Nur 15 Gegenstimmen
Grüner Bundeskongress: 93% für Koalition mit ÖVP
04.01.2020Kogler warb beim Bundeskongress für Zustimmung: 'Zeit ist reif für die österreichischen Grünen' – Die Abstimmung fiel deutlich positiv aus: eine große Mehrheit stimmt für eine Koalition mit der ÖVP.
Salzburg/Wien. Der Weg für die türkis-grüne Koalition ist frei. Bei ihrem Bundeskongress in Salzburg trotzten die Grünen am Samstag allen Befürchtungen und gaben mit 93,18 Prozent der Delegiertenstimmen ihr Ja zum Regierungseintritt und dem Pakt mit der ÖVP. Auch das grüne Regierungsteam wurde abgesegnet. Bundessprecher Werner Kogler hatte für Mut geworben: "Die Zeit ist reif für die österreichischen Grünen."
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Damit kann die erste Bundesregierung Österreichs aus ÖVP und Grünen am Dienstag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt werden.
"Die Grünen - Grüne Alternative (Grüne) tritt in eine Bundesregierung mit der Partei 'Die neue Volkspartei' ein und bestätigt das vorliegende Regierungsabkommen mit dem Titel 'Aus Verantwortung für Österreich'", so der genaue Wortlaut des angenommenen Antrags.
Das Votum der Grünen Delegierten erfolgte mit nur 15 Gegenstimmen. 246 waren dafür, drei enthielten sich. Die Anforderungen des Parteistatuts wurden damit mehr als erfüllt. Ausgereicht hätte die einfache Mehrheit. Noch besser fiel das Votum für das Regierungsteam aus: Hier gab es 99,25 Prozent Zustimmung (mit nur einer Gegenstimme).
Begonnen hatte der Bundeskongress schon am Vormittag, die Delegierten konnten sich drei Stunden lang (unter Ausschluss der zahlreich angereisten Journalisten) über die Details des Pakts informieren. Die Stimmung war trotz mancher Kritik über Zugeständnisse etwa im Sicherheits- und Migrationsbereich relativ gelöst, hatte am Vorabend doch schon der Erweiterte Bundesvorstand einstimmig die Annahme von Koalitionsvertrag und Personal empfohlen.
Öffentlich ging es dann um 13 Uhr los. Bundessprecher (und Vizekanzler in spe) Werner Kogler warb mit einem enthusiastischen Redeschwall für das Wagnis. Fast eine Stunde lang tigerte der Bundessprecher über die Bühne, verteidigte das ausverhandelte Programm und erteilte Rechtsextremen in der Regierung eine Absage.
In Hemdsärmeln betonte er, dass man es sich nicht so leicht gemacht habe wie manche vermuteten. Klar sei: "Wir sind gewählt worden, um Verantwortung zu übernehmen." Es stehe "klassische Pionierarbeit" bevor, und: "Es bleibt ein Risiko, und nichts anderes behaupte ich." In Hinblick auf den Klimaschutz ergänzte er: "Wer nicht kämpft, hat schon verloren."
Nach getanen Abstimmungen schwenkten Kogler, aber auch die designierten Regierungsmitglieder Leonore Gewessler, Rudi Anschober, Alma Zadic und Ulrike Lunacek Blumensträuße. Zum Abschied versprach er eine neue, jedenfalls grüne Welt.
ÖVP-Obmann Sebastian Kurz gratulierte unmittelbar nach der Abstimmung. Auf Twitter sprach der künftige Bundeskanzler von einem "klaren Erfolg" Koglers und der Grünen beim Bundeskongress. "Ich freue mich auf die gemeinsame Zusammenarbeit in der Bundesregierung", schrieb er.
Lob und Kritik für türkis-grünen Pakt beim Bundeskongress
Die Generaldebatte über eine türkis-grüne Regierung beim Bundeskongress der Grünen in Salzburg hat am Samstag sowohl Lob für die Verhandler als auch Kritik am Verhandlungsergebnis gebracht. Die meisten Delegierten, die sich zu Wort meldeten, gingen auf die Chancen einer Regierungsbeteiligung ein. Einigen ging das Abkommen aber nicht weit genug, was Spannung für die Abstimmung zum Pakt versprach.
