An die Delta-Variante werde man sich zwar gewöhnen müssen, aber mit der Impfstrategie auch ohne Lockdowns durch den Herbst kommen, so der Bundeskanzler beim Treffen mit Drosten.
Berlin/Wien. Die Delta-Variante der Corona-Pandemie hat den Besuch von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag in Berlin geprägt. Nach einem Termin bei Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) und einer Rede auf dem "Tag der Industrie" des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) traf Kurz Christian Drosten, den Leiter der Virologie in der Berliner Charité. Bezüglich des Kampfs gegen die Mutante im Herbst gab sich der Kanzler hernach außerordentlich optimistisch.
An die Delta-Variante werde man sich zwar gewöhnen müssen, aber mit der Impfstrategie auch ohne Lockdowns durch den Herbst kommen, resümierte der türkise Bundeskanzler nach den Gesprächen in Europas größtem Krankenhaus. Kurz sprach dort mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden der Charité, Heyo Kroemer, mit dem Vorstand Krankenversorgung, Martin Kreis, sowie Drosten, der durch die Medienberichterstattung in den vergangenen eineinhalb Jahren mittlerweile eine europäische Berühmtheit ist.
In 15 Monaten 1.600 Intensivpatienten betreut
Kroemer erläuterte Kurz, wie die Charité in der Corona-Zeit das zentrale Krankenhaus im Großraum Berlin geworden sei und in den vergangenen 15 Monaten 1.600 Intensivpatienten betreut habe. Das Gespräch habe sich um die Zukunft gedreht, wie man künftig mit Pandemien umgehen und welche Kapazitäten man aufrechterhalten solle. Kurz betonte nach dem Treffen vor Journalisten, er sei sehr erleichtert, weil er viele positive Nachrichten aus dem Gespräch mitnehmen dürfe. "Die wichtigste Nachricht ist: Die Impfung wirkt. Die Impfung schützt vor allen Varianten des Virus, auch vor der Delta-Variante."
Die Delta-Variante werde bleiben, man müsse sich daran gewöhnen. Das sei jedoch kein Grund zur Panik. Von einer Überlastung der Intensivbetten sei Österreich auch in der dritten Welle "meilenweit" entfernt. Dennoch müsse man damit rechnen, dass die Ansteckungszahlen wieder steigen könnten. "Aber mit dem Impfstoff sind wir auf gutem Weg." Österreich werde "weiter intensiv impfen" sowie "die Tests aufrechterhalten" und "den Öffnungskurs konsequent fortsetzen".
Drosten: Blick nach England richten
Der Virologe Drosten erklärte, durch die Impflage gehe der Zusammenhang zwischen Fallzahlen und Krankheitslast immer mehr verloren. Man müsse den Blick nach England richten, wo die Zahl der Delta-Variante ansteige. "Das kann auch in Deutschland passieren", betonte Drosten. Aber Österreich und Deutschland könne man zugutehalten, dass, sollten die Fallzahlen im Juli steigen, die Schulferien für Entspannung sorgen würden. Davon könne Großbritannien nicht profitieren, da die Inzidenzerhöhungen bereits im Mai, also ohne Ferienzeit, erfolgt seien.
Kurz und Drosten tauschten ihre Einschätzungen über die Pandemieentwicklung im Herbst aus. Dass er seit eineinhalb Jahren mit österreichischen, deutschen, europäischen und internationalen Experten den Kontakt pflege, habe ihm in seiner Politik sehr geholfen, sagte der Bundeskanzler. Diese Expertise dürfe auch in den nächsten Monaten nicht vernachlässigt werden.
Die Debatte über die Corona-Entwicklung im Sommer und Herbst werde viel zu oberflächlich geführt, so Kurz. Die Frage, ob man aus Fehlern des vergangenen Sommers lernen könne, sei Unsinn. Die Pandemie komme in Wellen und sei extrem saisonal und regional. Österreich sei mit zwei Millionen Tests pro Woche Europameister. Im Herbst werden etwa 75 Prozent der Österreicher geimpft sein.
