108 Seiten Strafantrag

oe24 enthüllt: Die komplette Kurz-Anklage

Teilen

Die Anklage gegen Sebastian Kurz wegen Falschaussage ist fix. oe24 liegt der komplette Strafantrag der WKStA vor. Und der hat es in sich. 

108 Seiten ist er lang: oe24 liegt der komplette Strafantrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vor. Demnach gibt es drei Angeklagte: Ex-Kanzler Sebastian Kurz, sein ehemaliger Kabinettschef Bernahrd Bonelli und die Ex-ÖVP-Parteivize und Casinos-Chefin Bettina Glatz-Kremsner. 

Prozess startet ab 18. Oktober

Es gibt auch schon einen Verhandlungstermin. Die drei Angeklagten müssen sich ab 18. Oktober am Wiener Landesgericht für Strafsachen verantworten. Die Verhandlung ist auf drei Tage anberaumt, die Urteile sollen am 23. Oktober fallen.

WKStA listet drei Vorwürfe gegen Kurz auf

Der Vorwurf: Falschaussage im U-Ausschuss. Die WKStA geht in ihrem Strafantrag davon aus, dass Kurz und die beiden Mitangeklagten unter Wahrheitspflicht nicht nur mit bedingtem Vorsatz, sondern "wissentlich" die Unwahrheit gesagt hätten. In der Aussagepsychologie bestünde "Einigkeit darüber, dass Menschen grundsätzlich nicht ohne Motiv lügen", hält die Anklagebehörde fest. Und weiter: "Fallbezogen liegt ein starkes Motiv für eine vorsätzliche Falschaussage vor."
 Bei Sebastian Kurz führt die WKStA in dem Strafantrag drei Vorwürfe an:

1. auf die Frage, ob die Planung, dass MMag. SCHMID Vorstand der ÖBAG werden solle, von ihm ausgegangen sei und ob er bis zur Mitteilung von MMag. SCHMID, dass er sich für diesen ausgeschriebenen Posten (als Vorstand der ÖBAG) bewerben werde, nie mit ihm darüber gesprochen habe, dass er dies werden könnte, tatsachenwidrig angab, es sei nicht von ihm ausgegangen, soweit er sich erinnern könne, habe er ihn irgendwann davon informiert, dass er sich bewerben werde, es sei in den Medien ein Thema und allgemein bekannt gewesen, dass ihn das grundsätzlich interessiere und es sei immer wieder davon gesprochen worden, dass er ein potenziell qualifizierter Kandidat wäre und auf die weitere Frage, ob er im Vorfeld eingebunden gewesen sei, dies mit dem einschränkenden Zusatz – „eingebunden im Sinne von informiert“ – bejahte, obwohl er selbst im Frühling/Sommer 2017 – schon lange vor ersten Medienberichten über die Vorstandsbesetzung – an MMag. SCHMID herangetreten war, um ihn mit der Vorbereitung der Strukturreform zu beauftragen und ihm mitgeteilt hatte, dass er seine (MMag. SCHMIDs) Rolle in der Leitung der neu zu strukturierenden Beteiligungsgesellschaft sehe, nur wenige Monate später in einem als Zusatz zum Koalitionsabkommen von ihm unterfertigten Sideletter mit STRACHE ein Nominierungsrecht der ÖVP für den Vorstand der Beteiligungsgesellschaft vereinbarte und im Zuge der Umsetzungsphase die Bestellung von MMag. SCHMID als den von ihm – in Effektuierung des Sideletters – in Aussicht genommenen Kandidaten befürwortete und unterstützte;

