Zu viel der Einzelfälle

Ludwig & Rendi fordern sofortigen Stenzel-Rücktritt

08.09.2019

Rücktritt als nicht amtsführende Stadträtin sei notwendig. Ludwig: Jetzt sei die FPÖ am Zug. 

Zur Vollversion des Artikels
© APA/HERBERT NEUBAUER
Zur Vollversion des Artikels

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner forderten heute gemeinsam den Rücktritt der FPÖ-Politikerin Ursula Stenzel. In einer Pressekonferenz riefen sie die nicht amtsführende Stadträtin dazu auf, die Funktion aufzugeben, nachdem sie bei einer rechtsextremen Identitären-Kundgebung teilnahm und sogar eine Rede hielt. "Diese Einzelfälle in der FPÖ vermehren sich", sagt Rendi-Wagner. Bisher hätten diese Einzelfälle aber keine Konsequenzen gehabt, so die SPÖ-Chefin. "Ich fordere zum zweiten Mal den Rücktritt Stenzels."

"Das Ganze hat System"

"Wer die FPÖ als Koalitionspartner nicht ausschließt, handelt verantwortungslos", sagt Rendi-Wagner weiter. Kurz habe bereits in Vergangenheit die Warnungen vor den Freiheitlichen ignoriert. Die Aussage, dass Stenzel nicht gewusst hätte, wo sie aufgetreten sei, lässt Rendi nicht so stehen: "Das Ganze hat bei der FPÖ System." 

Ludwig sagt, es sei verantwortungslos von Stenzel, bei einer Veranstaltung aufzutreten und dann zu sagen, "ich weiß nicht, wo ich bin". Das sei einer Politikerin nicht würdig. Stenzel sagte in einer Aussendung, sie hätte nicht gewusst, dass Identitäre dort sind. "Diese Erklärung ist zu durchschauen", so Ludwig und fügt hinzu: "Wenn das stimmen würde, wäre das ja noch schlimmer, dass sie so desorientiert sei."

Wiens Bürgermeister und die SPÖ-Chefin fordern ganz klar den Rücktritt Stenzels. 

"Nicht amtsführende Stadträte" ein Spezialfall

In der Bundeshauptstadt Wien existiert eine relativ einzigartige politische Funktion - jene des nicht amtsführenden Stadtrats. Möglich ist dies, weil Wien über ein Verhältnis- oder Proporzsystem verfügt, in der die Ressortzuteilung so geregelt ist, dass nicht alle Stadträte in den Genuss eines Amtes kommen. Sie sind "nur" Mitglied im Stadtsenat, aber nicht Teil der Stadtregierung.
 
Laut Stadtverfassung haben zwar im Gemeinderat vertretene Parteien "nach Maßgabe ihrer Stärke" Anspruch auf Regierungsposten, doch diese sind nicht alle automatisch mit Macht - also einem eigenen Ressort - verbunden. Das Prozedere zur Ernennung ist dementsprechend komplex. Zunächst wird in der konstituierenden Gemeinderatssitzung nach einer Wahl per Mehrheitsbeschluss der Bürgermeister gewählt. Darauf folgt die Bildung des sogenannten Stadtsenats.
 
Hier wird das Proporzsystem - also die anteilsmäßige Aufteilung der politischen Macht - schlagend. Wer "amtsführender Stadtrat" mit einem eigenen Ressort wird, entscheidet ebenfalls die Mehrheit im Gemeinderat. Die anderen, somit "nicht amtsführenden" Stadträte, gehen leer aus. Sie stehen keinem eigenen Geschäftsbereich vor, dürfen aber an den Sitzungen des Stadtsenats teilnehmen.
 
Über die Zahl der Stadträte, die zwischen neun und 15 liegen muss, entscheidet der Gemeinderat mit Mehrheitsbeschluss. Damit kann die Zahl variiert werden. Es ist jedoch nicht möglich, der Opposition die Stadträte zur Gänze wegzunehmen - wobei kleinere Fraktionen aufgrund des Aufteilungsschlüssels oft nicht über Stadtsenatsmitglieder verfügen. Derzeit sind dort etwa die Neos nicht vertreten.
 
Wer die Funktion eines nicht amtsführenden Stadtrats bekleidet, entscheidet die jeweilige Fraktion. Da sie in weiterer Folge nicht vom Gemeinderat mit einem Ressort betraut werden, ist es auch nicht möglich, dieses wieder zu entziehen. Eine etwaige Abwahl durch den Gemeinderat - also mittels Misstrauensantrag - ist in der Stadtverfassung somit nur bezüglich der amtsführenden Stadträte geregelt.

Wirbel um Skandal-Auftritt

Die FPÖ-Politikerin Ursula Stenzel sorgte mit ihrem Auftritt beim Aufmarsch der rechtsextremen Identitären in Wien am Samstagabend für Aufregung. Auf sozialen Medien kursierte ein Video mit Stenzel während des Fackelzuges in der Innenstadt. Man habe "ein Zeichen gesetzt" und sie halte es "für wahnsinnig wichtig, dass besonders junge Leute dieses Geschichtsbewusstsein heute haben", sagte die Wiener Stadträtin.
 