"Delta-Variante müssen wir ernstnehmen"
"Die Delta-Variante müssen wir ernstnehmen und genau beobachten, aber es besteht kein Grund zur Panik, denn alle Impfstoffe, die wir verwenden, wirken auch gegen die Delta-Variante. Daher kann die Botschaft nur sein: impfen, impfen, impfen", hatte Kurz bereits vor dem Gespräch mit Drosten betont.
Die Delta-Variante sei mittlerweile überall angekommen, da bräuchte es einen Zauberer, wenn sie ganz verschwinden solle, so Kurz. "Es ist absurd, so zu tun, als ob sie verschwinden würde, und es ist ein Irrglauben zu meinen, dass wir das auslöschen können", sagte Kurz. Man dürfe die Menschen nicht total verunsichern.
Vor seinem Gespräch mit Bundestagspräsident Schäuble, das dem Überblick über die politische Lage diente, verwies Kurz auf das freundschaftliche Verhältnis, das ihn mit Schäuble verbinde. "Ich kenne ihn lang und schätze ihn sehr", sagte Kurz. Auf die Frage der APA, ob dies auch umgekehrt gelte, nachdem Schäuble in einem jüngst erschienenen Buch mit der Bemerkung zitiert worden sei, er lehne das "System Kurz" ab, sagte der ÖVP-Kanzler nur, er kenne das Buch nicht. Er habe ein sehr gutes Verhältnis zum Parlamentspräsidenten und stehe mit ihm in freundschaftlichem Austausch.
In seiner Rede auf dem "Tag der deutschen Industrie" wagte Kurz einen positiven Ausblick, nachdem Europa "viele Lektionen aus Corona gelernt" habe. Europa müsse aber selbstbewusster auftreten und der Erste sein wollen. Die Politik sei zwar verantwortlich für Zielsetzung und Rahmenbedingungen, sagte Kurz vor den Vertretern des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Aber welche Innovationen sich letztlich durchsetzten, das werde von Wissenschaft und Wirtschaft entschieden und nicht von der Politik durch Gebote oder Verbote. Als Beispiel nannte er: "Uns ist dabei der Verbrennungsmotor, der mit synthetischen Kraftstoffen betrieben wird, genauso recht, wie die Batterie, die mit erneuerbarer, nicht-nuklearer Energie aufgeladen ist."
Videogespräch mit Merkel
Aus dem Videogespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel von Montag berichtete Kurz, er habe über die "Gott sei Dank gute Entwicklung der Pandemie" gesprochen sowie über die Prognosen zum Wirtschaftswachstum, das in beiden Ländern deutlich besser als erwartet ausfalle und eine schnelle Erholung auch auf dem Arbeitsmarkt zur Folge habe. Hier sei der Trend in Österreich ähnlich wie in Deutschland. Ferner habe er in der "sehr ausführlichen Videokonferenz" über den Europäischen Rat gesprochen, der am Donnerstag und Freitag stattfinde.
Dass das Gespräch mit Merkel nur virtuell verlaufen sei, habe ausschließlich mit Zeitgründen zu tun. "Es gibt keine Regierungschefin, mit der ich in der Pandemie so viel telefoniert habe wie mit Merkel", betonte Kurz vor Journalisten. Das Verhältnis sei nur früher, als es um Flüchtlingsfragen gegangen sei, schwierig gewesen.
Beim Europäischen Rat, wo es auch um Migrations- und Flüchtlingsfragen geht, konstatierte er, dass sich die politische Debatte in Europa total gedreht habe. Ganz viel von dem, wofür er sich eingesetzt habe, bewege sich nun in die richtige Richtung.
Ein europäisches System funktioniere nicht und könne nicht funktionieren, sagte Kurz. Ob es jedoch realistisch sei, es zu ändern, wisse er indes nicht. Beim Rat werde voraussichtlich nur über die externe Dimension diskutiert werden. Es werde also keine Verteilungsdebatte geben, sondern erörtert, wie zum Beispiel auf Transitländer wie die Türkei, Libyen und Libanon eingewirkt werden könne und wie die Situation an den Außengrenzen sei.