„2. auf die Frage, ob er Wahrnehmungen habe, wie der Aufsichtsrat der ÖBAG besetzt wurde, und ob er selbst eingebunden war, eigene Wahrnehmungen bejahte und diesbezüglich tatsachenwidrig ausführte, er wisse, dass es im Finanzministerium und im zuständigen Nominierungskomitee Gespräche und Überlegungen gegeben habe, er habe die Entscheidung nicht getroffen und er habe die Aufsichtsräte nicht ausgewählt, sondern wenn dann der Finanzminister bzw das Nominierungskomitee und er glaube, es sei naheliegend und er könne sich gut vorstellen, dass es immer wieder Brainstorming-Runden mit LÖGER, MMag. SCHMID, dem Nominierungskomitee und anderen zur Frage, wer als Aufsichtsrat der ÖBAG nominiert werden könnte, gegeben habe, obwohl er in einem als Zusatz zum Koalitionsabkommen von ihm unterfertigten Sideletter mit STRACHE ein Nominierungsrecht der ÖVP für den Aufsichtsrat der Beteiligungsgesellschaft vereinbart hatte, sich bei vielen Gesprächen zur Besetzung des Aufsichtsrates beteiligte und aktiv einbrachte, in Umsetzung dieser Nominierungsrechte sämtliche von der ÖVP zu benennenden Aufsichtsräte mit ihm selbst „abstimmen“ ließ, sodass diese Entscheidungen faktisch seiner vorherigen Zustimmung bedurften, er einzelne von LÖGER oder MMag. SCHMID an ihn herangetragene Vorschläge – wie DDr. Martin WAGNER oder DI Stefan PIERER – ablehnte, die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden Siegfried WOLF zusagte und als diese Besetzung wegen befürchteter Kritik iZm US-Sanktionen nicht gleich vorgenommen werden konnte, vorgab, dass jedenfalls vorerst Mag. Helmut KERN, MA Vorsitzender des ÖBAG-Aufsichtsrates werden solle;“

„3. über Vorhalt der von STRACHE an LÖGER gesendeten Chatnachricht vom 19. März 2019 (ON 3 S 38) und auf die Frage, was das für eine Vereinbarung gewesen sei, tatsachenwidrig angab, das könne alles sein, er habe keine Ahnung, was die vereinbart hätten, ob das eine Personalagenda oder Budgetfragen betroffen habe, obwohl er wusste, dass MMag. SCHMID und Mag. SCHIEFER ein Personalpaket betreffend Postenbesetzungen iZm der „FMA Neu“ und der ÖBAG sowie deren Beteiligungsunternehmen verhandelt und dazu einen „Einigungsentwurf“ verschriftlicht haben, der in einem zwischen LÖGER und DDr. FUCHS unterfertigten Sideletter festgehalten wurde.“

Auszüge aus dem Strafantrag der WKStA: 

Faksimile der Kurz-Anklage
© Faksimile
× Faksimile der Kurz-Anklage

Faksimile der Kurz-Anklage
© Faksimile

Faksimile der Kurz-Anklage
© Faksimile
 

Kurz drohen bis zu drei Jahre Haft

Weiters schreibt die WKStA: „Mag. Bettina GLATZ-KREMSNER, Sebastian KURZ und Mag. Bernhard BONELLI, MBA werden hiefür jeweils nach § 288 Abs 1 StGB, Mag. Bettina GLATZ-KREMSNER unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB, zu bestrafen sein.“ Konkret heißt das: Bei einer Verurteilung drohen Sebastian Kurz bis zu drei Jahre Haft. 

Kurz weist Vorwürfe der WKStA zurück

Kurz weist diese Vorwürfe zurück. Der NEOS-Abgeordnete Helmuth Brandstätter hätte seiner Frage im U-Ausschuss ganz bewusst versucht, den Sinn der vorhergehenden Antwort zu verdrehen. Das als „Nein“ protokollierte „Na“ sei eine Zurückweisung von Kurz dieser „Verdrehung“ gewesen, so die Verteidigungsstrategie des Ex-Kanzlers. Zum zweiten Vorwurf hatte Kurz bisher immer festgehalten dass die Aufsichtsräte von Finanzminister Löger ausgewählt und bestellt wurden – wenn Kurz selbst entschieden hätte, hätte er sich für andere Personen ausgesprochen.

Kurz greift WKStA an: "Rechtsstaatlich nicht unbedenklich"

Kurz holte am Freitag auf X (vormals Twitter) am Freitagmittag jedenfalls zum Gegenschlag gegen die WKStA aus: "Die Vorwürfe sind falsch und wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen."  Und dann als Breitseite Richtung WKStA: "Bemerkenswert und rechtsstaatlich nicht unbedenklich ist allerdings, dass die Medien einmal mehr vor den Betroffenen über den Verfahrensstand informiert sind."

