"Alles Käse"

Lehrer-Aufstand gegen Neue Mittelschule

07.11.2007

Die Große Koalition ist über die Einigung zur Neuen Mittelschule sichtlich erleichtert. Die SPÖ-Lehrer erwägen den Gang vors Höchstgericht .

Zur Vollversion des Artikels
© dpa
Zur Vollversion des Artikels

Großkoalitionäre Glückseligkeit über die Einigung bei der Neuen Mittelschule (NMS) beherrschte am Mittwoch den Ministerrat. Ganz anders die Stimmung bei den Lehrer-Vertretern. Sie proben jetzt den Aufstand gegen den Kompromiss. Reinhard Dumser, Vorsitzender des sozialdemokratischen Lehrervereins (SLÖ), kritisiert, dass die Selektion bei den Schülern nicht abgeschafft, sondern sogar noch verschärft werde. „Jetzt gibt es nicht nur die AHS und die Hauptschule, sondern noch einen dritten Schultyp. Die Neue Mittelschule ist ein Misserfolg.“

Gang vor VfGH
Der SLÖ erwägt nun zwei drastische Schritte, um das Gesetz doch noch zu verhindern: Dumser will die Mitglieder des SPÖ-Parlamentsklubs überzeugen, nicht für die Einigung zu stimmen. Sollte das nichts nützen, möchte der SLÖ sogar den Verfassungsgerichtshof (VfGH) anrufen. Grund: Die Einführung einer Neuen Mittelschule hängt von der Zwei-Drittel-Mehrheit der Eltern und Lehrer ab. Verfassungs-Experte Heinz Mayer meint dazu: „Dass die Entscheidung des obersten Staatsorgans von der Zustimmung der Eltern und Lehrer abhängig gemacht wird, könnte verfassungswidrig sein. Das gilt allerdings nicht, wenn Lehrer und Eltern ihre Einwände begründen können.“

Protest
Widerstand regt sich auch bei den ÖVP-Lehrern. „Ich kann nicht eine Gesamtschule in einem Bereich ausprobieren wollen, wo es drei verschiedene Schulen zur Auswahl gibt.“ Das sei nicht evaluierbar, prangert Walter Riegler, Chef der Pflichtschullehrer-Gewerkschaft, die verschiedenen Modelle an. „Das, was hier gemacht wird, ist Käse.“

Rückschritt
Selbst Schulen, die seit Jahrzehnten die Neue Mittelschule erproben, zeigen sich mit der Kompromisslösung unzufrieden: „Das ist nicht das, was ich mir erhofft habe“, sagt Herbert Schmidt, Direktor der Mittelschule Anton-Krieger-Gasse, wo seit 34 Jahren ein Gesamtschul-Versuch läuft. „Was jetzt in manchen Bundesländern ausprobiert wird, wäre für uns ein Rückschritt.“ Vorsichtige Zustimmung kam hingegen vom Bund sozialdemokratischer Akademiker (BSA): „Ein erster Schritt in die richtige Richtung.“

Verärgerung
Im Bildungsministerium reagiert man auf die Vorwürfe aus der eigenen Partei verärgert. Es sei nie ein Thema gewesen, die Neue Mittelschule flächendeckend einzuführen. Man sei jetzt in der Probephase. „Die begleitende Evaluierung ist für mich ganz wichtig“, so Schmied. Die Einigung sei sicher kein fauler Kompromiss.

Kanzler-Lob
Im Ministerrat herrschte am Mittwoch ein seltenes Bild der Einigkeit zwischen SPÖ und ÖVP. Bundeskanzler Alfred Gusenbauer war voll des Lobes – nicht nur über seine Ministerin Schmied, sondern auch über den Verhandlungspartner Hahn. „Wir setzen einen weiteren Mosaikstein auf dem Weg zu einem besseren Bildungssystem. Das ist ein sehr pluralistisches Angebot“, so Gusenbauer. Allerdings: Das nächste Koalitionsgefecht in Sachen Bildung zeichnet sich schon ab. Denn der Kanzler hat in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung angekündigt, bereits im Frühjahr die nächste Bildungsoffensive starten zu wollen. Diesmal im Bereich Bildungsstandards.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: SLÖ-Vorsitzender Reinhard Dumser im Interview über die Neue Mittelschule.

ÖSTERREICH: Was kritisieren Sie am Kompromiss?
Reinhard Dumser: Die Selektion bleibt und wird noch verschärft. Die Zustimmung hängt von einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Eltern ab, die gar nicht eingebunden sind. Das ist einfach eine Husch-Pfusch-Reform.

Was hätte Schmied anders tun können?
Sie hätte die Verhandlungen nicht wieder aufnehmen sollen, sondern hätte das Ergebnis der nächsten PISA-Studie im Dezember abwarten sollen.

Was hätte das Zuwarten gebracht?
Die neue PISA-Studie wird katastrophal ausfallen. Gerüchteweise stürzt Österreich um zehn Plätze ab. Damit wäre der Druck auf die ÖVP zu Reformen massiv gestiegen.

Warum war Schmied von Ihren Vorschlägen nicht überzeugt?
Wir waren ja nicht einmal in die Verhandlungen eingebunden.

(knd)

Zur Vollversion des Artikels
Weitere Artikel