"Volkskanzler"-Traum

Kickl steht vor dem Kanzleramt

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Herbert Kickl ist der Kanzlerschaft nahe wie nie zuvor. Nachdem die ÖVP eine 180-Grad-Kehrtwende vollzogen hat und sich dem FPÖ-Obmann als Koalitionspartnerin andient, steht der selbst ernannte "Volkskanzler" quasi schon am Ballhausplatz. 

Mit ihm dürfte in Österreichs Regierungspolitik ein bisher unbekannter Ton einkehren. Denn aggressive Rhetorik prägte den Weg des Kärntners an die Spitze der Bundespolitik.

Kickl, der lange als Mann der zweiten Reihe galt, hat erkannt, dass man derzeit politisch sehr weit gehen kann, ohne den Wählerzuspruch zu verlieren. Versuchten seine Vorgänger an der Spitze der FPÖ noch, in die politische Mitte vorzudringen, schob Kickl die Freiheitlichen immer weiter nach rechts. Eine wissenschaftlich mäßig fundierte Corona-Politik nützte ihm, lange fehlende inhaltliche Konzepte schadeten rein gar nichts.

Kickl machte rechten Rand dicht

Was Kickl, der selbst nicht unbedingt als Sympathieträger taugt, für die FPÖ so wertvoll machte, war, dass er den rechten Rand dicht machte. Während links der Mitte ein Gerangel unterschiedlicher Parteien begann und der ÖVP mit den NEOS ein lästiger Kontrahent erwachsen war, gemeindete der FPÖ-Chef alles, was weit rechts ist, in die Freiheitlichen ein. Anfangs erfolgreiche Listen wie die MFG verkümmerten angesichts der Kicklschen Positionierung zur Bedeutungslosigkeit.

Strategie ist das, was den vormaligen Gag-Schreiber Jörg Haiders stets auszeichnete. Kickl galt als langjähriger Generalsekretär unter Heinz-Christian Strache als famoser Wahlkampf-Manager, der stets mit dem Mittel der Provokation arbeitete. Persönlich nach vorne drängte er, der keinen Wert auf Glamour oder Liebe der Society legt, lange nicht.

Abberufung als Innenminister

Unter Schwarz-Blau hätte er, sagen Parteikollegen, auch mit dem Klubobmann-Sessel genug gehabt. Doch er wurde ins Innenministerium beordert, wo Kickl mehr mit asylkritischer Symbolik als tatsächlichen Erfolgen im freiheitlichen Sinne glänzte. Der ÖVP war er damals schon zu unberechenbar, weshalb man ihn im Zuge der Ibiza-Affäre gleich los werden wollte und aus der Regierung werfen ließ.

Das dürfte in Kickl einen bis dahin nicht gekannten Ehrgeiz ausgelöst haben. Mehr als unsanft drängte er den politisch eher sanften Norbert Hofer von der Parteispitze und positioniert die FPÖ einigermaßen brachial rechts. Neben der bekannten Anti-Ausländer-Politik und dem Kampf gegen "Wokeness" diente speziell der Widerstand gegen Corona-Maßnahmen als blauer Turbo. Die Ironie daran, dass Kickl selbst als erster einen Lockdown gefordert hatte, sah kaum jemand. Dass er ein Entwurmungsmittel als Behandlungsalternative zur Impfung bewarb, störte die Wählerschaft sichtlich auch nicht.

Umstrittene Ukraine-Politik

Von Corona ging es gleich weiter zum Ukraine-Krieg, wo die FPÖ die militärische Unterstützung Kiews vehement ablehnte. Einer per Video übertragenen Parlamentsrede des ukrainischen Präsidenten blieben die Freiheitlichen gleich ganz fern, was sie jedoch nicht daran hinderte, den Vorwurf der Russland-Freundlichkeit empört zurückzuweisen. Den letzten Schub in der Wählergunst brachte zuletzt noch die Teuerung.

Doch Kickl ist Stratege genug zu wissen, dass man die ÖVP schon auch locken muss. Galt der verheiratete Vater eines Sohnes, der in einer Arbeiterfamilie aufwuchs, bis dahin eher als Sozialpolitiker, präsentierte er im Wahlkampf dann ein Wirtschaftsprogramm, dass Industrielle mit der Zunge schnalzen ließ. Dies war strategisch wohl sein schlauester Zug. Mit der Karotte von Steuersenkungen vor der Nase wollte der Wirtschaftsflügel dann noch weniger auf ein schwieriges Duett mit der SPÖ eingehen und ließ die ganze Volkspartei ihre bis dahin gemachten Festlegungen schnell vergessen.

Starke Position für Kickl

Dass es der 56-Jährige der ÖVP jetzt billig gibt, gilt als unwahrscheinlich. Im Gegensatz zu anderen in seiner Partei hat er weder Sympathien für die Volkspartei noch wirklich tragfähige Beziehungen zu ihr. Außerdem hat Kickl das Ass im Ärmel, dass Neuwahlen wohl niemandem so nützen würden wie seiner Partei. So wird die ÖVP viele bittere Pillen zu verspeisen haben. Zur Erinnerung: Die FPÖ will beispielsweise raus aus Skyshield und die Ukraine-Hilfen sistieren. Dulden wird man auch Kickls Reden müssen. Der FPÖ-Chef, der einst Philosophie studierte, neigt zu ausschweifenden Vorträgen.

Einen Society-Kanzler wird man mit Kickl nicht erleben. Privat lebt er, der das Bad in der Menge mehr durchleidet als liebt, sehr zurückgezogen. Seine Leidenschaft gilt den Bergen, wo er seine Gipfelsiege gerne über die sozialen Medien seiner Anhängerschaft mitteilt. Damit verbunden ist auch das einzige heimische Problem, von dem er in einem Interview vor der Wahl zu berichten wusste. Seiner Frau macht es wenig Freude, wenn er mit schmutzigen Wanderschuhen durch das gemeinsame Heim in Niederösterreich stapft. Zumindest das wird der ÖVP egal sein.

Zur Person: Zur Person: Herbert Kickl, geboren am 19. Oktober 1968, verheiratet, ein Sohn. Geschäftsführer freiheitliche Akademie 2002-2006, Generalsekretär der FPÖ 2005-2017, Innenminister 2017-2019, Klubobmann der FPÖ (zunächst geschäftsführend) seit 2019.

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