Redakteure kritisieren Übertragung ohne journalistischen Grund als 'völlig untragbar'
Im ORF herrscht drei Monate vor der Wahl einer neuen Geschäftsführung Aufregung um die Live-Übertragung des Bundestags der Jungen Volkspartei (JVP) via ORF-TVthek. Kritik kommt vor allem von den Journalistinnen und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Senders, die keinen journalistischen Grund für den türkisen Livestream vom Samstag sehen. Der für die TVthek zuständige Online-Chef Thomas Prantner verteidigt indes die Übernahme des von der VP zur Verfügung gestellten Links.
"Es ist korrekt, dass die Hauptabteilung Online und neue Medien gestern die Entscheidung getroffen hat, den Bundestag der JVP als Livestream auf der ORF-TVthek live zu übertragen. Diese Entscheidung erfolgte aus journalistischen Gründen, da im Programm des Bundestags ein Auftritt von Bundeskanzler Kurz angekündigt war und wir aufgrund der aktuellen politischen Diskussion rund um eine mögliche Anklage gegen den Bundeskanzler im Interesse einer aktuellen Information des Publikums live dabei sein wollten", erklärte Prantner in einer Stellungnahme.
Keinen relevanten Grund
Mit dem amtierenden ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, der seine neuerliche Bewerbung für die ORF-Wahl am 10. August erst kürzlich angekündigt hatte und der gegenwärtig auch als Informationsdirektor des Senders fungiert, war die Übertragung im Vorfeld nicht abgestimmt, hieß es aus dem ORF. Prantner dürfte sich laut verschiedenen Medienberichten ebenfalls für den Posten des ORF-Chefs bewerben, als bürgerliche Alternative zum SPÖ-nahen Wrabetz, wie es heißt. Die Übertragung des JVP-Bundestags wird ORF-intern als entsprechendes Signal interpretiert.
Der ORF-Redakteursrat übte deshalb am Montag mit einer Aussendung scharfe Kritik an der Aktion. "Aus unserer Sicht gab es keinen journalistisch relevanten Grund, den Parteitag der 'Jungen ÖVP' online zu übertragen. Ein Auftritt des ÖVP-Obmanns bei dieser Veranstaltung kann jedenfalls keine Begründung dafür liefern, zumal Sebastian Kurz in den vergangenen Tagen mehrere Gelegenheiten genutzt hat, seine Sicht der Dinge darzulegen", hält der Redakteursrat fest. Die Entscheidung zur Übertragung sei nicht von der Redaktion des "Aktuellen Dienstes" getroffen worden, sondern von Online-Chef Thomas Prantner.
"Völlig untragbar"
Die Übernahme des von der ÖVP selbst produzierten Signals der Veranstaltung sei aus journalistischer Sicht "völlig untragbar", heißt es in der Aussendung. Es entstehe der Eindruck der "politischen Wunscherfüllung", was der Glaubwürdigkeit der ORF-Berichterstattung schade. "Die bevorstehende Wahl des ORF-Direktoriums und die aktuelle innenpolitische Situation dürfen keinen Nährboden für Kritik an unserer Berichterstattung bieten. Umso wichtiger ist Transparenz bei der Programmgestaltung", so der Redakteursrat. Eine düstere Zukunft für den ORF und die Pressefreiheit in Österreich sehen die Räte für den Fall, dass das wichtigste Kriterium für eine Führungsfunktion im ORF echte oder vermutete Loyalität zu politischen Parteien sein sollte. Wichtiger wäre ein Wettstreit der Ideen, wie der ORF auch in Zukunft sein Publikum erreicht.
Auch Heinz Lederer, Leiter des SPÖ-"Freundeskreises" im ORF-Stiftungsrat, zeigte sich gegenüber der APA erbost über die Übertragung des JVP-Bundestags. "Einen Wahlkampf im unabhängigen ORF wollen wir nicht haben", sagte er. Von Generaldirektor Alexander Wrabetz fordert er noch vor der nächsten Stiftungsratssitzung am 10. Juni "lückenlose Aufklärung". Der Stiftungsrat möchte die Hierarchien der ORF-TVthek genau aufgelistet haben und erfahren, wer den Auftrag wann erteilte. Auch welche Konsequenzen diese Entscheidung für den Verantwortlichen haben wird und wie hoch der ökonomische Wert eines derartigen zweistündigen Beitrags in der ORF-TVthek ist, will Lederer wissen. In der nächsten Stiftungsratsitzung werde er den Vorfall jedenfalls "massiv thematisieren".
"Lupenreiner ORF-Skandal"
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch sah einen "schamlosen Zugriff der türkisen ÖVP auf den ORF" gegeben. Es handle sich um einen "lupenreinen ORF-Skandal im Vorfeld der Generaldirektorwahl". Angesichts des Werbecharakters solcher Sendungen sei jedenfalls eine Überprüfung durch den Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat (UPTS) geboten, meinte er. Kritik kam auch von FPÖ-Klubobmann Maximilian Krauss: "Der ORF entwickelt sich zum reinen Türkis-Funk und lässt sich als Propagandainstrument für die Kurz-Truppe missbrauchen." Die Jugendorganisationen von SPÖ, NEOS, Grünen und FPÖ forderten am Montag in einem gemeinsamen offenen Brief mehr Gehör für Jugendthemen im ORF: "Geben Sie der Jugend eine Stimme - unabhängig vom politischen Couleur!"
Online-Chef Prantner, dem auch gute Kontakte zur FPÖ nachgesagt werden, argumentierte unterdessen, dass die TVthek des ORF als Zusatzservice immer wieder Livestreams von Veranstaltungen, Pressekonferenzen und Statements aller politischen Parteien anbiete. "Die thematische Auswahl der Livestreams erfolgt nach journalistischen Kriterien und den Grundsätzen der Objektivität, Meinungsvielfalt, Ausgewogenheit und Gleichbehandlung aller Parteien", wies Prantner den im Raum stehenden Vorwurf, dass es sich um eine eigennützige Wahlkampfinitiative vor den ORF-Wahl handeln könnte zurück. Die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen - Berichterstattung im linearen TV - sieht Prantner durch einen kurzen Beitrag in der Samstag-Spät-ZiB erfüllt.