Wir arbeiten um 15 Prozent mehr als vor 10 Jahren, verdienen aber nur um 3 Prozent mehr. Die Reallöhne stagnieren, trotz guter Konjunktur.
Rund 1.660 Euro verdient jeder Österreicher heute durchschnittlich netto. Dramatisch: Dieser sogenannte Nettoreallohn ist heute um nur 30 Euro höher als im Jahr 2003.
Zehnjahresvergleich
Der Zehnjahresvergleich zeigt es noch
deutlicher: Die Österreicher werden im Jahr 2008 nur um 3 Prozent mehr
verdienen, als sie schon im Jahr 1998 als Nettoreallohn (nach allen Abzügen
und bei Berücksichtigung der Preisentwicklung) bekommen haben. Und das,
obwohl die Produktionsleistung im selben Zeitraum um 15 Prozent gestiegen
ist.
Sinkende Löhne
Wir leisten also immer mehr - verdienen aber
weiterhin nur gleich viel. Besonders drastisch war die Lohnentwicklung in
den Jahren 2000 bis 2004: In diesen vier Jahren sank der Nettoreallohn sogar
um 0,1 Prozent auf 1.628 Euro.
Deutschland am Niveau von 1986: Angeheizt
wird die Debatte um den Nettoreallohn von der aktuellen Diskussion in
Deutschland: Dort sind die Nettolöhne sogar auf dem niedrigsten Stand seit
20 Jahren. Österreich liegt im europaweiten Vergleich der EU-25 beim
Wachstum der Reallöhne ebenso im hinteren Feld – auf Platz 20. Bitterer
Vergleich für die deutschsprachigen Länder: Schweden und Briten verdienen
jetzt um 30 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.
Frauen besonders betroffen
Besonders stark von stagnierenden
Löhnen sind hierzulande Gruppen betroffen, die ohnehin schon geringe
Einkommen beziehen: dazu zählen vor allem Frauen. Denn das Wachstum der
Einkommen bei Frauen lag in fünf von sieben vergangenen Jahren sogar unter
der Inflation. Auch Arbeiter spüren den Netto-Lohn-Stillstand stark: Sie
hatten im Jahr 2005 sogar um neun Prozent weniger Kaufkraft als noch sieben
Jahre zuvor. Von 2000 bis 2005 hatten 35 Prozent aller heimischen Arbeiter
jährliche Einkommenszuwächse, die unter der Inflationsrate lagen.
Herbstlohnrunde
Noch diese Woche beginnt allerdings das große
Feilschen um mehr Lohn: Am Freitag fällt der Startschuss für die
Herbstlohnrunde der Metaller – die Erhöhungen gelten als Richtungsweisend
für alle anderen Bereiche. Im Vorjahr bekamen die Metaller 2,6 Prozent mehr
Lohn. Allerdings erwarten die Gewerkschafter schwierige Verhandlungen.
ÖGB-Chef Rudolf Hundstorfer gibt sich kämpferisch: „Wir wollen unseren Teil
vom Kuchen.“ Er meint, es sei aufgrund der guten Konjunktur mit einem guten
Abschluss zu rechnen.
SP-Sozialminister Erwin Buchinger nannte als Ziel vier Prozent Erhöhung. Geht es nach dem obersten Beamtengewerkschafter Wilhelm Haberzettl, soll das noch übertroffen werden. Experten, wie Alois Guger vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo, rechnen hingegen mit einem Verhandlungsergebnis von 3 Prozent.
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ÖSTERREICH: Die Schere zwischen Unternehmensgewinnen und Löhnen wird
immer größer. Haben Sie ein Rezept dagegen?
Erwin
Buchinger: Ich kann dazu beitragen, indem etwa die Anmeldungen zur
Sozialversicherung gemacht werden und keine prekären Arbeitsverhältnisse
eingesetzt werden. Dann haben wir die Generalunternehmerhaftung für
Unternehmen in der Schublade, wodurch das Lohndumping am Bau verhindert
werden soll. Wichtig ist auch die Bewusstseinsbildung. Dazu zählt auch
mein Hinweis auf mehr Lohngerechtigkeit.