Grünen-Bundessprecher Werner Kogler hatte das Auditorium in seiner Rede dazu aufgefordert, kritisch zu sein. Das sei ein Alleinstellungsmerkmal der Grünen, sagte er. In den Wortmeldungen gab es dann - auch bei Rednern, die keine Zustimmung zum Pakt ankündigten - Lob für die Verhandler und Dank für den großen Einsatz. Die meisten Delegierten betonten auch, dass es sich beim Regierungsprogramm natürlich um einen Kompromiss handle und dass die Verhandlungen mit der ÖVP kein grünes Wunschkonzert gewesen sind.
Die grüne EU-Delegationsleiterin Monika Vana sagte etwa, sie sei "keine Freundin dieser türkis-grünen Koalition". Trotzdem werde sie zustimmen, gab sie bekannt. "Ginge es nur um diesen Text", hielt sie den Wälzer in die Luft, "würde auch mir die Zustimmung schwer fallen". Aber es gehe nicht nur um diesen Text, sagte sie. "Es geht auch um eine Weichenstellung", spielte Vana vor allem auf die Dialogbereitschaft der Grünen an. Der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz betonte zudem, dass man sich auf europäischer Ebene über jeden vernunftbegabten Minister freue.
Die Abgeordnete Eva Blimlinger machte ebenfalls Werbung für den Pakt. "Natürlich ist es nicht genug, aber es ist das Bestmögliche", verteidgte sie das Programm. Scherzhaft sagte sie, es sei auch nicht die Art der Grünen, "die Krot zu schlucken", denn die Grünen seien eine tierfreundliche Partei und "keine Froschmörder".
Ingrid Felipe, Landeshauptmann-Stellvertreterin in Tirol, brach eine Lanze für die grünen Spitzen, die sich das Regieren antun. "Es ist viel anstrengender zu regieren als in der Opposition zu sitzen", sagte sie. Man bringe aber auch wesentlich mehr weiter, im Sinne der Menschen, im Sinne der Ärmsten und Schwächsten, sagte sie und bat um breite Zustimmung. Die Ex-Abgeordnete Alev Korun sprach sich für "Menschenrechte und Menschenwürde in der Regierung aus". Es sei jetzt nicht an der Zeit, das Regieren türkis-blau zu überlassen.
Kritische Stimmen kamen vor allem von der Grünen Jugend. Das "neoliberale Regierungsprogramm" erfülle die Vorstellungen der jungen Grünen nicht, hieß es etwa von Flora Lebloch. "Die ÖVP wird vor allem beim Klima massiv bremsen", kündigte sie an, Kurz bezeichnete sie als "Blender" und als "autoritären Machtpolitiker".
Kritik betraf auch die Sicherungshaft, den koalitionsfreien Raum beim Thema Migration und Asyl und verschiedene Versäumnisse in Menschenrechtsfragen. Immer wieder wurde von einer "Gewissensentscheidung" gesprochen, die es vielen Rednern nicht möglich mache, zuzustimmen, stellten sie klar.
Einigkeit bestand darin, dass das Regierungsprogramm kein "ideales Ergebnis" ist. Es sei aber auch kein grünes Parteiprogramm, wie Kogler zuvor schon gesagt hatte. Mit der ÖVP sei eben nicht mehr möglich gewesen, nahmen einige den Pakt in Schutz. Trotzdem heiße es jetzt "Brücken bauen" und - ganz nach dem Motto des Bundeskongresses - mutig in die Zukunft zu schauen, vor allen in Sachen Klimaschutz. Das Ergebnis sei jedenfalls ein Zeichen nach außen - je höher, desto besser, hieß es mehrmals.
Der Bundeskongress besteht aus einer Delegation der Landesorganisationen und allen Abgeordneten der Grünen auf Landes-, Bundes- und Europaebene - zusammen exakt 276 Personen. Am Samstag waren 272 stimmberechtigte Personen anwesend. Die Abstimmung fand im Anschluss an die Debatte statt.