Lehrerstudie TALIS
Lehrer sind auf sich allein gestellt
16.06.2009
Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern haben Österreichs Lehrer viel weniger Hilfe durch Verwaltungspersonal, Sekretärinnen, Sozialarbeiter oder Psychologen.
Österreichs Schuldirektoren klagen über einen Mangel an qualifizierten Lehrern, die Pädagogen bekommen zu wenig Feedback und Anerkennung und die Leistungen der Schulen werden kaum evaluiert. Das sind Ergebnisse der ersten OECD-Lehrerstudie TALIS (Teaching and Learning International Survey), bei der Lehrer und Schuldirektoren an AHS-Unterstufen und Hauptschulen in 23 Ländern über ihre Arbeitsbedingungen und das Lernumfeld befragt wurden.
Zu wenig gute Lehrer
Maßgebliche Faktoren, durch die der
Unterricht in Österreich gestört wird, sind nach Angaben der Pädagogen ein
"Mangel an qualifizierten Lehrern" (48,8 Prozent der befragten Lehrer
arbeiten an Schulen, deren Direktor diesen Mangel als "sehr" bzw. "bis zu
einem bestimmten Ausmaß" als den Unterricht störend einstufen, im
internationalen Schnitt sind es 37,5 Prozent).
Schüler stören und fluchen
Außerdem stören Österreichs
Schüler während des Unterrichts (61,4 Prozent, TALIS-Schnitt: 60,2 Prozent),
fallen durch Fluchen (44,6 Prozent, TALIS-Schnitt: 36,5 Prozent) und
Vandalismus auf (30,8 Prozent, TALIS-Schnitt: 27,1 Prozent) und behindern so
ebenfalls die Lehrer beim Unterrichten. Dennoch gibt es nach Ansicht der
österreichischen Lehrer insgesamt ein positives disziplinäres Klima in den
Klassen, verglichen mit den anderen teilnehmenden Staaten.
Leistung wird nicht honoriert
Viele Lehrer in Österreich erhalten
auch nur wenig Feedback und Wertschätzung: Vom Direktor bekommt knapp ein
Fünftel der Pädagogen nie derartige Rückmeldungen, ein weiteres Fünftel
weniger als einmal in zwei Jahren, ein weiteres Fünftel einmal pro Jahr.
Noch seltener ist ein solches Feedback von Kollegen oder externem Personal
wie Schulinspektoren. Im internationalen Vergleich sehr gering ausgeprägt
sind auch leistungsbezogene Anreize für Lehrer in Österreich: So gibt es
nach Anerkennung von Leistungen praktisch keine Veränderung in der Bezahlung
(Österreich: 1,1 Prozent, TALIS-Schnitt: 9,1 Prozent) oder Beförderungen
(Österreich: 4,7 Prozent, TALIS-Schnitt: 16,2 Prozent).
Wenig Kontrolle der Schulen
Aber auch die Leistungen der Schulen
werden kaum geprüft: 41,7 Prozent der Pädagogen (TALIS-Schnitt: 20,2
Prozent) gaben an, dass an ihrer Schule in den vergangenen fünf Jahren eine
interne Evaluierung durchgeführt wurde. Noch seltener sind in Österreich
externe Evaluierungen, die es bei 58,3 (TALIS-Schnitt: 30,4 Prozent) der
Lehrer in den vergangenen fünf Jahren nicht gegeben hat.
Lehrer auf sich allein gestellt
Eines der überraschendsten
Ergebnisse der ersten OECD-Lehrerstudie TALIS ist laut Bundesinstitut für
Bildungsforschung (BIFIE), das die Österreich-Daten ausgewertet hat, wie
gering die Unterstützung für Lehrkräfte durch unterstützendes Personal
ausfällt. Auf 29 Lehrer kommt nur eine "pädagogisch-unterstützende Kraft"
(Beratungslehrer, Sozialarbeiter, Psychologe etc.; TALIS-Schnitt: 16
Lehrer), auf 25 Lehrer kommt eine "administrative Kraft" (Administrator,
Sekretärin; TALIS-Schnitt: neun Lehrer).
