Aber keine vollständige Abschaffung
Kocher über Arbeitslosengeld: Zuverdienst-Beschränkung wäre vorstellbar
07.10.2021
Eine "vollständige Abschaffung" der Zuverdienstmöglichkeit in der Arbeitslosigkeit werde es aber nicht geben, sagte Kocher bei einem Arbeitsbesuch in Litauen. Dennoch wolle er die Obergrenze beschränken.
Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) kann sich bei der geplanten Reform der Arbeitslosenversicherung gewisse Einschränkungen bei der Zuverdienstmöglichkeit vorstellen. Derzeit ist beim Arbeitslosengeld und der Notstandshilfe ein uneingeschränkter Zuverdienst bis zur Geringfügigkeitsgrenze von aktuell 475,86 Euro monatlich möglich. Eine "vollständige Abschaffung" der Zuverdienstmöglichkeit werde es aber nicht geben, sagte Kocher bei einem Arbeitsbesuch in Litauen.
AMS-Vorstand für Abschaffung der Zuverdienstmöglichkeit
Kocher hat am Dienstag die litauische Arbeitsministerin Monika Navickienė sowie die Vize-Arbeitsminister Audrius Bitinas und Vytautas Šilinskas sowie Vertreter des staatlichen Sozialversicherungsfonds (Sodra) und des Arbeitsamts getroffen. In Litauen darf man während des Bezug des Arbeitslosengeldes nicht geringfügig dazuverdienen. In Österreich hat sich AMS-Vorstand Johannes Kopf im September für eine massive Einschränkung oder Abschaffung der Zuverdienstmöglichkeit ausgesprochen.
Arbeitsminister Kocher sieht geringfügige Jobs von Arbeitslosen auch positiv, weil Fähigkeiten erhalten werden und es die Chance für mehr Beschäftigung eröffnet. Man wisse aber auch aus Studien, dass dadurch die Arbeitslosigkeit verlängert werde. "Wir müssen schauen, dass wir den Zuverdienst so gestalten, dass er die Arbeitslosigkeit auf keinen Fall verlängert", sagte der Arbeitsminister. Welche Einschränkungen sinnvoll seien, werde man im Herbst noch mit Experten besprechen.
Reform der Arbeitslosenversicherung 2022
Kocher will im ersten Quartal 2022 eine Reform der Arbeitslosenversicherung vorlegen. Eine Abschaffung der Notstandshilfe ist nicht geplant. Änderungen bei der Bildungskarenz oder Altersteilzeit stehen laut derzeitigen Plan nicht im Fokus. Vor knapp zwei Wochen war der Arbeitsminister für zwei Tage in Schweden und traf unter anderem seine Amtskollegin Eva Nordmark, um sich über den dortigen Arbeitsmarkt zu informieren. Diesen Dienstag stand Litauen am Programm und am Donnerstag trifft Kocher im Rahmen des sogenannten "Reformdialogs" die AMS-Vorstände Herbert Buchinger und Johannes Kopf sowie nächste Woche die Arbeitsmarkt- und Sozialsprecher der Parlamentsparteien. Geplant sind im Herbst außerdem noch Termine mit Arbeitslosen und Sozialpartnern sowie Wissenschaftlern. In nächster Zeit ist noch eine Auslandreise des Arbeitsministers in die USA und nach Dänemark geplant.
Bei der Arbeitslosenversicherung in Litauen ortete Kocher "einige sehr interessanter Ansatzpunkte", unter anderem das degressive Arbeitslosengeld - zuerst mehr und dann weniger Unterstützung - und die "sehr rasche" Vermittlung. Bei der Arbeitslosenvermittlung könne man "einiges" von Litauen lernen, "obwohl wir schon sehr gut sind." Litauen konnte zwischen 2010 und 2019 die Arbeitslosenquote von 15 Prozent auf knapp über 6 Prozent senken, mit der Coronapandemie stiegen die Zahlen aber wieder und zuletzt lag die Arbeitslosenrate laut Eurostat bei 7,2 Prozent und damit um 1,1 Prozentpunkte höher als in Österreich mit 6,1 Prozent. "Man muss schon ganz ehrlich sein, es gibt schon sehr große Unterschiede zwischen Österreich und Litauen, was das System insgesamt betrifft", so Kocher. "Es gibt viele, die ein degressives Modell für sinnvoll erachten. Man muss aber aufpassen, das ist nicht das Allheilmittel für eine Arbeitslosenversicherung", sagte der Arbeitsminister. Es müsse "im Gesamtsystem stimmig sein".
Litauen kein Vorbild für Österreich
In Litauen liegt das durchschnittliche Arbeitslosengeld bei 400 Euro. Die Arbeitslosenunterstützung wird für neun Monate und für ältere Arbeitnehmer für 11 Monate gewährt. Das Arbeitslosengeld besteht aus einem Grundbetrag und einem variablen, einkommensabhängigen Betrag und sinkt nach drei sowie sechs Monaten. "Dass die Arbeitslosenunterstützung nach neun Monaten und bei älteren nach elf Monaten ausläuft, das ist kein Vorbild für Österreich", sagte Kocher. "Wir müssen uns in Österreich darauf konzentrieren, dass wir Langzeitarbeitslose möglichst gut unterstützen."
Hierzulande erhält man ohne Familien- und andere Zuschläge 55 Prozent des Netto-Letzteinkommens als Arbeitslosengeld. Bei der Arbeitslosenversicherung liegt der Ausgleichszulagen-Richtsatz derzeit bei 1.000 Euro. In Österreich erhält man Arbeitslosengeld zwischen 20 und 52 Wochen je nach Alter und Dauer der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung und dann Notstandshilfe, die zwischen 92 und 95 Prozent des Arbeitslosengeldes beträgt. Die Notstandshilfe kann zeitlich unbegrenzt bezogen werden, wird jedoch jeweils für längstens 52 Wochen bewilligt.
Litauen kämpft wie Österreich in gewissen Teilen der Wirtschaft mit einem Fachkräftemangel. Außerdem sind hunderttausende Litauer seit den 2000er-Jahren in andere europäische Länder ausgewandert, seit der Coronapandemie und dem Brexit kehren aber wieder einige Litauer zurück. Die litauische Wirtschaft wächst nach der Coronakrise nun sehr kräftig, der Mindestlohn wird Anfang 2022 von etwas über 600 Euro auf 730 Euro angehoben. "Wir merken, dass Litauer wieder heimkehren", sagte die litauische Arbeitsministerin Navickienė. Viele offene Arbeitsstellen gebe es im Bereich Transport, Bau, Gesundheitswesen und Landwirtschaft. Um die Arbeitskräftenachfrage zu decken, sei man auch auf Arbeitskräfte aus der Ukraine und Litauen angewiesen, sagte Navickienė. Das wichtigste Ziel sei es, die Arbeitslosen in Litauen zu qualifizieren.