Neuer SPÖ-Chef: Letzte Chance für Neustart, sonst verschwinden Großparteien zu recht von der Bildfläche.
Der frisch gewählte SPÖ-Chef Christian Kern hat in seinem ersten Medien-Auftritt den Willen zur Zusammenarbeit mit der ÖVP hervorgestrichen: "Wir werden unsere Hand ausstrecken insbesondere gegenüber unserem Koalitionspartner", kündigte er in einer Pressekonferenz nach dem Parteivorstand an.
Kern betonte, er sehe keinen Sinn darin, dem anderen keinen Millimeter Erfolg zu gönnen. Mit diesem neuen Stil hofft er, gemeinsam mit der Volkspartei einen guten Start hinzulegen. Sein "Plan für Österreich" sieht abseits der üblichen Kurzatmigkeit vor, das Land bis 2025 wieder auf die Überholspur zu bringen. Österreich habe ja jede Voraussetzung, wieder zu einem Vorzeigestaat in Europa zu werden.
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Sehr, sehr guter Eindruck
Er habe nach ersten Gesprächen mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) einen sehr, sehr guten Eindruck, auch was eine neue Form der Zusammenarbeit angehe. Für den designierten Kanzler ist diese auch unausweichlich: "Sonst verschwinden die Großparteien von der Bildfläche - und wahrscheinlich zu Recht."
Als Antrieb für die Übernahme der neuen Ämter, zu denen er mit voller Überzeugung ein klares Ja gesagt habe, sieht er die Inhaltslosigkeit der vergangenen Monate. Würde man so weitermachen mit einer Politik der "Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit", würde es nur noch wenige Monate bis zum Aufprall dauern.
Einen Schwerpunkt will Kern bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze in Verbindung mit einer Ankurbelung der Wirtschaft über einen "New Deal" setzen. Dabei wird der künftige Kanzler auch versuchen, wieder mehr Optimismus aufkommen zu lassen. Denn die größte Wachstumsbremse sei die schlechte Laune.
"Frisch gebackener Politiker"
Sich selbst schilderte Kern als "frisch gebackenen Politiker", der gerade erst einen Schnellsiedekurs über politische Rituale und Mechanismen erhalten habe. Man möge ihm also noch ein wenig Zeit geben, wieder Lockerheit zu gewinnen. Als SPÖ-Chef will er jedenfalls die "Fenster öffnen" und frische Luft in die Sozialdemokratie wehen lassen, damit diese wieder auf die Höhe der Zeit komme. Am meisten Kraft habe die SPÖ immer gehabt, wenn sie für Demokratisierung und Modernisierung gestanden sei.
Die Vorstellung Kerns hatte Wiens Bürgermeister Michael Häupl übernommen, der des neuen Kanzlers Personal als "großartig" bewertete. Er will Kern an der Parteispitze noch bis zum Parteitag am 25. Juni begleiten. Der zweite in diesem Jahr geplante Parteitag im November soll sich dann der Programmatik, der Organisationsreform und der Frage widmen, wie die Partei wieder "kampffähig" gemacht werden könne.
Keine eindeutige Abgrenzung zur FPÖ
Die SPÖ dürfte unter Kern ihre bisherige klare Abgrenzung zur FPÖ offenbar aufgeben. Nach allfälligen Koalitionen mit der FPÖ gefragt, verwies der designierte SP-Chef auf einen noch zu erarbeitenden Kriterienkatalog, der Koalitions-Bedingungen festschreiben soll. Fix sei, dass die SPÖ nicht mit Parteien zusammenarbeitet, die hetzen, und dass die Partei nicht um jeden Preis in eine Koalition geht.
"Wir arbeiten nicht mit Parteien zusammen, die gegen Menschen und Minderheiten hetzen. Punkt.", sagte der Ex-ÖBB-Chef zu seiner Positionierung. Gleichzeitig stellte er klar, dass es mit ihm keine Koalition um jeden Preis geben wird: "Aus meiner Sicht ist sonnenklar, dass Grundsätze vor reinem Machterhalt stehen", betonte Kern.
