Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat die Einigung der EU mit Tunesien über eine noch stärkere Zusammenarbeit beim Thema Migration begrüßt.
"Österreich fordert das schon sehr lange, das ist der richtige Weg, den die Kommission da einschlägt", sagte Nehammer am Montag am Rande eines Gipfeltreffens in Brüssel. Dabei verwies er auf die Übereinkommen Österreichs mit Marokko und Indien sowie ein geplantes Abkommen mit Ägypten. Die EU müsse diesen "Weg weitergehen".
Abkommen mit Ägypten und Marokko geplant
Laut einem Medienbericht wird hieran auch bereits gearbeitet. Die Europäische Union wolle nach Angaben aus EU-Kreisen ähnliche Vereinbarungen wie mit Tunesien auch mit Ägypten und Marokko abschließen, schreibt die Nachrichtenagentur AFP. Es gehe dabei nicht darum, den nordafrikanischen Regierungen einen Blankoscheck für den Umgang mit Migranten auszustellen, habe am Montag ein hochrangiger EU-Vertreter gesagt, der anonym bleiben wollte. Vielmehr sollten die entsprechenden Abkommen auch eine Reihe von Verträgen mit NGOs und UN-Institutionen beinhalten.
Nehammer unterstrich, es sei wichtig, Partnerschaften auf "Augenhöhe" zu bilden. Es brauche eine "Win-Win-Situation", die nordafrikanischen Länder müssten also davon profitieren, wenn sie mit Europa eine Partnerschaft eingehen, so der Kanzler.
Finanzhilfe für Verschärfung gegen Schlepper
Nach der am Sonntag finalisierten Einigung kann die EU-Kommission für das wirtschaftlich schwer angeschlagene Tunesien Finanzhilfen in Höhe von bis zu 900 Millionen Euro auf den Weg bringen. Im Gegenzug für die Finanzhilfen soll das Land in Nordafrika künftig stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen, um dort die Abfahrten von Menschen in Richtung Europa zu reduzieren.
Tunesien ist eines der wichtigsten Transitländer für Migranten auf dem Weg nach Europa. Vor allem in Italien wird seit geraumer Zeit über die Ankunft Tausender Migranten diskutiert. In diesem Jahr stiegen die Migrationszahlen über die Mittelmeerroute massiv.
Experte Knaus übt Kritik
Der Migrationsexperte Gerald Knaus sieht die Lösung für nicht zu Ende gedacht. Wie der Österreicher in der ZiB3 am späten Montagabend ausführte, stelle sich die kritische Frage, ob es in der Absichtserklärung ein klares Konzept gebe, wie Menschen daran gehindert werden sollen, sich in Boote zu setzen und das Meer zu überqueren.
Es gelte beispielsweise "sicherzustellen, dass etwa Menschen aus der Elfenbeinküste oder Guinea, die von den (tunesischen, Anm.) Küstenwächtern oder Polizei gestoppt werden, nicht wie in den letzten Tagen gesehen am Ende in der Wüste an der Grenze von Tunesien zu Libyen landen. Sondern so behandelt werden, wie das die Flüchtlings- und Menschenrechtskonvention vorsieht", meinte Knaus. "Ich fürchte, dass das, was man erreichen kann, auf Kosten der Menschenrechte umsetzt wird", so seine Schlussfolgerung des Architekten des EU-Türkei-Abkommens zur Reduzierung der Fluchtbewegung von 2016.
Menschenrechte nur in Nebensatz
Wenn man die Erklärung der EU mit Tunesien lese, stehe in einem Nebensatz etwas über Menschenrechte. Auch die Versprechen der Europäischen Union an Tunesien seien sehr vage gehalten, sagte Knaus. Als eine mögliche Alternative sieht er Angebote an Tunesien für eine legale Arbeitsmigration. Wolle man die illegale Migration von Schutzsuchenden reduzieren, gelte es wiederum darum, tatsächlich sichere Drittstaaten zu finden.
Bielowski (SPÖ): Tunesien-Deal großer Fehler
Die SPÖ-Europaabgeordnete Theresa Bielowski bezeichnete den Tunesien-Deal als großen Fehler. "Mit einem EU-Tunesien-Abkommen in dieser Form, fördern wir ein unverlässliches autokratisches System ohne politische Kontrollfunktion und geben Tunesien einen Freifahrtschein, um Flüchtlinge mit Pushbacks von der Flucht abzuhalten. Zudem werden hier Geldsummen versprochen, von denen niemand weiß aus welchen Töpfen sie finanziert werden sollen, haben sich doch gerade Nehammer & Co. gegen eine Erhöhung des EU-Budgets ausgesprochen. Ich bin erschrocken, wie weit die EU-Kommission zu gehen scheint und Seite an Seite mit der Populistin Meloni solche Abkommen abschließt, nur um sich selbst nicht um die Menschen kümmern zu müssen, die aus großer Not heraus nach Europa flüchten." Das Resultat eines solches Deals werde sein, dass Flüchtlinge noch häufiger gezwungen werden, sich auf kriminelle Schleppernetzwerke zu verlassen.