Heimische Regierung bereitet sich auf das Aus des EU-Flüchtlingspaktes vor.
„Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei kann nicht halten“, sagt VP-Außenminister Sebastian Kurz im ÖSTERREICH-Interview. Immerhin sei eine der Bedingungen aus Ankara, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen, beschleunigte EU-Beitrittsverhandlungen gewesen. SPÖ-Kanzler Christian Kern strebt – ÖSTERREICH berichtete – allerdings einen Verhandlungsstopp mit der Türkei an. Und erhält Schützenhilfe von Kurz: „Ich unterstütze Kanzler Kern in seiner Meinung, dass ein EU-Beitritt der Türkei utopisch wäre. Die Türkei hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr von EU-Werten entfernt.“
Kurz will Außengrenzen nun selber schützen
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hat indes Österreich vorgeworfen, das „Zentrum des radikalen Rassismus“ zu sein. Er meint, Kanzler Kern würde sich dem Druck der FPÖ beugen. Und die Getreuen des türkischen Präsidenten Recep Erdogan drohen damit, wieder die Flüchtlinge, die in der Türkei festsitzen, nach Griechenland zu schicken.
Kurz strebt nun eine „eigene EU-Außengrenzsicherung“ an und will sich „von Ankara nicht weiter erpressbar machen lassen“.
Kern wiederum will beim EU-Regierungschef-Gipfel am 16. September über ein Beitrittsverhandlungs-Aus reden. Dass die EU-Staaten die Beitrittsgespräche mit Ankara stoppen, ist freilich unwahrscheinlich. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel will – selbst nach den „Säuberungswellen“ in der Türkei nach dem gescheiterten Militärputsch – den Flüchtlingsdeal retten. Laut EU-Insidern unterstützen rund 20 EU-Regierungschefs ihre Linie. Ob sich Erdogan damit besänftigen lassen wird, darf bezweifelt werden.
Isabelle Daniel
Kurz: Asyl-Pakt kann nicht halten“
ÖSTERREICH: Sie sind der Meinung, dass der EU-Flüchtlingsdeal mit der Türkei jetzt platzen wird. Weshalb konkret?
Sebastian Kurz: Weil es drei Bedingungen der Türkei gab, damit die Türkei den Flüchtlingsstrom Richtung EU stoppt: Visa-Liberalisierung, Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen und Hilfsgelder. Ich bin nicht dafür, der Türkei bei den Bedingungen für die Visa-Liberalisierung oder den Beitrittsverhandlungen nachzugeben. Die Türkei hat ihrerseits bereits erklärt, nicht alle Bedingungen erfüllen zu wollen. Damit wird der Flüchtlingsdeal nicht zu halten sein.
ÖSTERREICH: Sind Sie nur dafür, dass man keine neuen Kapitel mehr eröffnet, oder wollen Sie, wie Kanzler Kern, einen Stopp der Verhandlungen?
Kurz: Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen in der EU. Aber ich unterstütze Kanzler Kern in seiner Meinung, dass ein EU-Beitritt der Türkei utopisch wäre. Die Türkei hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr von EU-Werten entfernt. Seit dem gescheiterten Militärputsch vor zehn Tagen kam es zu Massenverhaftungen und Bedrohungen von politisch Andersdenkenden. Das ist mit den Grundwerten der EU nicht vereinbar. Und in Grundsatzfragen dürfen wir nicht nachgiebig sein.
ÖSTERREICH: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel scheint aber am Flüchtlingsdeal festhalten zu wollen. Sie wird einen Verhandlungsstopp nicht wollen, oder?
Kurz: Ich halte es für problematisch, wenn man wegen dieses Asyldeals bei Grundrechtsverletzungen, die in der Türkei passieren, wegsehen würde. Das können und dürfen wir als EU nicht an Ankara delegieren und uns damit weiter erpressbar machen. Wir brauchen eine eigene EU-Flüchtlingspolitik und müssen die EU-Außengrenzen selbst schützen.
ÖSTERREICH: Aber, wenn der Deal jetzt platzt, könnte die Türkei wieder Zigtausende Flüchtlinge nach Griechenland schicken. Und dann?
Kurz: Ich hatte bereits vor Abschluss dieses Paktes vor diesem Deal gewarnt. Wir dürfen uns nicht länger in Abhängigkeit begeben. Auch wenn man es nicht eins zu eins umsetzen kann, sollten wir Anleihen bei der Flüchtlingspolitik von Australien und Spanien machen. Denn eines ist klar: Wir können die Flüchtlinge nicht weiter nach Mitteleuropa reisen lassen.
ÖSTERREICH: Der türkische Außenminister hat Wien „Hauptstadt des Rassismus“ genannt und gemeint, dass die Regierung – also Sie und Kern – nur der FPÖ nach dem Mund reden würden.
Kurz: Das weise ich klar zurück. Und ich habe mich schon lange kritisch über Erdogans Politik geäußert. Das sollte also keinen überraschen. Ich kann nur allen raten – vor allem der türkischen Seite – die Worte abzurüsten.
ÖSTERREICH: Befürchten Sie durch diesen Streit zwischen Wien und Ankara nicht auch Probleme in der austro-türkischen Community? Hier gibt es viele Erdogan-Anhänger.
Kurz: Diese Tendenzen haben wir leider bereits erlebt. Wir müssen hier klare Grenzen aufzeigen, was bei uns geht und was nicht. Wer gegen unsere Gesetze verstößt, wird strafrechtlich belangt.
ÖSTERREICH: In Erdogan-nahen Zeitungen wurden schwarze Listen mit angeblichen Gülen-Anhängern in Wien veröffentlicht. Das könnte gefährlich werden, oder?
Kurz: Das ist absolut inakzeptabel. Wir werden keine Hexenjagd bei uns zulassen. Ich erwarte von jedem, der bei uns lebt, dass er keine externen Konflikte zu uns trägt, und rate hier dringend zur Mäßigung.
Interview: I. Daniel