Harte Kritik
Jean Ziegler attackiert Außenminister Kurz
05.04.2017
Der Globalisierungskritiker attackiert Kurz scharf.
Der Schweizer Globalisierungskritiker Jean Ziegler hat Österreich als international positives demokratisches Beispiel hervorgehoben. "Österreich ist eine unglaublich lebendige Demokratie", so Ziegler im APA-Gespräch am Dienstag. Das Land sei eigentlich ein "Vielvölkerstaat" und habe als Kleinstaat eine "enorme internationale Ausstrahlung". Sorge bereite ihm aber die österreichische Außenpolitik.
Bei den vergangenen österreichischen Präsidentschaftswahlen habe sich Österreich erhoben und sich auch gegen die von der EU praktizierte "kriminelle Flüchtlingsrückweisung" gestellt. Dennoch müsse das Land außenpolitisch wieder zurück zur Linie des ehemaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer kommen. Dieser habe immer gesagt, was zu sagen war.
"Furchtbar"
Die Flüchtlingspolitik von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) kritisierte Ziegler scharf. Kurz sei im Menschenrechtsrat "furchtbar" gewesen und habe ein "Amtsdeutsch", das sicherlich nicht dem österreichischen Geist entspreche. Kurz' Existenz und Weltsicht hätten nichts von "Jugend", sagte Ziegler auch in Bezug auf die von Österreich im Jahr 2016 mitinitiierte Balkankonferenz, die zur Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge geführt habe.
Die Europäische Union habe ein kontinentales Globalprodukt von 11.000 Mrd. Euro und sei damit die größte Wirtschaftsmacht, die es je gegeben habe. Dass 520 Millionen Konsumenten und Produzenten eine Million Flüchtlinge nicht integrieren könnten, sei "absurd" und als Argument "nicht akzeptabel". Er sehe zwar die innenpolitischen Gründe für die nationalstaatliche Flüchtlingspolitik, sagte Ziegler, doch sei die Europäische Union im Begriff, das Asylrecht aufzuheben.
Die EU errichte Mauern, Barrieren und Stacheldrahtzäune, um Männer, Frauen und Kinder, die vor Folter, Verstümmelung und Tod geflohen seien, daran zu hindern, einen Asylantrag zu stellen. Wenn die Bürokraten in Brüssel auf diese Weise hunderttausende verfolgte Menschen in Elend und Verzweiflung zurückstoßen würden, zerstörten sie die Grundlagen, auf denen die Europäische Union errichtet worden sei: "Rechtsstaatlichkeit und Solidaritätsgebot", schreibt Ziegler (82) auch in seinem neuesten Buch "Der schmale Grat der Hoffnung" (C. Bertelsmann Verlag). Was die EU derzeit mache, sei ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".
Es sei bei der Aufnahme von Flüchtlingen natürlich Toleranz gefragt - und diese müsse auch nicht enden, außer es würden Gesetze verletzt, betonte der Schweizer Globalisierungskritiker weiter. Natürlich teile Ziegler gewisse Menschenbilder in keiner Weise (Stichwort: Kinderheirat, Genitalverstümmelung, Gewalt in der Familie, Wahlrecht, Anm.) doch solange die Gesetze des Gastlandes respektiert würden, sei die "kulturelle Differenz eine Bereicherung". Man müsse das kulturelle Verhalten als "kulturelle Singularität" akzeptieren.
Migranten als "Sündenböcke" hinzustellen sei zudem nicht neu. Seit Adolf Hitler sei die "Sündenbocktheorie" eine absolute Keule und sehr verführerisch. Als aktuelles Beispiel führte Ziegler hier den französischen Präsidentschaftswahlkampf an.
Die französische Rechtspopulistin und Chefin der rechtsextremen Front National (FN) erkläre dem Mittelstand, dass sich die Situation nur verbessern werde, wenn die Grenzen geschlossen würden. Hitler habe diese "Sündenbocktheorie" bis zum "absolut totalsten Verbrechen" durchgeführt. Damals seien es die Juden gewesen, heute seien es die Flüchtlinge. Auch hier habe Österreich bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen "den Weg gezeigt", konstatierte der Menschenrechtsaktivist. Ziegler sieht darin eine "Quelle der Hoffnung".
Das Identitätsbewusstsein des Menschen müsse wieder durch Analyse und theoretischen Klassenkampf freigeschaufelt werden. Dann komme automatisch das solidarische, komplementäre Verhalten - und nicht mehr der Konkurrenzkampf sowie die Menschenverachtung.
Die 85 reichsten Milliardäre hätten soviel Vermögenswerte wie 4,5 Mrd. der Ärmsten der Menschheit, erinnerte Ziegler abschließend. Deshalb gelte nach wie vor: "Ein Kind das an Hunger stirbt, wird ermordet."