Kanzler im EU-Parlament: Schutz der europäischen Bevölkerung oberste Priorität.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat bei seiner Rede im EU-Parlament in Straßburg am Dienstag den Kampf gegen illegale Migration als ein Hauptanliegen des österreichischen Ratsvorsitzes bezeichnet. Die Migrationskrise der letzten Jahre habe zu großen Verunsicherungen unter den Menschen in Europa geführt und ihr Vertrauen "in unsere Fähigkeiten, Schutz zu bieten, zutiefst erschüttert".
Daher müssen Sicherheit in Europa und Schutz der europäischen Bevölkerung "unsere oberste Priorität sein". Essenziell sei, dass es zu einem Paradigmenwechsel in der europäischen Migrationspolitik komme. Der Schutz der Außengrenzen sei Grundvoraussetzung, um das "Jahrhundertprojekt eines grenzfreien Schengenraums weiter bewahren zu können". Der EU-Gipfel zuletzt habe einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gesetzt. "Denn es ist ganz entscheidend, wo Menschen nach ihrer Rettung aus dem Mittelmeer aussteigen. Wir müssen in der Lage sein, zu entscheiden, wer in die EU kommen darf und wer nicht."
Er freue sich daher, dass "erstmals das Konzept der Anlandeplattformen Eingang in die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates gefunden hat, und nun gemeinsam mit UNHCR und IOM weiterverfolgt wird". Eine nachhaltige Lösung der Migrationskrise werde aber nur mit allen 28 Staaten an Bord gelingen. Wenn Europa in dieser Frage Handlungsfähigkeit zeige, "werden wir viel Vertrauen wiedergewinnen".
Sicherung des Wohlstandes
Zweiter wesentlicher Punkt des österreichischen Ratsvorsitzes sei die Sicherung des Wohlstands und Digitalisierung. Hier müsse Europa seine Chancen nützen. "Wir haben in den letzten 20 Jahren wohl so manches verschlafen", so Kurz. Ein "echter Neuanfang" sei notwendig, wenn europäische Unternehmen künftig noch eine Rolle am Weltmarkt spielen sollen. Nur wenn es vermehrt "Hightech made in Europe" gibt, könne man auch nachhaltig Jobs sichern und den Wohlstand erhalten.
Wichtig sei aber auch die Besteuerung des digitalen Sektors. Steuerausfälle und Steuervermeidung müssten ausgeschlossen werden, um Nachteile für die traditionelle Wirtschaft abzustellen. Gewinne seien in dem Land zu besteuern, in dem sie erwirtschaftet werden. Ziel sei eine globale Lösung mit Einführung einer digitalen Betriebsstätte. Dieses Anliegen wolle Österreich vorantreiben. Die EU sollte hier eine Vorreiterrolle einnehmen und eine Übergangslösung durch die Ausgleichssteuer anstreben.
Ein Punkt betrifft "Stabilität in der Nachbarschaft"
Der dritte Schwerpunkt betreffe den Westbalkan und die Stabilität in der Nachbarschaft. "Ein Europa, das schützt", ende nicht an den Außengrenzen der EU, so Kurz. Gerade die Migrationskrise habe wieder bewiesen, dass der Westbalkan nicht nur integraler Teil Europas sei, sondern auch integraler Teil unserer Sicherheitsarchitektur. Die Lösung des Namensstreits zwischen Griechenland und Nord-Mazedonien sei ein bedeutendes ermutigendes Zeichen. Er sei froh über die Einigung, grundsätzlich grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien zu geben. "Auch wenn wir Österreicher uns hier noch deutlichere Signale gewünscht hätten."
Auch die Zusammenarbeit mit Afrika müsse über den EU-Außengrenzschutz hinausgehen. Zur Sicherheit und Wohlstand in Afrika beizutragen, "ist nicht nur unsere moralische Verpflichtung, sondern auch ein wichtiger Schritt zur Ursachenbekämpfung in der Migrationskrise".
Zum Brexit stellte Kurz fest, Europa dürfe sich nicht spalten lassen. Es gehe um einen geordneten Austritt, ohne ein Rosinenpicken zu erlauben. Und es müsse danach einen guten Kontakt zu London geben. Bei den Verhandlungen zum nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen 2021-2027 forderte Kurz "europäische Lösungskapazität". Die Positionen lägen hier "noch weit auseinander". Zentral werde es sein, einander mit Respekt zu begegnen. Es dürfe keine Mitgliedschaft erster und zweiter Klasse geben.
Österreich sei Brückenbauer
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat im Europaparlament in Straßburg am Dienstag seine Rolle als Brückenbauer während der Zeit der österreichischen Ratspräsidentschaft bekräftigt. Europa sei "unsere Zukunft" und es gebe "in dieser Union mehr, das uns eint, als das uns je trennen könnte". Gleichzeitig wies er darauf hin, dass "wir in Zeiten des Umbruchs" den Ratsvorsitz übernehmen.
Die internationale Ordnung verändere sich. Es gebe eine "unvorhersehbare US-Administration, die internationale Abkommen infrage stellt". Gleichzeitig erlebe China einen wirtschaftlich rasanten Erfolg. Trotzdem "geht es uns heute in Europa besser als je zuvor". Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit, in denen wir in Europa heute leben, seien alles andere als selbstverständlich. Dieser "European Way of Life" sei zu "verteidigen und für die Zukunft zu bewahren". Dies bedeute die Einhaltung der Grundwerte Europas. Bei Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit dürfe es "keinerlei Abstriche" in der EU geben. Kurz: "Wer zu Europa gehören will, muss die europäischen Werte einhalten. Ohne Wenn und Aber."
Wirtschafts- und Sozialsystem herausgefordert
Es sei aber auch das Wirtschafts- und Sozialsystem herausgefordert, sich grundlegend zu erneuern. "In vielen Bereichen sind wir zu bürokratisch, zu teuer und zu langsam geworden, um in unserer globalisierten Welt auf Dauer wirtschaftlich zu bestehen."
Die EU müsse näher zu den Menschen gebracht werden. Bei der Übernahme des Ratsvorsitzes auf der Schladminger Planai "war durchaus begeisterte Europastimmung in der Luft und die Menschen kamen mit konkreten Fragen und Sorgen zur Zukunft der EU". Hier müsse man auf die Menschen zugehen, um gemeinsam "unser großes Friedensprojekt wieder zu den Menschen zu bringen".
Zu Russland merkte Kurz an, "wir wollen einen Beitrag leisten, die Dialogkanäle mit Russland zu verstärken". Frieden auf dem Kontinent "kann es nur mit und nicht gegen Russland geben".
Natürlich werde es nicht in allen Fragen Übereinstimmung geben, "weder im Parlament noch im Rat. Denn auch das macht Europa aus". Allerdings sollte man sich auf das Einigende konzentrieren.