Werner Faymann über Pröll-Rücktritt, die neue ÖVP und Jung-Politiker Kurz.
ÖSTERREICH: Wie haben Sie eigentlich den Rücktritt von Josef Pröll erlebt?
Werner FAYMANN: Ich bin – ehrlich gesagt – aus allen Wolken gefallen. Ich hatte ja während seiner Krankheit nur SMS-Kontakt. Und mir wurde versichert, dass er sich gut erholt. Und plötzlich, Mittwoch, zeitig in der Früh, ruft er mich an, sagt, er will mir nur mitteilen, dass er von allen Funktionen zurücktritt und dass er mir das alles noch unter vier Augen erklären wird. Ich respektiere aber seinen Schritt voll. Gesundheit und Familie sind das höchste Gut.
ÖSTERREICH: Wie lautet die Bilanz der Zusammenarbeit?
FAYMANN: Ich möchte ihm danken. Er war in der schwierigsten Zeit, die eine Regierung haben kann, ein verlässlicher Partner. Wir hatten ja apokalyptische Vorhersagen: Dass die Arbeitslosigkeit explodieren wird, dass unsere Währung zusammenbricht, dass die Banken krachen. Wir haben die schwerste Krise der Republik bewältigt – und Josef Pröll hat dabei einen exzellenten Job gemacht.
ÖSTERREICH: Ist Josef Pröll an seiner Dreifachbelastung zerbrochen?
FAYMANN: Ich dilettiere nicht als Arzt mit Ferndiagnosen. Aber wahr ist natürlich, dass der Job des Finanzministers zusätzlich zu Vizekanzler und Parteichef gerade in Zeiten der Finanzkrise eine besondere Belastung war: Deshalb halte ich es für sehr gut, dass Michael Spindelegger das zeitintensive Finanzressort nicht selbst führt.
ÖSTERREICH: Zeigt der Ausstieg von Josef Pröll auch, dass die Politik derzeit zu wenig menschlich ist?
FAYMANN: Ich glaube, das Problem ist, dass Politikern derzeit generell zu wenig Respekt entgegengebracht wird – von den Medien und auch von den Menschen. Es gibt wenig Anerkennung für das, was Politiker leisten. Und das macht diesen Job nicht gerade angenehm. Als Politiker ist man derzeit mit Abqualifizieren und Heruntermachen konfrontiert. Das ist schlecht für die Demokratie – und macht den Job nicht leichter.
ÖSTERREICH: Leiden Sie auch an der Extrembelastung?
FAYMANN: Nein, überhaupt nicht. Ich mache die Arbeit des Bundeskanzlers extrem gerne. Mein Arzt sagt, ich bin heute viel besser drauf als früher – weil ich mir auch Zeit für den Ausgleich nehme: für die Familie, für den Sport, ich gehe in die Berge, lade meine Batterien auf. Ich finde meinen Job faszinierend und ich habe mit der Belastung überhaupt kein Problem.
ÖSTERREICH: Bedeutet der Abgang von Pröll jetzt einen Neustart für die Regierung?
FAYMANN: Genau jetzt – im Juni – beginnt die zweite Halbzeit der Regierung. Ich sehe den Wechsel bei der ÖVP als neue Aufstellung für diese zweite Halbzeit. Das macht jede gute Mannschaft so – in der zweiten Halbzeit bringt man neue, frische Spieler, stellt den einen oder anderen auf eine neue Position.
ÖSTERREICH: Bei Teams, die am Schluss der ersten Halbzeit so lahm spielen wie diese Regierung, hält der Kapitän eine Kabinenpredigt.
FAYMANN: Meine Ansage heißt: Mehr Tempo. Das Wichtigste ist, dass wir in der zweiten Halbzeit den Teamgeist erneuern. Ich sehe dabei Michael Spindelegger als idealen Partner. Weil ich so wie er der felsenfesten Überzeugung bin, dass eine Mannschaft nur so gut ist, so gut sie zusammenspielt.
ÖSTERREICH: Das klingt so, als wäre Spindelegger ihr Wunschpartner als Vizekanzler?
FAYMANN: Dass sich die ÖVP für Michael Spindelegger entschieden hat, ist für mich ein Glücksgriff. Ich kenne viele andere ÖVP-Politiker wie Bartenstein, Schüssel oder Molterer, bei denen das Auseinanderführen das Ziel ist. Und ich rechne es Michael Spindelegger hoch an, dass er in seiner bisherigen politischen Tätigkeit immer den Grundsatz der Zusammenarbeit hatte.
ÖSTERREICH: Wie ist Ihr Verhältnis zum neuen Vize? Bestens? Freundschaftlich?
FAYMANN: Arbeitstechnisch sehr gut, weil wir Konflikte immer fair und mit Stil austragen und sicher beide exzellent zusammenarbeiten werden. Und persönlich ist es freundschaftlich, weil ich ihn menschlich sehr schätze.
ÖSTERREICH: Was wünschen Sie sich von Ihren neuen Spielern im Team? Von Maria Fekter im Finanzressort?
