Der Kanzler über das VP-Ultimatum, Zank in der Regierung, Migration und CETA.
ÖSTERREICH: Was hat der Migrations-Gipfel gebracht?
Christian Kern: Wir haben in Wien jetzt erstmals Klartext gesprochen. Das ist gut so. Mit diplomatischen Erklärungen allein werden wir nicht weiter kommen. Nach Deutschland sind seit April trotz Restriktionen 50.000 Menschen über die Balkanroute gekommen, nach Österreich 18.000. Das ist zu viel. Wir müssen die EU-Außengrenzen einfach besser absichern und dabei auch Ausweichrouten bedenken. Aber das alleine reicht nicht für eine Lösung. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Flüchtlinge möglichst in der Nähe ihrer Herkunftsländer betreut werden können. Das ist effizienter und kostengünstiger, als wenn wir erst am Brenner damit beginnen.
ÖSTERREICH: Sie wollen, dass EU-Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen, mehr zahlen?
Kern: Jeder muss einen Beitrag leisten. Natürlich bietet das Konfliktpotenzial. Aber wie soll ein Österreicher verstehen, dass wir Nettozahler sind und andere Länder, die Nettoempfänger sind, nichts machen wollen. So geht es nicht.
ÖSTERREICH: Wie geht es mit CETA weiter?
Kern: Ich bin ein Anhänger des Freihandels, aber CETA geht weit über den Handel hinaus. Mir geht es darum, Sozial- und Umweltstandards abzusichern. Ohne das gibt es von mir keine Zustimmung. Es zeigt sich auch, dass es hier nun Bewegung gibt, unser kritisches Beharren zahlt sich aus. Wir haben offene Fragen in der Koalition. Aber ich halte die Debatten über CETA für Spiegelfechterei. Auch der Vizekanzler sagt, er wolle Garantien für Sozialstandards. Da sind wir nicht so weit auseinander. Ich sage noch dazu, dass ich mich nicht mit Sonntagserklärungen der EU-Kommission zufriedenstellen lassen. Trotz großen Drucks von Kanada und der EU.
ÖSTERREICH: Der Koalitionsstreit dominiert …
Kern: Die letzten Wochen waren von völlig falschen Diskussionen geprägt und waren nicht gut. So funktioniert es nicht. Sie werden aber von uns trotzdem keine persönlichen Angriffe gegen den Vizekanzler oder VP-Minister finden.
ÖSTERREICH: Sie wurden persönlich angegriffen?
Kern: Ja, und das ist wirklich eine Stilfrage. Wenn die ÖVP sagt, mein Essay zur Frage, was falsch läuft in Europa, sei eine Stilfrage, muss ich mich wundern. Da haben sich einige offenbar aus Angst vor dieser inhaltlichen Diskussion über eine sozial gerechte Gesellschaft auf uns eingeschossen.
ÖSTERREICH: Aber wie kann diese Koalition noch funktionieren, wenn Ihr Essay bereits so einen Streit auslöst?
Kern: Das ist mehr Wahltaktik als Inhalt. Auch Barack Obama hatte vor den Auswüchsen des Kapitalismus gewarnt. Mir geht es darum, öffentliche Investitionen zu tätigen, um auch private Investitionen anzukurbeln. So stärkt man den Wirtschaftsstandort und die Kaufkraft. Ich kann nur jedem in dieser Regierung raten, an den eigenen Erfolgen zu arbeiten, statt nur daran, Erfolge der anderen verhindern zu wollen.
ÖSTERREICH: Die ÖVP misstraut Ihnen ...
Kern: Die ÖVP muss sich entscheiden, ob sie mit uns für das Land arbeiten will. Wir sind bereit, bis 2018 ernsthaft zu arbeiten. Mein Ziel ist es, die Reformen, die wir uns vorgenommen haben, rasch umzusetzen.
ÖSTERREICH: Mitterlehner hat Ihnen ein Ultimatum gesetzt: Reformen oder Koalitions-Aus.
Kern: Mein wichtigstes Ziel ist es, die Wirtschaft zu stimulieren und die Kaufkraft zu erhöhen. Wenn er das ernst meint: bitte, wir sind dabei.
ÖSTERREICH: Viele rätseln, wofür Sie wirklich stehen.
Kern: Ich stehe für Lösungen, die funktionieren, für Wirtschaft und sozialen Ausgleich.Ideologie interessiert mich weniger. Ich lasse mich nicht in ideologische Kasterl stecken.