiert da zu passiv.
ÖSTERREICH: Die EU-Außenminister sollten stärker eingreifen?
Faymann: Ein stärkeres Engagement wäre wichtig. Man sollte aber auf Versprechungen verzichten. Nur nach Waffenruhe zu rufen, ist zu wenig. Das ist ein langwieriger Prozess. Aber wir müssen ihn unterstützen.
ÖSTERREICH: Außenminister Kurz hat wegen antisemitischer Postings die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Was läuft in Österreich schief?
Faymann: Bei Antisemitismus, Faschismus, Rassismus darf man nie wegschauen. Er hat richtig gehandelt. Es braucht einen starken Widerstand in der Gesellschaft dagegen.