Hans Dichand war das Megaphon für die vermeintliche Stimme des Volkes.
Am 1. Mai 2010 ergriff "Cato" zum letzten Mal das Wort: Hans Dichand schrieb unter seinem Leib-Pseudonym in der "Kronen Zeitung" wieder einmal gegen die EU-Politik an. Sein eigener Name erschien am 31. Mai zuletzt unter einem Kommentar. Die letzten Texte eines oft mit dem Adjektiv "genial" versehenen Zeitungsmachers, der sich mit der "Krone" als "Volkszeitung" einen Kindheitstraum verwirklichte und schon mit zwölf Medienmann werden wollte. Wann er beschloss, auch Politik zu machen, ist nicht überliefert. Kampagnen pflasterten den Weg der "Kronen Zeitung", und ein Politiker, der einmal nicht auf das Kleinformat hörte, konnte sich im kleinen Rest der Welt gehöriger Bewunderung gewiss sein.
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Regierung wider Dichand
Wolfgang Schüssel (V) war so jemand. Er
wird vielleicht nicht unbedingt als jener Kanzler, der Jörg Haider
entzaubert hat, in die Annalen der Republik eingehen, auch wenn er sich das
gewünscht hätte. Zumindest als historische Fußnote allerdings wird die
Tatsache bestehenbleiben, dass er im Jahr 2000 seine Schwarz-Blaue Regierung
gegen den Willen des Patriarchen in der Muthgasse bildete. Schon der
Umstand, dass die Koalition von ÖVP und FPÖ in dieser Hinsicht gewissermaßen
als emanzipatorischer Akt betrachtet wurde, sagt viel über das Gewicht der
"Kronen Zeitung" als Politik-Faktor aus.
- Dichand: Österreichs größter Kunstsammler .
Vox Populi
Um dieses wusste Dichand stets Bescheid. Als Megaphon
für die Vox Populi sah er sein Blatt. "Ordnungsrufe" an Politiker wurden
ausgeteilt, Lieblinge gehätschelt, alte Freunde vor dem vermeintlichen
Rufmord gerettet. Im August 2008, mitten im Nationalratswahlkampf, hielt die
"Krone" Rückschau und rühmte sich ihres Einflusses nicht nur in Wahlkämpfen,
ihres Einsatzes "für die Bürger und gegen 'die da oben'". Stationen dieses
"Kampfes", wie es das Blatt formulierte: Vom Wiener Sternwartepark
beziehungsweise gegen seine Abholzung über die Sparbuchsteuer nach
Zwentendorf, Hainburg und weiter zu Kurt Waldheim, genauer für seine Wahl
zum Bundespräsidenten. Weiter ging es etwa gegen Gentechnik und für
bäuerliche Produkte - zahlreiche Politiker, darunter der heutige Vizekanzler
Josef Pröll (V), lächelten mit dem "Bauernmanifest" in die Kamera.
Anti-Temelin-Kampagne
Die Anti-Temelin-Kampagne brachte eine Rüge
des Presserats und Missmut beim Hälfteeigentümer WAZ, jene gegen den
Semmering-Basistunnel entzweite gar die "Krone" selbst, schrieb doch die
Steiermark-Ausgabe fleißig für das Bauvorhaben, die Ausgabe in
Niederösterreich mit Nähe zum dortigen Landeshauptmann Erwin Pröll scharf
dagegen an. Der Leseturm im Wiener Museumsquartier blieb dank "Krone"
Utopie. Manches aber ging auch daneben: Der erbitterte Kampf gegen
EU-Vertrag und später die EU ganz allgemein etwa resultierte mitnichten in
machtvollen Demonstrationen entrechteter Bürger und verbreitete in jüngster
Zeit schon einen Hauch Altersstarrsinn.
Leserbrief-Seite
Ein geflügeltes Wort aus jüngerer Zeit ist in
diesem Zusammenhang der "Leserbrief" des damaligen Kanzlers Alfred
Gusenbauer und des jetzigen Regierungschefs Werner Faymann (beide S) im Jahr
2008: Artig übermittelten sie Dichand, dass sie in Zukunft gerne
Volksabsstimmungen über EU-Verträge hätten. Ein "Kniefall" vor dem greisen
Zeitungszar, wettern die Kritiker (und die ÖVP), der es alsbald reichte, was
dem Land Neuwahlen bescherte. Dass Faymann ein gutes Verhältnis zu Dichand
pflegte, durfte er sich immer wieder vorhalten lassen. Die geneigte
Öffentlichkeit erfuhr im Zuge dessen zum Beispiel, dass der Kanzler den
Herausgeber duzte ("Aber ich sage du, Herr Hans Dichand") und dass Dichand
entgegen angeblicher Gerüchte nicht Faymanns Vater war.
Post für Dichand, dem die Leserbriefseite ("Das freie Wort") besonders am Herzen lag, gab es auch im heurigen Frühling: Die vom ihm favorisierte Barbara Rosenkranz ("Mutige Mutter") empörte im Bundespräsidentschaftswahlkampf mit Aussagen zum Verbotsgesetz. Dichand verlangte von der FPÖ-Kandidatin eine eindeutige Positionierung - und bekam sie. Was er sich wohl auch erwartet hatte.
Politikertreffen
Früher war Dichand für seine konspirativen
Politikertreffen in der Bar am Wiener Ringstraßenhotel Bristol berüchtigt,
und kaum ein regierender Politiker vergaß, Hans Dichand nach seiner Wahl
einen Antrittsbesuch abzustatten. Auch mit dem damaligen Bundespräsidenten
Thomas Klestil ging es öfter auf eine Jause. "Und dann essen wir ein Stück
Gugelhupf und trinken einen Kaffee. Er möchte von mir wissen, was wir denken
über verschiedene Dinge", sagte der Herausgeber einmal über eines dieser
Treffen. Zeugin war auch die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers. Ihre
2002 produzierte Doku "Kronen Zeitung - Tag für Tag ein Boulevardstück"
wurde vom ORF nie ausgestrahlt, diese Aufgabe übernahm der Kulturkanal ARTE.
Der flog daraufhin prompt und unwiederbringlich aus der Programmseite der
"Kronen Zeitung".