Alexander Van der Bellen im großen oe24.TV-Interview vor der Hofburgwahl: Der Bundespräsident über Wahlkampf, Regierung, Putin-Fehler und was er nächste Amtszeit anders machen würde.
Interview. Trotz allen Wahlkampftrubels zeigt sich Amtsinhaber Alexander Van der Bellen im großen oe24.TV-Interview mit Niki Fellner und Isabelle Daniel gelassen. Angesprochen auf frühere Putin-Besuche und Regierungskritik gesteht er Fehler ein, angesichts der steigenden Coronazahlen tendiert er zu Präventivmaßnahmen. Insgesamt blickt er trotz der zahlreichen Krisen optimistisch in eine mögliche zweite Amtszeit.
VdB: »Müssen uns an Wahlkämpfe gewöhnen«
oe24.TV: Der Wahlkampf war sehr ungewöhnlich und wirkte streckenweise inhaltsleer. Warum gab es kaum Themen?
Alexander Van der Bellen: Es sind schon Themen zur Sprache gekommen, der Krieg in der Ukraine und die Folgen für die Preisentwicklung zum Beispiel. Der Bundespräsident ist kein Exekutivorgan in dem Sinne, er repräsentiert Österreich im In- und Ausland. Es ist nicht wie ein Parlamentswahlkampf, wo Parteien mit Programmen antreten; vielleicht haben wir uns noch nicht an diese Art von Wahlkämpfen gewöhnt.
oe24.TV: Warum haben Sie TV-Diskussionen mit anderen Kandidaten abgelehnt? Vielleicht aus Angst?
Van der Bellen: Nein, im Nachhinein schon gar nicht. Wir haben das im Team diskutiert. In der Vergangenheit hat kein Amtsinhaber, der für eine zweite Periode angetreten ist, das gemacht. Es ist eine schwierige Situation, man ist Kandidat und auch Bundespräsident. Da kann man sich nicht an Polemiken beteiligen.
oe24.TV: Haben sich manche Kandidaten dadurch selbst entzaubert?
Van der Bellen: Ernst nehme ich jeden auf seine Weise. Ich glaube nicht, dass sehr viele Leute das Gefühl haben, dass sich die einzelnen Kandidaten im Klaren sind, was das Amt des Präsidenten beinhaltet. Einige treten wohl an, um ihre Follower in den sozialen Medien zu bespielen.
oe24.TV: Einige Mitbewerber wollen die Regierung entlassen; Sie fanden für die Koalition mahnende Worte – warum erst so spät?
Van der Bellen: Man muss bei jedem Einzelfall überlegen, ob man etwas öffentlich sagt oder zum vertraulichen Gespräch lädt.
oe24.TV: Beim Ibiza-Video reagierten Sie schnell, bei der ÖVP sagten Sie lange nichts. Verstehen Sie den Vorwurf der Kritiker?
Van der Bellen: Diesen Vorwurf höre ich immer wieder. Ich dachte, die Justiz soll ihre Arbeit machen. Ich war und bin gegen jede Art der Korruption.
oe24.TV: Also war das nicht, weil Ihnen Türkis-Grün genehmer ist als Türkis-Blau?
Van der Bellen: Very funny, woher hätte ich wissen sollen, dass eine türkis-grüne Regierung rauskommt? Man darf nicht vergessen, wie skandalös dieses Video war, was der damalige Vizekanzler in seinen Aussagen für Ziele offenbart hat.
oe24.TV: Bei der Teuerung meint Minister Rauch, es braucht keine weiteren Maßnahmen, ÖGB-Chef Katzian sieht das anders. Wer von beiden hat recht?
Van der Bellen: Ich tendiere zu Herrn Katzian, die Teuerung betrifft nicht nur die Ärmsten, sondern reicht auch bis in den Mittelstand hinein, da muss man aufpassen.
oe24.TV: Nach dem Angriff auf die Krim wurde Putin von Ihnen mit großem Prunk empfangen. War das ein Fehler?
Van der Bellen: Ich habe mich in ihm getäuscht. Rückblickend ist man immer gescheiter. Jetzt sehe ich, dass er einen imperialistischen Krieg führt. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir haben uns alle geirrt, oder Putin hat sich selbst verändert.
oe24.TV: Auch die Coronazahlen steigen, wiederholt die Politik ihre Fehler nun schon zum dritten Mal?
Van der Bellen: Ob sich das wiederholt, wissen wir nicht, die Zahlen sind beunruhigend. Michael Ludwig hat die richtigen Vorkehrungen getroffen, wie Masken in den Öffis. Ich hoffe, dass das Virus nicht nochmals zulegt, ich würde hier auch auf Präventivmaßnahmen setzen.
oe24.TV: Was würden Sie in Ihrer nächsten Amtszeit anders machen? Was wird das große Thema sein?
Van der Bellen: Anders nicht viel, die Menschen kennen mich, wie ich bin, da muss ich verlässlich sein. Aber natürlich sammelt man Erfahrungen. Kurzfristig wird sicher der Umbau der Energieversorgung das Thema sein. Es ist eine neue industrielle Revolution, die wir vor uns haben.