Grund für hohe Burn-Out-Gefahr
Damit ist Österreich in einer
einzigartigen Situation. Lehrer müssen Aufgaben erfüllen, die in anderen
Ländern etwa von Sozialarbeitern durchgeführt werden. Das könnte Mitgrund
für die hohe Burn-Out-Gefährdung von Lehrern sein. Insgesamt äußert sich
aber die große Mehrheit der Lehrer zufrieden über ihre Arbeit: 97 Prozent
schätzen sich "bei den Schülern in meiner Klasse erfolgreich" ein
(TALIS-Schnitt: 95 Prozent), 93 Prozent sind "alles in allem" mit ihrer
Arbeit zufrieden (TALIS-Schnitt: 90 Prozent).
Auch was die Ausgestaltung der Schulautonomie betrifft, sticht Österreich aus den anderen Ländern hervor. Die Schulleiter verfügen zwar über "pädagogische Autonomie" (z.B. Fächerangebot) , aber bei Schulbudget und Personalfragen sind sie "fremdgesteuert".
Mehr Fortbildung als anderswo
Ein schlechtes Zeugnis geben die
befragten Lehrer dem Angebot an Fortbildungsmöglichkeiten. Zwar geben 97
Prozent von ihnen an, innerhalb der vergangenen 18 Monate solche Angebote
genutzt zu haben - so viele wie in keinem der anderen untersuchten Länder.
45 Prozent hätten mehr Bedarf nach Fortbildung, 64 Prozent der Lehrer
scheitern allerdings daran, dass es kein passendes Angebot gibt. Für 42
Prozent ist ihr Stundenplan ein Hindernis, 29 Prozent nennen familiäre und
18 Prozent finanzielle Gründe.
Lehrer sind älter und weiblich
Charakteristisch für die
österreichischen Lehrer ist der hohe Anteil an über 50-Jährigen (41 Prozent;
OECD/EU-Schnitt: 29 Prozent). Die Mehrheit der Pädagogen ist weiblich (68
Prozent: TALIS-Schnitt: 69 Prozent), beim Frauenanteil bei Schulleitern
liegt Österreich mit 29 Prozent hingegen weit unter dem Schnitt (43 Prozent).
Mehr Arbeit als im Durchschnitt
Die wöchentliche Arbeitszeit der
Lehrer beträgt laut eigenen Angaben 43 Wochenstunden, nur in Mexiko (46
Stunden) und Australien (48 Stunden) sind es mehr. 15 Stunden davon nutzen
sie für Vor- bzw. Nachbereitung, so viel wie in keinem anderen der
untersuchten Staaten.
Schmied forciert Schulreform
"Für alle Bremser der Schulreform
sollte das ein Anstoß zum Umdenken sein" - So kommentierte
SPÖ-Unterrichtsministerin Claudia Schmied die Ergebnisse der OECD-Studie
TALIS. Die Tatsache, dass die Lehrer Defizite im Bereich Schulverwaltung,
unterstützendes Personal, Schulautonomie und Schulevaluation bemängeln, ist
für die Ressortchefin ein Beleg dafür, "dass die Bildungsreform nicht nur im
Interesse der Eltern und Schüler ist".
Gegen Lehrer als Einzelkämpfer
Schmied möchte die
Arbeitsbedingungen und das Berufsbild der Lehrer so weiterentwickeln, dass
es zu einer engeren Kooperation untereinander kommt. Lehrer dürften "keine
Einzelkämpfer bleiben - speziell im AHS-Bereich". Durch die Modernisierung
von Konferenzzimmern im Rahmen des Schulinvestitionsprogramms leiste der
Bund seinen Beitrag dafür. Auch bei der Lehrerausbildung müsste "ein neues
Berufsverständnis als Team-Spieler" stärker verankern werden.
"Besonders ärgerlich" ist für die Bildungsministerin der niedrige Frauen-Anteil in Führungspositionen. Die Bestellung von Direktionen müsste daher an objektivere Kriterien geknüpft werden, da das bisherige System "offensichtlich zu Ungerechtigkeit führt".
An TALIS haben 23 Länder teilgenommen, neben Österreich u.a. noch Austrialien, Belgien (flämischer Teil), Dänemark, Ungarn, Irland, Italien, Norwegen, Polen, Spanien und die Türkei. Staaten wie Deutschland, Schweiz oder Finnland waren nicht dabei. In Österreich wurden 2008 an 248 Schulen die Direktoren und rund 4.300 Lehrer befragt. |