Österreich fährt wieder runter
Harter Lockdown ab Dienstag: Was Sie jetzt wissen müssen
14.11.2020
This browser does not support the video element.
Wien. Die dramatische Situation in den Spitälern wegen der Corona-Pandemie hat Österreich in einen zweiten harten "Lockdown" geführt. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verkündete Samstagnachmittag, dass ab Dienstag Handel und persönliche Dienstleister wie Friseure bis inklusive 6. Dezember schließen müssen. Die Schulen stellen komplett auf Fernunterricht um. Die Opposition gab der Regierung die Schuld an der Situation.
Die ist tatsächlich dramatisch. Denn gemessen an der Einwohnerzahl hat Österreich derzeit die höchste Rate an bekannten Covid-Neuinfektionen weltweit, wie eine Auswertung am Samstag ergab.
Auch wenn am Samstag die Infektionszahlen mit gut 7.000 gegenüber den vergangenen Tagen ein wenig zurückgingen, blieb die Lage kritisch. Die Zahl der Intensivpatienten stieg, dabei gab es 85 Todesfälle während der vergangenen Stunden. Gelinge keine Trendumkehr, gebe es "in den nächsten Tagen die Situation einer Triage", erklärte der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin Klaus Markstaller in einer Pressekonferenz. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) berichtete, dass schon jetzt erste Engpässe entstanden seien: "Das österreichische Gesundheitssystem ist ein sehr starkes, aber es kommt jetzt an seine Grenzen."
Allzu große Auswirkungen dürfte der weiche "Lockdown" mit Schließung von Gastronomie und Hotellerie nicht gehabt haben. Denn fast 14 Tage nach Beginn rechnet Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich, damit, dass die Zahl der Infizierten auch kommende Woche steigen wird. Kurz nannte das als Grund, warum man nun nachschärfen müsse.
Kurz: Man weiß nicht mehr, wo sich Menschen anstecken
Dass auch die Schulen gegen alle Widerstände - selbst innerhalb der eigenen Regierung - de facto geschlossen werden, begründete der Kanzler damit, dass man mittlerweile gar nicht mehr wisse, wo sich Menschen anstecken. In 77 Prozent der Fälle sei die Infektionsquelle nicht mehr identifizierbar.
Immerhin versicherte der Kanzler, dass Handel und Schulen als erste wieder öffnen würden. Sein Ziel ist, das Weihnachtsfest und die Zeit davor noch zu retten. Dafür sollten die Menschen möglichst nur noch eine Person außerhalb ihres Haushalts treffen."Treffen Sie niemanden!", so der Kanzler. Je weniger soziale Kontakte, desto besser, appelliert er. An sich gelten die Ausgangsbeschränkungen, die derzeit nur in der Nacht wirksam sind, ab Dienstag 0 Uhr rund um die Uhr, was am Sonntag noch der Hauptausschuss des Nationalrats beschließen muss. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) versprach, dass die Exekutive bei Zuwiderhandeln vor Strafen zunächst in einen Dialog treten werde.
Ausnahmen sind definiert, etwa der Weg zur Arbeit, Spaziergänge oder Sport ohne Körperkontakt. Letzteres empfahl Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) explizit: "Bleiben sie in Bewegung." Spazieren oder Laufen helfe, die Spannung abzubauen.
Schulen stellen auf Distance Learning um
Entsprechende Spannung wird es wohl auch in so manchem Haushalt geben, wenn die Schulen auf Fernlernen umstellen, wobei allerdings im Regelfall kein neuer Lernstoff vermittelt werden soll. Immerhin versicherte Kanzler Kurz, dass die Bildungsanstalten quasi einen Notbetrieb vor Ort anbieten werden. So bleiben auch die Kindergärten offen. Verpflichtend ist der Besuch jedoch auch im letzten Kindergartenjahr nicht mehr.
Dass die Schulen zumachen, führte bei der Opposition zu heller Empörung. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger will sogar rechtliche Schritte dagegen überlegen, SPÖ-Obfrau Pamela Rendi-Wagner meinte, der Stopp bringe viel Schaden, wenig Nutzen und sei "hochgradig verantwortungslos".
Für die Vorsitzende der Sozialdemokraten ist klar, wer für die gegenwärtige Situation verantwortlich ist: "Jetzt bekommen alle Österreicher die Rechnung für das Managementversagen der Bundesregierung präsentiert." Ganz ähnlich äußerte sich Meinl-Reisinger: : "Diese Regierung hat versagt." Beide verwiesen auf Schwächen bei Tests und Contact-Tracing. FPÖ-Klubchef Herbert Kickl sprach von völlig überzogenen Mitteln, mit denen Österreich in den Ruin getrieben werde. Lebensbereiche wie Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Kultur, Bildung und Sport seien bereits massiv und zu einem großen Teil irreparabel geschädigt worden.
Immerhin eine gewisse Abfederung der Umsatzverluste wurde dem Handel am Samstag in Aussicht gestellt. Die Kompensationen sollen zwischen 20 und 60 Prozent betragen, berichtete Kogler. Damit liegen sie unter jenen 80 Prozent, die vor zwei Wochen der Gastronomie und Hotellerie zugesichert worden waren.