ÖSTERREICH: Welche Rolle können dabei die anstehenden
Lohnverhandlungen spielen?
Buchinger: In den letzten Jahren
sind die Produktivitätszuwächse der Unternehmen einseitig zur Verbesserung
der Gewinne verwendet worden. Jetzt sollte der Gegentrend eingeleitet werden
und ein fairer Anteil für die Arbeitnehmer rauskommen.
ÖSTERREICH: Was können die Unternehmen ihrer Meinung nach beitragen?
Buchinger:
Wir fördern gemeinsam mit großen Unternehmen und der
Industriellenvereinigung ein Projekt namens „Corporate Social
Responsibility“. Dabei werden Unternehmen ermuntert und auch gefördert, dass
sie über die Gesetze hinaus mehr freiwillige Beiträge für soziale
Gerechtigkeit leisten. In Zeiten einer guten Gewinnsituation hat es jedes
Unternehmen selbst in der Hand, freiwillige Sozialleistungen zu tätigen. Das
Projekt fördern wir mit 100.000 Euro im Jahr.
ÖSTERREICH: Kann man sich dem Trend, dass die Lohnquote immer
weiter sinkt, überhaupt entziehen?
Buchinger: Die
Globalisierung spielt eine große Rolle und diesem Trend kann man sich nicht
ganz entziehen. Man kann aber dafür sorgen, dass sich diese Entwicklung
unter geordneten sozialen Bedingungen vollzieht. Dazu gehört auch, dass die
Konsumenten beim Kauf einer Ware auch die Produktionsbedingungen bedenken.
Die Kunden sollen bei den großen Ketten nachfragen, unter welchen
Bedingungen bestimmte Waren hergestellt werden.
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Das tägliche Leben wird immer teurer: So sind Preise für Brot im September um bis zu 7 Prozent gestiegen, Milchprodukte wurden um bis zu 20 Prozent teurer, Gemüse sogar um bis zu 38 Prozent. Und für Strom zahlen wir um 9 Prozent mehr, als noch vor einem Monat.
Lohnquote
Gleichzeitig sinkt die Lohnquote – also der Anteil der
Arbeitnehmerentgelte am wirtschaftlichen Gesamteinkommen des Staates –
ständig. Dazu kommt: die Gewinne der Unternehmen werden immer größer. Die
Gründe:
Zunahme schwach entlohnter Beschäftigungsformen
Zum einen
gibt es in Österreich eine starke Zunahme an schwach entlohnten
Beschäftigungsformen wie geringfügige Beschäftigung oder Teilzeitarbeit. Bei
Vollzeitarbeitsplätzen hingegen ist die Entwicklung sehr schwach. Die Folge:
Die Menschen verdienen insgesamt weniger.
Arbeitnehmer orientieren sich an Mindeststandards
Immer mehr der
heimischen Unternehmen bezahlen nur mehr das an ihre Arbeitnehmer, was sie
wirklich zahlen müssen: die kollektivvertraglichen Mindestlöhne.
Weniger Gewinnausschüttungen
Zudem können auf den
Finanzmärkten immer bessere Renditen erzielt werden. Die Unternehmen
behalten einen größeren Anteil am Gewinn ein, als früher. Die Folge: Die
einzigen Gehälter, die rapide ansteigen, sind jene der Manager. Einer
Manager-Gehaltserhebung zufolge, verdienen heimische Top-Manager um die
Hälfte mehr als noch vor 25 Jahren. Inflationsbereinigt sind die
Jahreseinkommen auf der ersten Führungsebene seit 1982 um 52% auf
durchschnittlich 174.830 Euro brutto gestiegen.
Konkurrenz
Ebenfalls schuld an der Lohnmisere: Die
Globalisierung. Zwar bekommt die Bevölkerung durch die internationale
Verflechtung der Wirtschaft billigere Waren aus dem Ausland – gleichzeitig
gibt es aber auch einen Zustrom an Arbeitskräften, die vor allem im
Billiglohnbereich das Lohnniveau drücken.