Der künftige SPÖ-Vorsitzende verwies auch darauf, dass die Abgrenzung zur FPÖ ja schon heute nicht in allen SPÖ-Teilorganisationen gelebt wird. Der entsprechende Parteitagsbeschluss werde nicht überall eingehalten, sagte er mit Blick auf Koalitionen etwa im Burgenland, aber auch auf niedrigerer Ebene. Gleichzeitig betonte Kern, dass es künftig das Ziel der SPÖ sei, den Kurs klar vorzugeben: "Wir wollen den Führungsanspruch stellen, alle anderen haben sich an uns zu orientieren." Und das wichtigste sei: "Grundsätze müssen vor Machterhalt stehen."
Flüchtlingsbeschlüsse
In der Flüchtlingsthematik verwies Kern auf die in der Regierung bestehenden Beschlüsse. Es gelte, der Problematik mit Menschlichkeit und Humanität zu begegnen und gleichzeitig das Bedürfnis der Bevölkerung nach subjektiver Sicherheit ernst zu nehmen. Wichtig sei nun vor allem, den Fokus auf Integrationsmaßnahmen zu legen.
Die SPÖ sieht er in der Flüchtlingsfrage nicht so weit auseinander, wie so mancher Beobachter. In Wahrheit würden die Positionen innerhalb der Partei sehr nahe beieinander liegen, meinte er. Denn es bestehe das Prinzip, "für Menschenrechte zu stehen, aber auch Ordnung und Sicherheit zu beachten".
SPÖ in "die Breite führen"
Gefragt, ob er mit dem Umbau im SPÖ-Regierungsteam nun sein Wunschteam am Start stehe, sagte Kern, es sei seine Aufgabe gewesen, die gesamte Breite der Gesellschaft abzudecken. Er wolle die SPÖ "nicht in die Mitte, sondern in die Breite" führen. Es selbst nehme es für sich in Anspruch, für die Wirtschaft zu stehen, aber auch die Bereiche Kunst und Kultur, Migration sowie Wissenschaft und Forschung galt es abzudecken.
Der künftige Kanzleramtsminister Thomas Drozda sei "einer der renommiertesten Kulturmanager", betonte Kern. Und dass mit der neuen Staatssekretärin Muna Duzdar erstmals eine Frau mit migrantischem Hintergrund in der Regierung sei, sei ein "ganz bewusstes und wichtiges Zeichen". Verkehrsminister Jörg Leichtfried kenne er schon aus dessen Arbeit aus dem EU-Parlament. Besonders freue ihn, dass es mit Sonja Hammerschmid gelungen sei, die erste weibliche Vorsitzende der Rektoren-Konferenz für das Amt der Bildungsministerin zu gewinnen.
Für seine Absicht, möglichst breite Ansichten innerhalb der Partei im Regierungsteam abzubilden, steht auch der Verbleib von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Dieser sei "ein wichtiger Repräsentant einer gewissen Haltung in der SPÖ", sagte Kern. Dass es im Vorfeld einige mediale Absagen für ein Ministeramt gegeben hatte, nahm Kern mit Amüsement zur Kenntnis: "Das hat mich ein bisschen überrascht, weil etliche, die abgesagt haben, habe ich nie gefragt."
"Wähle Van der Bellen"
Eine klare Ansage machte Kern für die Bundespräsidentschaftswahl am kommenden Sonntag: "Ich wähle Alexander Van der Bellen." Ob das auch eine Wahlempfehlung der SPÖ ist, ließ er Michael Häupl beantworten. Dieser sagte, die SPÖ gebe keinen Wahlempfehlung ab, aber es sei jedem klar, dass der Großteil der Sozialdemokratie FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer nicht wählen werde. Und: "Ich wähle Van der Bellen", so der Bürgermeister.