Minister Kurz will Zahlen reduzieren und pocht auf Obergrenze.
2015 ist aus Sicht der Integrationspolitik ein "außergewöhnliches" Jahr gewesen. Rund 90.000 Asylanträge wurden gestellt. Das sei einmalig "verkraftbar", mehrere solche Jahre würden Österreich aber unter "Wachstumsstress" stellen, erklärte Heinz Faßmann, Vorsitzender des Expertenrats für Integration am Dienstag. Minister Sebastian Kurz (ÖVP) sah die Notwendigkeit, die Zahlen zu reduzieren.
In Österreich lebten 2015 rund 1,8 Mio. Menschen (21 Prozent) mit Migrationshintergrund (2014: 1,7 Mio.), das geht aus dem neuen Integrationsbericht hervor, der am Dienstag vorgestellt wurde. Der Fokus lag diesmal auf den anerkannten Flüchtlingen. Die rund 90.000 Asylanträge im Vorjahr bezeichnete Kurz dabei als "außergewöhnliche Situation", eine Konsequenz daraus sei ein 50 Punkte umfassender Maßnahmenplan gewesen.
So viele Anträge wie in den letzten fünf jahren zusammen
Der Zuwachs der Personen mit Migrationshintergrund ergab sich 2015 aus den starken internationalen Wanderungsgewinnen Österreichs (+113.067 Personen), deren Ausmaß in einem einzigen Jahr zuletzt 1956/57 durch die Flucht aus Ungarn erreicht wurde, erklärte Stephan Marik-Lebeck von der Statistik Austria. Mit 88.340 Asylanträgen verzeichnete Österreich 2015 so viele Asylanträge wie in den letzten fünf Jahren zusammen (2010-2014: 88.408). Der Großteil der Asylwerber stammte aus Afghanistan, Syrien und dem Irak.
Laut Marik-Lebeck verfügten 17 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund über Deutsch als Muttersprache, weitere sechs Prozent besaßen neben Deutsch eine zweite Muttersprache. Mehr als drei Viertel (77 Prozent) hatten eine andere Muttersprache als Deutsch. Davon beherrschte ein Fünftel (21 Prozent) Deutsch ausgezeichnet, ein Drittel (33 Prozent) verfügte über fortgeschrittene und drei Zehntel (29 Prozent) über durchschnittliche Deutschkenntnisse. Ein Sechstel (17 Prozent) hatte keine bzw. geringe Deutschkenntnisse.
Obergrenze verständlich
Auch Faßmann sprach über 2015 von einem "außergewöhnlichen Jahr", bedeute der Zuwachs doch auch einen Mehrbedarf an Wohnungen, Arbeitsplätzen sowie Ausbildungsplätzen. "Ein außergewöhnliches Jahr ist verkraftbar", stellte Faßmann fest, viele derartige Jahre würden Österreich jedoch unter Wachstumsstress stellen. Die Obergrenze von 37.500 Asylverfahren sei daher "realpolitisch verständlich", meinte der Vorsitzende des Expertenrats.
Faßmann unterschied zwischen "Standardintegration" sowie jener der Asylberechtigten. Bei ersterer habe sich bereits viel weiterentwickelt, so gebe es etwa ein Aufholen bei der Bildungsbeteiligung. Grundsätzlich appellierte er an die Geduld, denn Integration sei ein langfristiges Vorhaben. Das Integrationsklima habe sich nach dem Vorjahr etwas verbessert und während 2010 31 Prozent der Befragten meinten, die Integration funktioniere "sehr gut" oder "eher gut", waren es 2016 fast 48 Prozent.
Laut dem Expertenrat wurde bereits einiges aus dem Maßnahmenpaket umgesetzt. Faßmann nannte beispielhaft etwa den Ausbau der Sprachkurse und der Kompetenzchecks oder das Anerkennungsgesetz. Die Schaffung von Wohnraum oder die gleichmäßige Verteilung auf die Gemeinden sei hingegen noch offen. Zum Thema Mindestsicherung stellte Faßmann fest: "Es kann nicht sein, dass die Bundesländer nicht zu einem abgestimmten Verfahren finden." Wenn dies in einem kleinen Land wie Österreich nicht gelinge, wie soll es dann erst in Europa eine gemeinsame Vorgangsweise geben, so der Vorsitzende. Kurz kann dem Vorschlag einer Wohnsitzpflicht in der Mindestsicherungsdebatte durchaus etwas abgewinnen, er pocht jedoch auf eine Neuregelung der Mindestsicherung und auf einheitliche Standards.
Kurz: Zustrom muss reduziert werden
Für Kurz hängt der Erfolg von Integration von der Zahl der zu Integrierenden ab, der Zustrom nach Österreich müsse daher reduziert werden. Diejenigen Personen, die nun hier sind, müssen integriert werden, so der Minister. Seiner Meinung nach ist ein Vergleich mit den Gastarbeitern vor Jahrzehnten mit der aktuellen Situation nicht möglich. So habe es damals etwa Bedarf an Arbeitskräften gegeben. Heute hingegen sei es schwierig, in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Die Nichtteilhabe sei jedoch ein Problem und könne mitunter zu Radikalisierungstendenzen führen. "Wir brauchen einen Ruck, um die Menschen möglichst schnell in den Arbeitsmarkt oder eine andere Form der Beschäftigung zu bringen", so Kurz mit Verweis auf die Gemeinnützigkeit. Er wolle daher mit Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) in Kontakt treten. Faßmann fand die deutschen "1-Euro-Jobs gar nicht so schlecht", hierbei handle es sich jedoch um eine politische Frage.
Angesprochen auf die Diskussion über die Obergrenze erklärte Kurz, es sollten alle Maßnahmen gesetzt werden, um auf das Erreichen vorbereitet zu sein. Wann genau und ob sie erreicht wird, könne er nicht prognostizieren. Die jüngste Ankündigung von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), wonach der Begutachtungsentwurf am 6. September vorliegen könnte, begrüßt der Integrationsminister. Zum Türkei-Deal warnte Kurz einmal mehr vor einer Abhängigkeit von der Türkei.