 
Die frühere ÖVP-Europaabgeordnete verwies in diesem Zusammenhang auch an die jüngsten Aussagen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der die EU in der Flüchtlingsfrage "unter Druck setzt". Dies sei "ein Symptom für die Bedenkenlosigkeit vieler europäischer Regierungen", mahnte das nicht amtsführende Mitglied der Wiener Stadtregierung.
 

Rücktrittsforderungen der Parteien

ÖVP, SPÖ, Neos, Liste Jetzt und Grüne forderten indessen in Aussendungen Stenzels Ausschluss aus der Partei bzw. ihren Rücktritt als Stadträtin. "Der Auftritt der FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel bei den rechtsextremen Identitären ist inakzeptabel. Parteichef Norbert Hofer kann nun unter Beweis stellen, wie ernst es ihm mit dem Durchgriffsrecht in seiner Partei ist. Wir erwarten uns den Ausschluss von Ursula Stenzel aus der FPÖ und ihren Rücktritt", so ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer. Er bekräftigte, dass die ÖVP in der nächsten Legislaturperiode "hart gegen radikale und extremistische Bewegungen vorgehen" und sich für ein neues Vereinsrecht einsetzen will.
 
"Frau Stenzel, es ist Zeit für Ihren Rücktritt", forderte auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner auf Twitter. Auch aus der Wiener Landespolitik kamen Rücktrittsforderungen: So zeigte sich die Landesparteisekretärin der Wiener SPÖ, Barbara Novak, "entsetzt". Stenzel müsse alle Funktionen zurücklegen und zurücktreten. Auch für die grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein ist Stenzel als Stadträtin untragbar. Als "inakzeptabel, befremdlich und völlig falsches Signal" bezeichnete der ebenfalls nicht amtsführende Wiener Stadtrat Markus Wölbitsch (ÖVP) Stenzels Auftritt. Sie habe sich "endgültig für die Politik untragbar gemacht", befand auch der Klubobmann der Wiener Neos, Christoph Wiederkehr.
 
 
Thomas Drozda (SPÖ) schreibt eine besonders klare Rücktrittsforderung: "Die einzig mögliche Konsequenz ist Frau Stenzels SOFORTIGER Rücktritt und endlich eine klare Distanzierung von Norbert Hofer."
 
 
 
 

VP-Generalsekretär fordert Parteiausschluss Stenzels

"Der Auftritt der FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel bei den rechtsextremen Identitären ist inakzeptabel", sagt ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer in einer Aussendung. FPÖ-Parteichef Norbert Hofer könne nun unter Beweis stellen, wie ernst es ihm mit dem Durchgriffsrecht in seiner Partei sei, so Nehammer weiter. "Wir erwarten uns den Ausschluss von Ursula Stenzel aus der FPÖ und ihren Rücktritt."
 
© TZOE/Gruber
 Stenzel mit Fackel in der Hand beim Aufmarsch von den rechtsextremen Identitären in Wien.
 

SPÖ: "In Wien ist kein Platz für Rechtsextremismus"

Auch die Landesparteisekretärin der Wiener SPÖ, Barbara Novak, zeigt sich in einer Aussendung über den gestrigen Auftritt Stenzels entsetzt: "Abgesehen davon, dass rechtsextreme und antidemokratische Ideologien in Wien einfach nichts verloren haben, zeigt die FPÖ einmal mehr, dass sie nicht regierungsfähig ist", kritisiert Novak und hält Stenzel "reif für einen Rücktritt".
 

Pilz: Hofer verliert die Kontrolle

"Norbert Hofer hat offensichtlich die Kontrolle über die FPÖ verloren", stellte Liste-Jetzt-Spitzenkandidat Peter Pilz in einer Aussendung fest. "Wenn Hofer jetzt nichts tut, haben sich Rechtsextremismus und Korruption endgültig in der FPÖ durchgesetzt." Für SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak befindet sich Stenzels "Identitären-Nähe auf einer Handlungslinie mit Hofer und Kickl". Die Organisation fordert von den Parteien noch vor der Wahl ein klares Bekenntnis, keine Regierung mit Personen zu bilden, die eine Nähe zu Rechtsextremismus und rechtsextremen Gruppierungen wie den Identitären aufweisen.
 
Die "Offensive gegen Rechts", die gegen den gestrigen Aufmarsch der Identitären demonstriert hatte, zeigte sich in einer Aussendung erfreut darüber, dass die rechtsextreme Bewegung ihre ursprünglich geplante Route änderte und die Veranstaltung vom Kahlenberg in die Wiener Innenstadt verlegte: "Es ist uns gelungen, die identitäre Propagandashow zu verhindern. Das ist ein Erfolg der antifaschistischen Bewegung", zog OGR-Sprecherin Käthe Lichtner Bilanz.
 
Zur Vollversion des Artikels