Der Kanzler wirbt um Verständnis für Schwenk seines Vorgängers in der Flüchtlingsfrage.
Nach dem schweren Zerwürfnis zwischen Berlin und Wien haben die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr neuer österreichischer Amtskollege Christian Kern Gemeinsamkeiten in der Flüchtlingspolitik betont. Merkel und Kern forderten nach einem Treffen in Berlin eine faire Verteilung der Flüchtlinge in der Europäischen Union.
Solidarität in Europa
Kern kritisierte, es sei nicht akzeptabel, dass einige Länder dies nicht akzeptierten. "Hier geht es darum zu beweisen, dass Europa ein solidarisches Projekt zu sein hat", verlangte Kern. Es gehe darum, wie das Thema Solidarität in der EU definiert werde.
Merkel und Kern sprachen von einem freundschaftlichen Verhältnis beider Länder. Wenn es unterschiedliche Meinungen gebe, habe man gelernt, sich "in gepflegter Art und Weise" darüber auszutauschen. Beide Politiker hoben die gemeinsamen Ansätze beim Schutz der Außengrenzen und im Kampf gegen die Fluchtursachen hervor. Merkel sagte, besonders die Situation in Libyen werde dabei noch viel Kraft kosten.
Gutes Verhältnis
Merkel hatte Kern bereits kurz nach seinem Amtsantritt vollen Einsatz für ein gutes Verhältnis beider Ländern zugesichert. Es handelte sich um den Antrittsbesuch Kerns, nachdem er im Mai dem zurückgetretenen Kanzler Werner Faymann (SPÖ) nachgefolgt war. Mit Faymann war es zum Zerwürfnis beim Flüchtlingsthema gekommen. Im vergangenen Jahr hatte er zunächst gemeinsam mit Merkel eine liberale Flüchtlingspolitik betrieben, im Frühjahr war er dann drastisch umgeschwenkt.
Kern warb bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel um Verständnis für den Schwenk seines Vorgängers. Dazu sei es gekommen, weil sich die "ursprünglichen Einschätzungen als falsch herausgestellt haben". Man habe nicht mit einem solchen "Anstrom gerechnet", und die Stimmung sei gekippt. Es sei darum gegangen, "die Probleme so zu lösen, dass die Bevölkerung zumindest zum Teil dahinter steht".
Sicherung der Außengrenzen
Merkel und Kern zeigten sich einig, dass die Sicherung der Außengrenzen verbessert werden müsse und man sichere Fluchtwege nach Europa brauche. Das werde man auf der nächsten Westbalkankonferenz, die Anfang Juli in Paris stattfindet, erörtern. Merkel: "Die Frage, wer von den Flüchtlingen nach Europa kommt, dürfen nicht die Schlepper bestimmen."
Der österreichische Kanzler forderte weiter, dass Vereinbarungen mit Afrika, speziell Libyen zu treffen seien, analog zu den Abmachungen mit der Türkei. Auf die Frage, ob Österreich durch seinen eigenen Kurswechsel auf die harte Linie die Situation in Deutschland entlastet habe, sagte er. "Dankbarkeit ist bekanntlich keine politische Kategorie. Ich sehe aber auch keinen Anlass dazu."
Kern nahm seinen Vorgänger Werner Faymann in Schutz. Die Einschätzung in Österreich über die Flüchtlingsströme habe sich als falsch herausgestellt, mit dem Ausmaß habe man nicht gerechnet. Zwar habe Österreich als eines der reichsten Länder seine humanitäre Verpflichtung, vor der es sich nicht drücken dürfe. Aber es müsse Probleme politisch so lösen, dass die Bevölkerung, zumindest zum gewissen Teil, auch dahinterstehen könne. Aus der Sorge um das Verständnis der eigenen Bevölkerung sei die Vorgangsweise seines Vorgängers zu verstehen, sagte Kern.