Kriminalsoziologen
Jeder 2. Vorbestrafte wird nie wieder verurteilt
14.11.2008
Einer Studie zufolge sind Wiederholungstäter nicht die Mehrheit. Interessant: Von den Sexualtätern sind überhaupt nur 4% rückfällig.
Knapp zwei Drittel - exakt 62 Prozent - der von den heimischen Strafgerichten Abgeurteilten werden kein zweites Mal verurteilt. Selbst unter den Vorbestraften bleibt fast jeder Zweite "wiederverurteilungsfrei". Bei Jugendlichen bzw. Einheimischen ist die Wiederverurteilungsrate höher als bei Erwachsenen bzw. Fremden. Diese Studienergebnisse präsentierten die Wiener Kriminalsoziologen Arno Pilgram und Veronika Hofinger am Freitag im Justizministerium.
Ein Jahr Arbeit
Ein Jahr hatten die beiden mit einer
Arbeitsgruppe an dem Projekt gearbeitet, das fundierte Grundlagen für
zukünftige kriminalpolitische Überlegungen liefern soll. Die neue
Wiederverurteilungsstatistik bezieht sich auf sämtliche im Jahr 2003
rechtskräftig abgeurteilten Personen sowie jene, die im selben Jahr aus
unbedingten Freiheitsstrafen entlassen wurden. In weiterer Folge
beobachteten die Wissenschaftler, wie viele Männer und Frauen bis zum 31.
Dezember 2007 neuerlich strafrechtlich schuldig gesprochen wurden.
Wenig Wiederholungstäter
Die vorgelegte Statistik fördert
bemerkenswerte Fakten zutage: Von jenen Personen, die erstmals verurteilt
worden waren, blieben im Beobachtungszeitraum drei Viertel
"wiederverurteilungsfrei". Selbst von den bereits Vorbestraften wurden 46
Prozent nicht mehr schuldig erkannt. Fazit der beiden Forscher: "Die
Justizklientel ist nicht geprägt von Wiederholungstätern". Fast jeder zweite
Vorbestrafte schaffe "den Ausstieg aus der Karriere".
Sexualtäter wiederholen nicht
Von den Wiederverurteilten
wurde im Beobachtungszeitraum die Hälfte nur einmal neuerlich schuldig
gesprochen, immerhin ein Fünftel allerdings öfter als viermal. Bei
Suchtmittel- und Vermögensdelikten war die Rückfallquote am Größten. Das
Gegenteil davon zeigte sich bei Sexualstraftätern: Ein Viertel dieser Männer
wurde wieder verurteilt, allerdings nur vier Prozent innerhalb derselben
Deliktsgruppe.
Harte Strafen bringen's nicht
Je geringer die Strafe ausfällt,
desto geringer die Wahrscheinlichkeit, neuerlich vor Gericht zu landen - das
lässt sich ebenfalls aus der Statistik ablesen. 74 Prozent der zu einer
bedingten Geldstrafe Verurteilten wurden überhaupt nicht mehr verurteilt,
während 35 Prozent der zu unbedingten Haftstrafen neuerlich eine
"Unbedingte" ausfassten.
Bedingte sind sinnvoll
Die Wiederverurteilungsstatistik belegt
deutlich die Sinnhaftigkeit von bedingten Entlassungen: Während 67 Prozent
der Personen, die zum vorgesehenen Zeitpunkt aus der Strafhaft entlassen
wurden, wieder verurteilt wurden, waren es bei vorzeitig auf Bewährung
Entlassenen nur 54 Prozent.
Milde regional unterschiedlich
Regionale Unterschiede stellten
Pilgram und Hofinger bei der Anwendung der Diversion und der bedingten
Strafnachsicht fest. Die Diversionsrate betrug in den Sprengeln der
Oberlandesgerichte Innsbruck und Linz 59 bzw. 56 Prozent, in Graz
demgegenüber nur 45 Prozent. Die bedingte Geldstrafe wurde in Innsbruck
zehnmal häufiger angewandt als in Graz, die unbedingte Freiheitsstrafe in
Graz um ein Drittel häufiger als in Westösterreich.
"Obwohl selektiver verurteilt und milder gestraft wird, zeigen sich im Westen keine höheren Wiederverurteilungsraten als im Südosten", betonen die Studienautoren.
Wenigste Zweiturteile in Wien
Mit 34 Prozent wies der Sprengel
des Oberlandesgerichts Wien die geringste Wiederverurteilungsrate überhaupt
aus. "Das kann zum Teil Resultat einer wenig selektiven und dennoch
strengeren Urteilspraxis sein, aber auch an einer anderen Zusammensetzung
der Verurteiltenpopulation - etwa am höheren Ausländeranteil - liegen",
lautet die Erklärung von Pilgram und Hofinger.