FAYMANN: Da wünsche ich mir jenen Einsatz, der dazu führt, dass unsere Gesellschaft gerechter wird. Finanztransaktionssteuer, vermögensbezogene Steuern – da ist noch viel zu tun, gerade auf EU-Ebene. Und dann wünsche ich mir, dass bei der Budgetkonsolidierung bei Bürokratie und Verwaltung gekürzt wird und nicht bei sozialen Ausgaben. Und es soll 2013 eine Steuerreform geben, die mehr soziale Gerechtigkeit schafft.
ÖSTERREICH: Was wünschen Sie sich vom extrem jungen Integrationsstaatssekretär?
FAYMANN: Zunächst einmal ist es meine tiefste Überzeugung, dass das Geburtsdatum überhaupt keine Aussagekraft darüber hat, wie fähig und gut jemand in der Politik ist. Deshalb verwehre ich mich gegen alle Angriffe, dass Herr Kurz zu jung für die Politik ist. Das halte ich für lächerlich – ich war selbst sehr jung, als ich in die Politik gekommen bin.
ÖSTERREICH: War ein eigener Integrationsstaatssekretär nicht eigentlich Ihr Wunsch?
FAYMANN: Das ist ein erster Teilschritt. Mein Wunsch ist freilich ein ganz anderer: Ich wünsche mir nach der nächsten Wahl ein eigenes Ressort für Integration, das alle nötigen Agenden von Bildungs-, Sozial-, Innenministerium und auch vom Bundeskanzleramt erhält und das eigenständig ist. Und dieses Ressort würde ich nach der nächsten Wahl gerne mit einem SPÖ-Minister besetzen.
ÖSTERREICH: Dass die VP Justiz-Versagerin Bandion-Ortner abberufen hat, finden Sie gut?
FAYMANN: Das ist eine Entscheidung der ÖVP. Ich unterstütze die Neuaufstellung aber gerade im Justizressort voll und glaube, dass Beatrix Karl hier für einen Neuanfang steht. Es ist frustrierend, wenn wir letzten Sommer eine enorme Aufstockung der Korruptionsstaatsanwälte beschlossen haben und ich höre, dass angeblich noch nicht einmal alle Posten besetzt sind.
ÖSTERREICH: Gehört zum Tempo auch eine rasche Abschaffung der Wehrpflicht?
FAYMANN: Ich will eine rasche Aussetzung der Wehrpflicht. Michael Spindelegger hat mir versprochen, dass er bis Sommer seine Vorschläge auf den Tisch legt. Und wenn wir uns dann über Sommer nicht auf ein gemeinsames Modell einigen können, kann es im Herbst eine Volksbefragung geben.
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Faymann startet Kuschel-Angriff
Bereits in der Vergangenheit galt das Verhältnis zwischen SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann und dem neuen schwarzen Vizekanzler Michael Spindelegger als prächtig. Im großen ÖSTERREICH-Interview (siehe Seite 1) startet der SP-Chef nun eine neue Kuschel-Attacke. „Michael Spindelegger ist ein Glücksgriff“, schwärmt Faymann und freut sich auf eine „gute Zusammenarbeit“.
In der ÖVP kommen die lobenden Worte nicht ganz so liebevoll an. „Wenn Faymann so weitermacht, kriegt Spindelegger bei unserem Parteitag ein echtes Problem“, ätzten gleich mehrere Schwarze.
Am 20. Mai soll Spindelegger beim ÖVP-Parteitag in Innsbruck schließlich formal von seiner Partei zum Obmann gewählt werden – und sich da schon als starker Vizekanzler positioniert haben. Dazu soll er seine ÖVP aus der Krise führen. Er kündigt gestern erneut seine Schwerpunkte an:
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Steuerreform. Spindelegger will eine Offensive für Familien starten und denkt auch bereits eine neue Steuerreform an (das tut auch Faymann – siehe rechts).
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Sanftere Asyl-Politik. Der VP-Chef will mit seiner neuen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner bei der Zuwanderungspolitik einen „sensibleren“ Kurs starten, vor allem bei der Abschiebung von Familien. „Die Haltung im Vollzug muss geändert werden“, sagte er im ORF. Auch das wird die SPÖ begrüßen. In der Regierung strebt Spindelegger – wie Faymann – eine „sachliche Zusammenarbeit“ an. Trotzdem bleiben Minenfelder:
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Wehrpflicht-Veto. Faymann kündigt in ÖSTERREICH an, dass es im Herbst eine Volksbefragung geben werde, falls die VP die Wehrpflicht nicht aussetzen wolle. Spindelegger sagt hingegen, dass die „Wehrpflicht neu eine Pflicht bleibt“.
- Streit um Schule. Die SP kämpft weiter für die gemeinsame Schule für 10- bis 14-Jährige. Der VP-Chef erklärte Samstag: „Ich bin dagegen. Wir brauchen ein differenziertes System.“
Wird lange gekuschelt?
Faymann in der Kanzler-Frage voran
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Schwacher Start für neue ÖVP - Die Sonntagsfrage
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