21 (!) Zeugen beim Prozess geladen

Der Prozess, der am 18. Oktober im Wiener Straflandesgericht startet, hat es jedenfalls in sich: Laut dem oe24 vorliegenden Strafantrag werden insgesamt 21 (!) Zeugen geladen. Darunter das Who is Who der heimischen Polit- und Wirtschaftsprominenz: Unter anderem Ex-Finanzminister Hartwig Löger, sein Nachfolger Gernot Blümel, Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid, der Industrielle Sigi Wolf, Ex-Raiffeisen-Boss Walter Rothensteiner, Kurz-Berater Stefan Steiner und Ex-Vizekanzler HC Strache. Der Prozess wird im großen Schwurgerichtsaal im grauen Haus stattfinden.

In dem Akt werden neben den Falschaussage-Vorwürfen vor dem Untersuchungsausschuss auch noch einmal detailliert die Erkenntnisse der WKStA rund um die ÖBAG und die Casinos (CASAG) aufgelistet. Auch Dutzende Chat-Nachrichten werden in dem Akt abgebildet. So schreibt die WKStA etwa in dem Strafantrag: „Dass MMag. SCHMID KURZ als den faktischen Entscheidungsträger seiner Vorstandsbesetzung sah, verdeutlicht seine Bitte an KURZ, er solle ihn „nicht zu einem Vorstand ohne Mandate“ machen, ebenso deutlich wie seine Danksagung an KURZ nach erfolgter Bestellung („Dass du mir diese Chance gibst mich zu beweisen ist so grenzgenial“ und „Danke für alles“). Mit der Antwort von KURZ („kriegst eh alles was du willst“) legt dieser offen, dass er selbst der maßgebliche Entscheidungsträger für die Umsetzung der Wünsche von MMag. SCHMID ist.

WKStA nimmt in der Anklage auch ausführlich zur Beschuldigteneinvernahme von Kurz Stellung: „KURZ gab in seiner im Zuge gerichtlicher Beweisaufnahme abgelegten (ersten) Beschuldigtenvernehmung (ON 80) zusammengefasst an: Seine Aussage sei „vielleicht nicht immer perfekt formuliert“, „vielleicht könne man sie da und dort absichtlich falsch interpretieren“, sie sei aber im Wesentlichen richtig. Er sei mit dem Vorsatz, wahrheitsgemäß auszusagen, zur Befragung gegangen. An viele Details könne er sich auch nach Aktenstudium nicht erinnern. Als Bundeskanzler beschäftige man sich „mit den großen Fragen“; die ÖBAG und die Personalentscheidungen dazu seien für ihn „eine von hundert Sachen“ gewesen. Er unterstelle nicht, „dass man diese SMS bei der WKStA erfunden“ habe, manches erscheine ihm jedoch auch heute „total fremd“. An andere Dinge erinnere er sich „mittlerweile ganz gut, nachdem ich das alles gelesen habe“. Die Information von MMag. SCHMID, dass er sich bewerben wolle, sei zeitlich parallel mit Medienberichten erfolgt. Die Frage nach seiner Einbindung habe er als auf die Aufsichtsratssitzung bezogen verstanden. Hinsichtlich der Aufsichtsräte habe aber ohnehin LÖGER die Entscheidung getroffen. Dieser sei formal zuständig gewesen, habe aber auch faktisch selbst entschieden. Zur vorgelegten SMS und auf die diesbezügliche Frage nach der Vereinbarung zwischen MMag. SCHMID und Mag. SCHIEFER habe er „nach wenigen Sekunden Anschauen dieser SMS“ und „wahrscheinlich aus dem Affekt“ gemeint, dass er keine Ahnung habe. Zu den einzelnen vorgehaltenen Chatnachrichten befragt, verwies er zumeist auf seine fehlende Erinnerung. MMag. SCHMID habe sich „ein bisschen wichtig gemacht“, der laut seiner Nachricht erteilte offizielle Auftrag sei ihm nicht erinnerlich; es komme immer wieder vor, „dass Menschen sagen, ich mache das für den Bundeskanzler. Wenn in der Kantine wer was zum Essen holt und er will sich nicht anstellen, dann sagt er wahrscheinlich auch: ‚Ich hole das für den Bundeskanzler‘". Dieser Rechtfertigung stehen nicht nur die Aussage von MMag. SCHMID, sondern auch eine Vielzahl von (die Schilderung von MMag. SCHMID belegenden) Nachrichten und Terminen, entgegen.

