Interview
Kanzler will Flüchtlinge neu verteilen
02.05.2015Gleiche Flüchtlings-Quote für jedes EU-Land – Lehrer bald 2 Stunden mehr in der Schule.
m großen 1. Mai-Feiertags-Interview spricht Kanzler Faymann mit ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner über die Vorhaben und Pläne der Regierung. Im ersten Teil am Freitag kündigte der Kanzler eine Regierungs-Initative – gemeinsam mit den Sozialpartnern – für eine sechste Urlaubswoche und eine Verkürzung der Arbeitszeit in Richtung 35-Stunden-Woche an. Und er gab erstmals Details zu jener Klage bekannt, mit der Österreich bei der EU jede Subvention für neue Atomkraftwerke in Großbritannien blockieren will.
Im heutigen zweiten Teil des Interviews kündigt Faymann eine österreichische Initiative zur gerechteren Verteilung von Asyl-Flüchtlingen in der EU und eine große Schulbau-Offensive für 2016 an. Und er bekräftigt: Lehrer müssen in Zukunft zwei Stunden mehr in den Klassen sein.
ÖSTERREICH: Unzählige tote Flüchtlinge, und die EU schaut zu. Gleichzeitig werden die Asylwerber immer einseitiger verteilt …
Werner Faymann: Genau darum geht es – dass wir nicht länger zusehen, wie das Mittelmeer das größte Grab der Menschheit direkt vor den Toren Europas wird. Wir haben in der Geschichte viel zu oft weggeschaut – deshalb muss rasch etwas geschehen.
ÖSTERREICH: Was konkret?
Faymann: Wir haben in der EU als ersten Schritt die Mittel für die Seenotrettung einmal verdreifacht. Das wird nicht reichen – wir werden sie wohl noch einmal verdoppeln müssen. Aber auch Angela Merkel hat gesagt: Am Geld wird es nicht scheitern. Wir haben die technischen Mittel – Radar, Hubschrauber – sodass kein Mensch mehr im Mittelmeer sterben muss. Und wir Österreicher zeigen ja mit der Bergrettung, wie professionell man Menschen in Not selbst in entlegensten Gebieten helfen kann. Also das wird man mit Geld und Einsatz lösen können. Aber das kann nur der erste Schritt zu einer großen Lösung sein.
ÖSTERREICH: Und was wäre die große Lösung?
Faymann: Das, wofür ich jetzt in der EU kämpfen werde, soll eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge sein. Wir haben derzeit in der EU das in meinen Augen völlig absurde „Dublin-Abkommen“, wonach die Flüchtlinge in jenem Land aufgenommen werden müssen, wo sie zuerst ankommen. Das würde bedeuten, dass Malta, Italien und Griechenland alle Mittelmeerflüchtlinge aufnehmen müssen – was sie ja gar nicht können. Deshalb geben diese Länder den ankommenden Flüchtlingen derzeit eine Fahrkarte nach Wien, München oder Berlin. Ich will jetzt rasch eine EU-weite Regelung erreichen, dass sich künftig alle 28 Länder bereit erklären, Flüchtlinge nach einem Bevölkerungsschlüssel aufzunehmen – es soll eine Flüchtlingsquote für jedes Land geben. Wobei das natürlich nur für Kriegs- und Asyl-Flüchtlinge gilt. Wirtschaftsflüchtlinge wollen und können wir nicht aufnehmen.
ÖSTERREICH: Das würde heißen: Jedes EU-Land nimmt 1 bis 2 % seiner Bevölkerungszahl auf?
Faymann: Genau. Es soll – eventuell unter Leitung des UNHCR – in den Ankunftsländern Zentren geben, die Flüchtlinge nach einer festgelegten Quote auf alle EU-Länder verteilen.
ÖSTERREICH: Innenministerin Mikl-Leitner will diese Zentren bereits in Nordafrika errichten.
Faymann: Natürlich wäre es theoretisch am besten, diese Zentren gleich in Nordafrika zu haben, damit niemand in ein Schlauchboot steigen muss. Aber das ist kurzfristig nicht realisierbar, weil es keinerlei Bereitschaft der afrikanischen Länder gibt, da mitzumachen. Wir müssen sehr rasch realistische Lösungen angehen.
ÖSTERREICH: Sollen die Lehrer in Zukunft zwei Stunden länger arbeiten? Michael Häupl hat gesagt, bei 22 Stunden Arbeit ist er Dienstagmittag fertig!
Faymann: Ich bin der Meinung: Die Lehrer arbeiten genug und mit hohem Einsatz! Aber es führt kein Weg daran vorbei, dass sie künftig zwei Stunden mehr pro Woche in der Klasse sind. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir endlich in hoher Zahl ganztägige Schulformen mit verschränktem Unterricht anbieten können.
ÖSTERREICH: Zwei Stunden mehr Unterricht sind also fix?
Faymann: Da führt kein Weg daran vorbei. Aber dafür müssen alle Lehrer auch einen Arbeitsplatz in der Schule haben. Wir können ja schlecht von den Lehrern verlangen, dass sie ganztägig in der Schule sind, aber ihnen keinen Arbeitsplatz, keinen Computer und Schreibtisch geben. Deshalb brauchen wir eine große Schulbau-Offensive, damit jeder Lehrer einen modernen Arbeitsplatz in seiner Schule bekommt.
ÖSTERREICH: Wann soll diese Schulbau-Offensive kommen?
Faymann: Wir arbeiten an dieser Schulbau-Offensive als gemeinsame Initiative der Regierung. Da gibt es sehr positive Signale des Koalitionspartners, auch der Wirtschaft. 2016 wird das Jahr der großen Steuersenkung und soll auch der Startschuss für die große Schulbau-Offensive werden, wo wir in großem Ausmaß ganztägige Schulen mit verschränktem Unterricht starten wollen. Es soll überall möglich sein, die Hausaufgaben in der Schule zu machen, Förderkurse zu bekommen, kein Kind soll mehr eine von den Eltern bezahlte Nachhilfe brauchen. Ich erwarte mir bis zum Spätherbst die große Einigung bei der Bildungsreform.