DieMindestsicherung wird bereits seit den 80er Jahren ventiliert
Die jahrelang diskutierte Mindestsicherung ist in Reichweite. Nachdem sich SPÖ und ÖVP am Montag auf die Transparenzdatenbank geeinigt haben, ist der bisher von der ÖVP blockierte Weg für die Einführung der Mindestsicherung wieder frei: Das Instrument zur Armutsbekämpfung noch vor dem Sommer im Plenum beschlossen, um - zumindest in den meisten Bundesländern - das für September geplante Inkrafttreten zu ermöglichen.
Die bedarfsorientierte Mindestsicherung wird bereits seit den 80er Jahren ventiliert, 2006 hatte sich eigentlich schon die Regierung Gusenbauer/Molterer grundsätzlich darauf geeinigt. Einen Wahlgang später wird sie Mitte 2009 nach weiteren Verzögerungen und einer Reduktion von 14 auf 12 Monatsraten endlich fixiert. Anfang 2010 junktimiert sie allerdings die ÖVP mit dem Transferkonto. Nach einem letzten Hick-Hack zwischen den Regierungsparteien stieg Montagnachmittag nun wieder weißer Rauch auf. Im Folgenden eine Chronologie:
20.12.2006: SPÖ und ÖVP einigen sich bei ihren Koalitionsverhandlungen in den Bereichen Pensionen und Grundsicherung. Bei der Grundsicherung, die nunmehr offiziell bedarfsorientierte Mindestsicherung genannt wird, wurden als Richtwert 726 Euro festgelegt. Im folgenden Jahr setzt Sozialminister Erwin Buchinger (S) eine Arbeitsgruppe ein.
8.2.2008: Buchinger schickt seinen Entwurf für eine Bund-Länder-Vereinbarung zur Mindestsicherung in Vorbegutachtung. Ausbezahlt werden soll die Leistung 14 mal. Doch Kärnten blockiert als einziges Land.
23.11.2008: Das neue Regierungsprogramm von Rot-Schwarz merkt knapp an: "Auf Basis der vorliegenden Arbeiten über die bedarfsorientierte Mindestsicherung deren Umsetzung zügig vorantreiben". Der neue Sozialminister Rudolf Hundstorfer (S) peilt den 1. Jänner 2010 als Start-Datum an. Zwischenzeitlich - nämlich am Heiligen Abend 2008 - wünscht er sich sogar ein Inkrafttreten noch 2009.
10.3.2009: Die Mindestsicherung wird verschoben. Der angepeilte Termin 1. Jänner 2010 kann nicht eingehalten werden. Weiter keine Einigung mit Kärnten.
28.7.2009: Die Mindestsicherung kommt gemäß Ministerratsbeschluss später und nur zwölfmal jährlich. Die österreichweite Vereinheitlichung der Sozialhilfe auf 744 Euro monatlich soll mit 1. September 2010 eingeführt werden. Kritik an den zwölf statt vierzehn Raten kommt aus SPÖ-Landesparteien.
7.9.2009: Kärnten lenkt ein und will sich dem Bundesmodell anpassen. Sie soll per 1. September 2010 in Kraft treten. Die ÖVP besteht weiterhin auf einer zwölfmaligen Auszahlung.
14.10.2009: Finanzminister Josef Pröll (V) schlägt bei einer groß inszenierten Rede unter dem Schlagwort der "Leistungsgerechtigkeit" ein "Transferkonto" für jeden Haushalt vor, das ausweist, welche Unterstützungen auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene bezogen werden. Damit sollen Doppelförderungen verhindert werden. Die SPÖ befürchtete hingegen eher Sozialkürzungen und lehnt eine "Neiddebatte" umgehend ab.
18.10.2009: Sozialminister Hundstorfer will eine Debatte über Verteilungsgerechtigkeit nur dann führen, wenn "alle Transferleistungen" - also auch Förderungen für ÖVP-Klientel wie Bauern und Wirtschaft - auf den Tisch gelegt werden.
17.11.2009: Die ÖVP trommelt bei ihrer Klubklausur das Thema weiter und verknüpft dieses mit der Mindestsicherung. Die SPÖ lehnt eine solche Junktimierung ab.
20.1.2010: Bei einer parlamentarischen Enquete zum Thema soziale Gerechtigkeit zeigen sich die Koalitionspartner weiter unversöhnlich, was ein Transferkonto betrifft.
2.3.2010: Das ÖVP-Junktim zieht: Bei ihrer Klausur in Graz einigt sich die Regierung auf die Einführung der Mindestsicherung und einer "Transparenzdatenbank". Ein Beschluss, der von den Koalitionsparteien unterschiedlich interpretiert wird: Die ÖVP bejubelt die Einführung des Transferkontos, die SPÖ sein Dahinscheiden. Es soll nicht nur um Sozialleistungen, sondern auch Subventionen in Wirtschaft und Landwirtschaft gehen. Details soll eine Arbeitsgruppe mit Vertretern von Bundeskanzleramt, Finanz-, Sozial-, Infrastruktur, Wirtschafts-und Landwirtschaftsministerium ausarbeiten.
27.5.2010: Die ÖVP droht mit der Blockade der Mindestsicherung, sollten bis Anfang Juni nicht auch die Details der Transparenzdatenbank beschlussreif sein. Bei den Verhandlungen spießt es sich offenbar an 800 Mio. Euro im Agrarbereich. SPÖ und ÖVP interpretieren diesen Betrag unterschiedlich - nämlich als Transfer ohne (SPÖ) bzw. mit (ÖVP) Gegenleistung.
8.6.2010: Intensive Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP. Bis 10. Juni will man eigentlich fertig sein, um im Sozialausschuss des Nationalrats die Weichen für einen Beschluss sowohl von Mindestsicherung als auch Transparenzdatenbank im Juni-Plenum zu stellen.
9.6.2010: Sozialminister Hundstorfer und ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf einigen sich auf grundsätzlich über die inhaltliche Ausgestaltung der Datenbank, es spießt sich allerdings noch an der Frage der Länder-Einbindung. Die SPÖ besteht darauf, dass die Transferdatenbank erst dann in Betrieb gehen kann, wenn auch die Länder mittels einer 15a-Vereinbarung definitiv eingebunden sind. Die ÖVP beharrt auf einen fixen Start der Datenbank Ende März 2011 - auch dann, wenn noch nicht alle Länder an Bord sind. Die Causa wird zur Chefsache erklärt.
28.6.2010: Die Regierungsspitze einigt sich endgültig auf die Einführung einer Transparenzdatenbank, womit auch die Mindestsicherung vom Nationalrat beschlossen werden kann. Der Kompromiss zwischen Bundeskanzler Werner Faymann (S) und Vizekanzler Pröll sieht vor, dass bereits Anfang 2011 der Bund seine Förderungen in die Datenbank einspeist. Die Länder sollen dann bis spätestens Anfang 2012 folgen. Sollte sich eines der Länder weigern, an der Datenbank mitzuwirken, droht der Bund mit einem Verfassungsgesetz. Mit Hilfe von diesem könnten die Länder gezwungen werden, auch gegen ihren Willen an der Förderdatenbank mitzuwirken.