Und weiter: „Die von KURZ geschilderte Befragungssituation („Ich bitte Sie schon um Verständnis: Das war eine vierstündige Befragung, extrem hitzig, in einer aggressiven Art und Weise geführt, mit Zwischenrufen, Unterstellungen, Suggestivfragen, Schachtelsätzen, Wortklaubereien, die nur ein Ziel hatten, nämlich mich in widersprüchliche Aussagen zu verstricken. Ich habe aber erstens im U-Ausschuss nicht die Unwahrheit gesagt und zweitens schon gar nicht vorsätzlich. [ON 65 S 7])“ konnte anhand der Aufnahme nicht nachvollzogen werden. Im Gegenteil: Es finden sich im Protokoll immer wieder Situationen, bei denen KURZ auf seiner Antwort beharrt, seine Antwort verteidigt und wiederholt oder auch klarstellt, dass seine Antwort sich nicht ändert, auch wenn es der Fragestellerin nicht gefallen möge."

Scharf vor geht die WKStA auch gegen ein Gutachten, das Kurz zu seiner Entlastung vorgelegt hatte: „Zu der von KURZ vorgelegten „Gutachterlichen Stellungnahme“ (ON 118 S 47 ff) des von ihm beauftragten Rechtsanwalts und Univ-Prof. DDr. LEWISCH ist anzumerken, dass diese in ihrem zentralen Punkt eine unrichtige Darstellung der herrschenden Rechtsmeinung enthält: So steht die Behauptung (ON 118 S 51) „Eine Aussage ist daher,wie in Lehre und Rsp unbestritten, dann falsch, wenn sie anders, als vom Zeugen angegeben - von seiner Wahrnehmung oder Erinnerung abweicht“ im diametralen Widerspruch zur tatsächlichen ständigen Rechtsprechung und ganz überwiegend vertretenen Lehre, wonach nur darauf abzustellen ist, ob der Aussageinhalt nicht den Tatsachen entspricht („Widerspruch zwischen Wort und Inhalt“; RIS-Justiz RS0096001 und Plöchl in WK2 StGB § 288 Rz 27 und 32 „In der ö Rsp zum StGB wird ebenfalls die objektive Theorie vertreten“). Die im Gutachten in Fußnote 9 für oben genannte Rechtsmeinung angeführte vermeintliche Belegstelle (ON 118 S 51 unten) enthält kein derartiges Zitat oder eines mit auch nur ähnlichem Inhalt (vgl Plöchl in WK2 StGB § 288 Rz 28).Sofern die als Privatgutachten zu qualifizierende „Gutachterliche Stellungnahme“ inhaltlich neben teils verfehlten Rechtsausführungen auch Spekulationen darüber enthält, wie Sebastian KURZ die an ihn gerichteten Fragen wohl verstanden habe, ist festzuhalten, dass diese Unterlage in der Hauptverhandlung nicht zu verlesen sein wird, weil ihr nach dem Gesetz keine prozessuale Bedeutung als Beweismittel zukommt.“

WKStA pocht auf harte Bestrafung

In ihrem Strafantrag spricht sich die Strafverfolgungsbehörde übrigens explizit gegen ein diversionelles Vorgehen aus, das beim Delikt der Falschaussage grundsätzlich möglich wäre. Im gegenständlichen Fall komme eine Diversion, mit der Kurz & Co einer Verurteilung - allenfalls gegen Auferlegung einer Geldbuße - einer Verurteilung entgehen würden, "mangels Verantwortungsübernahme und zusätzlich auch aus generalpräventiven Gesichtspunkten nicht in Betracht", meint die WKStA.

Pilz-Vertrauter wird Kurz-Richter

Wie oe24 enthüllte, wird den Prozess Michael Radasztics leiten, der seit Anfang Jänner als Richter am Landesgericht für Strafsachen tätig ist. In den vorangegangenen 15 Jahren war er bei der Staatsanwaltschaft Wien tätig, wo er ab 2012 als Gruppenleiter fungierte. Ursprünglich hatte Radasztics, der seine juristische Laufbahn als Rechtsanwalt begonnen hatte, gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser ermittelt und dann jahrelang das Eurofighter-Verfahren betreute, ehe ihm 2019 der Akt entzogen und der WKStA übergeben wurde. Nun wird Radasztics als Einzelrichter die Stichhaltigkeit der Anklage der WKStA gegen Kurz &Co zu beurteilen haben. Brisant: Radasztics gilt als enger Vertrauter von Peter Pilz ...

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.
OE24 Logo
Es gibt neue Nachrichten