"Genau zuhören"
Kanzler Faymann auf Visite in Israel
23.06.2010
Nahost-Reise gestartet: Am Mittwoch steht noch ein Treffen mit Netanyahu an.
"Wir vertreten die Position der EU in alle Punkten, wollen aber auch genau zuhören, welche Schattierungen es zum politischen Friedensprozess hier gibt." Das erklärte Bundeskanzler Werner Faymann (S) am (heutigen) Mittwoch zu Beginn seines zweitägigen Besuch in Israel und dem Westjordanland, wo Treffen mit israelischen und palästinensischen Spitzenpolitikern am Programm stehen.
Der österreichische Bundeskanzler hat im Beisein von dort engagierten österreichischen Gedenkdienern die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und aus Österreich stammende Pensionisten (The Central Commitee of Jews from Austria in Israel) besucht. Faymann wird bei seiner Reise unter anderen vom Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, und der designierten Direktorin des Jüdischen Museums Wien, der bisherigen ORF-Moderatorin Danielle Spera, begleitet. Auch der Schriftsteller Robert Menasse ist in der Delegation dabei.
(c) EPA
Faymann besucht die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem
Am Mittwochnachmittag hat Faymann in Jerusalem das Österreichische Hospiz in der Via Dolorosa besucht. Im Hospiz, wo Faymann einen Privatbesuch absolvierte, wurde der Bundeskanzler von Rektor Markus Bugnyar begrüßt und durch das historische Gebäude im Herzen der Jerusalemer Altstadt geführt.
Haltung der EU vertreten
Er werde die Haltung der EU in den
Fragen "Zwei-Staaten-Lösung", "Siedlungsbau" und "Hilfsflotte" vertreten,
meinte der Bundeskanzler vor seinem ersten Treffen, das ihn mit
Außenminister Avigdor Lieberman zusammenbrachte. Da auf der Reise aber
weitere Gespräche mit Vertretern unterschiedlicher politischer Richtungen
vorgesehen sind, gebe es so die Möglichkeit, die unterschiedlichen
Positionen zum Friedensprozess in Nahost kennenzulernen und dann zu
analysieren.
(c) APA
Werner Faymann und Israels Außenminister Avigdor
Liberman
Weiters stellte Faymann klar, dass er im Rahmen seines zweitägigen Aufenthalts auch die vom früheren Bundeskanzler Franz Vranitzky (S) geäußerte Position über die Verantwortung Österreichs während des Nationalsozialismus und die Rolle als "Opfer und Täter" vertreten werde. Vranitzky hatte 1993 in einer Rede an der Hebräischen Universität zu Jerusalem ein historisches Bekenntnis zur österreichischen Mitverantwortung für die Opfer des Nationalsozialismus abgelegt.
Dabei gelte es aber auch, Ableitungen für Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten würde radikaler debattiert. Es müsse aber jeder Suche nach Sündenböcken entgegengetreten werden, so der Kanzler.
Treffen mit Netanyahu
Am Mittwoch waren unter anderem
Unterredungen mit Israels Premier Benjamin Netanyahu (Likud) und
Oppositionschefin Tzipi Livni (Kadima) vorgesehen, am Donnerstag befinden
sich unter den Gesprächspartnern Israels Präsident Shimon Peres sowie von
palästinensischer Seite Präsident Mahmoud Abbas (Abu Mazen) und
Ministerpräsident Salam Fayyad.
Israel stand in den vergangenen Wochen wegen der gewaltsamen Erstürmung des zur "Gaza-Solidaritätsflotte" zählenden türkischen Passagierschiffs "Mavi Marmara" durch die Armee im Mittelpunkt der internationalen Kritik. Bei der Aktion am 31. Mai waren neun Aktivisten getötet und Dutzende verletzt worden. Österreich hatte sich "bestürzt" gezeigt.
Weltweite Proteste hatten in Folge dazu geführt, dass die israelische Regierung eine Lockerung der Blockade des Gazastreifens ankündigte. Dies wurde wiederum von Oppositionschefin Livni als "politische Blindheit" kritisiert.
Rolle der EU und Österreichs im Friedensprozess
Faymann ist
laut Kanzlerbüro der erste Regierungschef, der Israel seit dem Vorfall
besucht. Der Bundeskanzler hatte "eine umfassende Untersuchung und eine
lückenlose Aufklärung der Vorfälle" gefordert. Dafür ist aus
österreichischer Sicht auch eine internationale Beteiligung erforderlich.
Die von Israels Regierung beschlossene Einsetzung einer
Untersuchungskommission wird als "positiver Schritt" gewertet. Bei den
geplanten Treffen soll auch die Rolle der EU und Österreichs im
Friedensprozess thematisiert werden.
Der Visite kommt auch eine besondere Bedeutung zu, weil Österreich noch bis Ende 2010 nicht-ständiges Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat ist. Mitte Juni hatten die Vereinten Nationen der israelischen Regierung vorgeworfen, mit ihrer Politik im Gazastreifen gescheitert zu sein.
Programm auf zwei Tage verkürzt
Von islamischen und
pro-palästinensischen Organisationen und auch von SPÖ-Gemeinderat Omar
al-Rawi war Faymann zur Absage der Israel-Reise aufgefordert worden. So weit
kam es nicht, allerdings wurde das ursprünglich angedachte Programm auf zwei
Tage verkürzt und der "politische Schwerpunkt verstärkt", wie es im Vorfeld
der Reise aus dem Kanzlerbüro hieß. Faymann wird während seiner Reise auch
mit Außenminister Avigdor Lieberman, Justizminister Yaakov Neeman und
Sozialminister Yitzhak Herzog zu Gesprächen zusammenkommen.
Neben der internationalen Dimension des Besuchs ist auch der bilaterale Charakter wichtig. So legt Faymann gleich zu Beginn seines Aufenthalts in Israel am Grab von Theodor Herzl einen Kranz niederlegen. In Israel wird das Andenken an den vor 150 Jahren (2. Mai 1860) in Budapest geborenen "Vater des Zionismus", der lange Zeit in Wien lebte, in jüngster Zeit wieder stärker gepflegt. Seit fünf Jahren ist sein Geburtstag, der 10. Iyar nach dem jüdischen Kalender, Staatsfeiertag.