PIRLS-Neuauswertung
Noten passen oft nicht zur Leistung
16.03.2009
Laut PIRLS bewerten Lehrer ihre Schüler häufig signifikant falsch.
In Österreich sagen Schulnoten wenig über die tatsächlichen Leistungen aus. Das hat die Detailauswertung der Lesestudie PIRLS 2006 (Progress in International Reading Literacy Study) unter Schüler der vierten Klasse Volksschule erneut bestätigt. Auffälligstes Ergebnis der Analyse durch das Bundesinstitut für Bildungsforschung: Die schwächsten Schüler mit einem "Sehr Gut" als Deutschnote in der Schulnachricht haben bei PIRLS dieselbe Testleistung erbracht wie die besten Schüler mit "Nicht Genügend".
Risikoschüler nicht erkannt
Vier Prozent der Schüler, die
laut PIRLS zur Gruppe der Risikoschüler gehören und selbst mit einfachsten
Lese-Aufgaben Probleme haben, wurden aber von ihren Lehrern im Fach Deutsch
mit "Sehr Gut" benotet, weitere 24 Prozent mit "Gut". Die Studienautoren
ziehen daraus den Schluss, dass ein Teil der Risikoschüler von den Lehrern
nicht als solche erkannt und dementsprechend auch nicht speziell gefördert
wird. Gleichzeitig haben fünf Prozent der Schüler, die bei PIRLS in der
Spitzengruppe gelandet sind, im Semesterzeugnis "Befriedigend" als
Deutschnote stehen.
Noten passen nicht zu Können
Noten sollten laut Gesetz
darüber Auskunft geben, ob ein Schüler ein bestimmtes Leistungsniveau
erreicht hat. Tatsächlich werden Schüler, die bei PIRLS eine ähnliche
Leistung erbracht haben, sehr unterschiedlich benotet: Mehr als 70 Prozent
der Schüler, die mit "Befriedigend" beurteilt wurden und daher nicht
AHS-reif sind, haben bei PIRLS gleich gut abgeschnitten wie Schüler mit
einem "Gut" im Zeugnis, also mit AHS-Reife; 50 Prozent der Schüler mit einem
Dreier haben sogar Testwerte, die auch bei Einser-Schülern zu finden sind.
"Auch wenn in die Deutschnote noch andere Kriterien als die Leseleistung
(z.B. Grammatik, Rechtschreibung, Schreiben, Anm.) eingehen müssen, sprechen
diese erheblichen Überlappungsbereiche gegen eine kriteriumsorientierte
Beurteilung", kritisieren die Studienautoren.
Noten passen zur Klasse
Lehrer würden sich bei der Notengebung
"vornehmlich" am Niveau der Klasse und nicht am erreichten Leistungsniveau
orientieren, heißt es in dem Bericht. Die Folge: In Klassen mit vielen
leistungsstarken Schülern wird insgesamt strenger, mit vielen
leistungsschwachen Schülern milder benotet. In "schwachen" Klassen haben
Spitzenschüler eine zehn Prozent höhere Chance, ein "Sehr Gut" zu bekommen;
gleichzeitig gibt es in "starken" Klassen mehr Spitzenschüler mit der Note
"Befriedigend". Laut Studie besteht "sogar zwischen den Leseleistungen von
Kindern mit 'Sehr Gut' (schwache Klasse) ein breiter Überlappungsbereich mit
der Leseleistung von Kindern mit 'Genügend' (beste Klassen)".
Lehrer überschätzen Niveau
Das Lese-Niveau ihrer
Klassen schätzen die Lehrer vergleichsweise positiv ein und neigen dazu, es
zu überschätzen: Ihrer Einschätzung nach besucht nur ein Prozent der Schüler
eine Klasse, in der die Leseleistung unterdurchschnittlich ist, in den
EU-Ländern mit Spitzenplätzen bei PIRLS sind es laut Angaben der Pädagogen
zehn Prozent. Dabei ist die Benotung im Fach Deutsch/Lesen vergleichsweise
streng, was die Studienautoren auf den hohen Stellenwert zurückführen, der
dem Fach beigemessen wird. Im Vergleich zu Mathematik werden in
Deutsch/Lesen um elf Prozentpunkte weniger "Sehr Gut" vergeben, im Vergleich
zum Sachunterricht sogar nur halb so viele.
Die Studie räumt übrigens mit einem altgedienten Klischee auf, wonach viele Volksschulpädagogen nur die Noten "Sehr Gut" und "Gut" vergeben. Das tun lediglich 1,5 Prozent der Lehrer, zwei Drittel der Lehrer verteilen Noten von "Sehr Gut" bis "Genügend" bzw. von "Gut" bis "Nicht Genügend".
Schmied besteht auf Reform
SPÖ-Bildungsministerin Claudia Schmied
fühlt sich durch die PIRLS-Lesestudie in ihrer Überzeugung bestätigt, dass
die Bildungsreform konsequent weiter geführt werden muss. Das sei bei den
gegebenen Budgets aber nur möglich, wenn die von ihr geplante Ausweitung der
Unterrichtszeiten durchgeführt wird, so Schmied.
Verbesserungen unaufschiebbar
Die Zahlen der Studie würden
belegen, dass die geplanten Verbesserungen unaufschiebbar seien. Konkret
nannte Schmied die Sprachförderung im Kindergarten, das verpflichtende
Kindergartenjahr oder den Ausbau der Deutschförderkurse an den
Pflichtschulen sowie bessere Rahmenbedingungen für Lehrer.