Nur Wien und die Steiermark wollen dem neuen Gesetz ganz nachkommen, die anderen Länder lehnen Strafen nach dem Ende der Amnestie ab.
Die Protestwelle gegen das 24-Stunden-Pflegegesetz zieht immer weitere Kreise. Sieben der neun Landeshauptleute, darunter auch zwei von der SPÖ, verweigern die Vollziehung des Gesetzes - und das obwohl sie alle die Übereinkunft mit SPÖ-Sozialminister Erwin Buchinger und der Bundesregierung unterschrieben haben.
Nach Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptmann Erwin Pröll scherte am Dienstag auch Vorarlberg aus.
Vorarlbergs NÖ-Modell
Der Vorarlberger ÖVP-Landeshauptmann
Sausgruber wird das "Modell Niederösterreich" übernehmen, das
die im Pflegekompromiss fixierten Förderbeiträge um 25 bis 50 Prozent
aufstockt und zudem die Regressansprüche gegen die Kinder der Betroffenen
fallen lässt. Sausgrubers Begründung: "Ich wollte nicht
erklären müssen, warum in Niederösterreich Leistungen erbracht werden und in
Vorarlberg nicht."
Das neue Modell wird Vorarlberg bis zu zwei Millionen Euro kosten. Niederösterreich veranschlagt sein Modell mit bis zu 30 Millionen.
Der massiven Unsicherheit unter den zehntausenden "illegalen" Pflegefällen wollen andere Bundesländer nun entgegentreten, indem sie das Buchinger-Gesetz indirekt straffrei stellen.
Länder verweigern Strafen
Buchinger selbst betont zwar, es
werde ab Jänner keine "Aktion scharf" geben. Doch auch
weniger harte Maßnahmen werden nach ÖSTERREICH-Recherchen schlicht nicht
exekutiert werden. Neben Niederösterreich und Vorarlberg verweigern nämlich
auch Oberösterreich, Salzburg, Kärnten, Tirol und das Burgenland, Strafen
gegen Pflegebedürftige oder illegale Pfleger zu verhängen.
Salzburg, Vorarlberg und das Burgenland wählen findigerweise eine Praxis aus der Straßenverkehrsordnung, um der Exekution des Gesetzes zu entgehen. Demnach gibt es "Einschleifregelungen", wonach bei der Einführung eines Gesetzes statt zu strafen aufgeklärt werden darf.
Kärnten erfindet Schlüsselarbeitskräfte
Auch
Kärnten wird nach Angaben von Haider-Sprecher Stefan Petzner, "durch
dieses Schlupfloch entfleuchen". Haider will zudem Pfleger als
Schlüsselarbeitskräfte "legalisieren". Auch
Oberösterreich verweigert. Silvia Strasser, Sprecherin von LH Josef
Pühringer: "Bei uns wird sicher nicht gestraft."
6 Monate Straffreiheit?
Damit scheint sicher, dass im Großteil
des Bundesgebietes zumindest bis zur Evaluierung des Gesetzes Mitte 2008
illegale Beschäftigungsverhältnisse im Pflegebereich straffrei bleiben. Nur
Wien und die Steiermark wollen das Gesetz exekutieren. Wiens Bürgermeister
Michael Häupl: "Es kann nicht sein, dass wir in einem Sektor
illegal illegal sein lassen. Da sind die Gesetze anzuwenden."
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80.000 illegale Pfleger in Österreich
"Gestern hat mich
jemand angerufen und gesagt, dass er seine Eltern am 31. Dezember vor das
Seniorenheim stellen und schauen wird, was sie dann tun. Das ist die
Realität." Unaufhörlich klingeln bei Klaus Katzianka, der mit seiner
Hilfsorganisation illegale Pflegekräfte nach Österreich vermittelt, die
Telefone. Die dringliche Frage der Betroffenen: Wie soll es jetzt mit uns
weitergehen?
Über die Anzahl illegal beschäftigter Pfleger gibt es bisher nur Schätzungen. Experten rechnen mit 40.000 bis 80.000 Kräften, die zurzeit in österreichischen Haushalten in der Altenbetreuung und Pflege arbeiten. Ihnen stehen nur 4.000 legale Pflegekräfte gegenüber.
"Vorteil" des illegalen Pflegepersonals: Nur 1.500 bis 1.700 Euro kostet eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch osteuropäische Pflegekräfte im Monat - eine Betreuung durch österreichische Fachkräfte ist dagegen für viele kaum finanzierbar.
"Eine österreichische Pflegerin wäre einfach viel zu teuer. Abgesehen davon glaube ich nicht, dass es in Österreich jemanden gibt, der den ganzen Tag jemanden betreuen würde", so die Angehörige Eva P.
Slowakische Hilfe
Vor eineinhalb Jahren erlitt ihr Mann einen
Schlaganfall und muss seitdem Tag und Nacht betreut werden. Dabei bekommt
sie Hilfe von einer slowakischen Pflegerin. "Wenn die Amnestie fällt, werde
ich sie anmelden. Ich habe einfach keine Alternative", so P. verzweifelt.
Wie sie die Mehrbelastung von rund 1.000 Euro monatlich finanzieren soll, weiß sie nicht. Katzianka ist sich sicher: "Das österreichische Gesundheitssystem kann die Mehrbelastung nicht bewältigen. Die Ressourcen dafür sind einfach nicht vorhanden."
Katzianka hat deshalb ein Volksbegehren gegen die Pflegemisere ins Leben gerufen. Auch Hilfswerk-NÖ-Chef Ernst Strasser betont: "Wir müssen Wege finden, die die Menschen nicht gleich kriminalisieren." Auch im Ausland reagiert man auf die Debatte: "Es wird immer schwieriger, Arbeitskräfte für Österreich zu bekommen", heißt es bei der Vermittlungsagentur LEA in der Slowakei.