Blaues Beben

Kulturszene über FPÖ-Sieg "geschockt" und "erschüttert"

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In der österreichischen Kulturszene herrschte nach dem blauen Wahl-Beben Erschütterung.  

Viele hatten gehofft, dass sich die Umfragen nicht bewahrheiten würden und hatten für eine offene, diverse Gesellschaft und gegen Rechts mobilgemacht. Einige Protagonisten beantworteten bereits am Sonntagabend Fragen der APA oder schickten kurze Statements. 

Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek:

"Das Ergebnis war zu befürchten, da die FPÖ seit über einem Jahr in den Umfragen konstant auf Platz eins lag. Die ÖVP hat jetzt eine große Verantwortung, und ich hoffe sehr, dass sich vernünftige Kräfte in der ÖVP finden, die darauf hinwirken, dass es keine Koalition mit der FPÖ gibt."

Johanna Rachinger

Johanna Rachinger

© Artner
× Johanna Rachinger

"Offensichtlich gibt es eine große Unzufriedenheit mit dem Bestehenden. Woher diese Unzufriedenheit aber konkret kommt, bleibt oft diffus. Es verstärkt sich der Eindruck, dass es mehr um Gefühle als um Fakten geht. Viele delegieren ihre eigene Unsicherheit und ihre Unzufriedenheit an einen starken Mann, scheinbar ohne genau zu wissen, wie die Politik konkret aussehen soll und welche Konsequenzen das hat. Aber es gibt andererseits auch eine wahrscheinlich gar nicht so kleine Gruppe, die genau das will, wofür Politik am rechten Rand in Österreich heute steht."

Eine mögliche Koalition mit der FPÖ oder gar ein Bundeskanzler Herbert Kickl bedeute für Österreich und die Kulturszene "einen Wandel mit ungewissem Ausgang - für alle Bereiche unseres Landes. In der Kultur wird es sehr stark in Richtung Renationalisierung gehen. Das, was unsere Kultur ausmacht, Vielfalt, Offenheit und Diversität, wird zurückgedrängt werden."

Zu ihren Ängsten und Hoffnungen befragt, meint Rachinger: "Ich befürchte eine Orbanisierung Österreichs, das heißt die Hinwendung zu einer illiberalen Demokratie mit autokratischen Tendenzen. Ich wünsche mir, dass Österreich eine starke liberale Demokratie bleibt."

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Ekaterina Degot, Intendantin des Festivals steirischer herbst:

"Das Wahlergebnis ist, wenn auch nicht überraschend, dennoch erschütternd. Was Koalitionen betrifft, ist bei all der moralischen Hyperflexibilität, gepaart mit akuter Amnesie natürlich alles möglich. Wir erwarten das Schlimmste. Aber: Prepare for the worst and fight for the best! Wer Kultur zensiert, die nicht passt, hat wenig Bedenken, Menschen einzusperren, die nicht 'passen'. Das hat die Geschichte immer und immer wieder gezeigt. Wir brauchen keinen erneuten Beweis."

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Milo Rau, Intendant der Wiener Festwochen:

Milo Rau zeigte sich im Telefonat mit der APA verwundert, wie genau man in New York, wo er sich dieser Tage aufhält, die politische Situation in Europa und in Österreich verfolge. Es sei offenbar eine internationale Entwicklung, dass immer größere Teile der Bevölkerung das Aufgebaute "zerschlagen wollen, ohne zu wissen, warum": "Das ist rein destruktiv, ohne einen Plan!" Für den Schweizer ist das österreichische Wahlergebnis "noch ein bisschen schlimmer, noch desaströser ausgefallen als erwartet".

Milo Rau
© APA/HANS KLAUS TECHT
× Milo Rau

Für Rau steht trotz Platz eins für die FPÖ fest: "Diese Partei kann nicht den Kanzler stellen!" Man müsse aus der Geschichte lernen und dürfe keine antidemokratischen Kräfte mit demokratischen Mitteln an die Macht kommen lassen: "Man muss als Demokrat Widerstand leisten!" Auch gegen Kulturfeindlichkeit müsse man energisch auftreten und Kulturinstitutionen als Räume des offenen Dialogs verteidigen.

"Wir stehen auf unsicherem Boden. Wir haben uns nach 1989 offenbar zu sicher gefühlt", konstatierte der Regisseur und Festivalmacher historische Versäumnisse in einer Gesellschaft, die in vielen europäischen Ländern nach rechts rutscht. "Eine plebiszitäre Volkskanzlerdiktatur, die alles Verbindende abräumt, wäre Kapitel eins der Tragödie. Das wäre der Beginn des Untergangs des europäischen Projekts."

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Kay Voges, Direktor des Wiener Volkstheaters:

"Es wurde so fürchterlich, wie man es sich nicht vorstellen wollte", sagte Theaterintendant Kay Voges, der sich mit der Band "Die Hitlers" noch am Sonntagnachmittag satirisch in den antifaschistischen Kampf eingebracht hatte, unmittelbar nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnung am Rande der Volkstheater-Wahlparty. "Man ist erst mal schockiert, dass fast 30 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher eine antidemokratische Partei wählen. Was ist verkehrt gelaufen in den letzten Jahren? Haben wir in diesem Land zu wenig humanistische Grundbildung?", fragte er im Gespräch mit der APA. "Ich glaube, es ist jetzt an uns zu fragen: Wo hat die österreichische Demokratie in allen Bereichen versagt?"

Er hoffe jetzt "inbrünstig, dass es nicht zur schlimmsten aller Koalitionen kommt und die ÖVP wirklich noch eine 'Volkskanzlermacherpartei' wird." Es schockiere, "dass die FPÖ und die ÖVP zusammen jetzt bei 55 Prozent sind. Das ist ein österreichzentristisches Weltbild, das sich vor dem Anderen, dem Neuen, verschließt. Und das ist schon ein menschenverachtendes Weltbild, das die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher wählt. Das schockiert mich."

Voges sieht "eine Tendenz, den komplexen Sachverhalten, den komplexen Problemen der Wirklichkeit mit einfacher Polemik zu begegnen. Es hat die Partei gewonnen, die die polemischsten, einfachsten, unterkomplexesten Antworten gegeben hat. Vielleicht müssen wir noch weiter hinaus rufen, dass Komplexität in einer globalisierten, multikulturellen Welt dazugehört, und dass das unsere Herausforderung ist. Und dass diese Herausforderung auch mit der Schönheit zu tun hat, ein Miteinander hinzubekommen, und dass Rassismus, Polemik, Vereinfachung nicht zum Wohl aller führt."

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