Erdogan will Grenze für Flüchtlinge öffnen
Als Antwort auf eine EU-Resolution gegen die Türkei, lässt Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Muskeln spielen: Er könne die EU mit Flüchtlingen überschwemmen, wenn er will. Doch kann er wirklich? Tatsache ist, dass sich in der Türkei derzeit, Schätzungen zufolge drei Millionen Flüchtlinge befinden, die voraussichtlich nach Europa weiter wollen. Bei 2,7 Millionen von ihnen handelt es sich um Syrer.
3 Millionen Flüchtlinge warten in der Türkei
Wörtlich sagte der Autokrat vom Bosporus: „Wenn Sie noch weiter gehen, werden die Grenzen geöffnet.“ Dann wäre der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei vom März gestorben. Dadurch ist die Zahl der im Mittelmeer aufgegriffenen Flüchtlinge immerhin von rund 1.400 auf 100 pro Tag gesunken. Doch die heimische Politik reagiert gelassen. Auch die Schließung der Balkan-Route habe nämlich zu einer massiven Reduktion beigetragen.
Im Innenministerium verweist man auf das Grenzmanagement, das seit Monaten vorbereitet wird. Ähnlich Außenminister Kurz: Man werde sich „nicht erpressen“ lassen und müsse eben „eigenständig“ seine Grenze bewachen. SP-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil erklärt im ÖSTERREICH-Interview, er wolle die Sache nun gemeinsam mit anderen zentraleuropäischen Ländern „selbst in die Hand nehmen“ und österreichische Soldaten an die EU-Grenzen schicken.
Teuer ist der Deal allemal: 3 Milliarden für die Türkei sind darin vorgesehen, 60 Mio. übernimmt Österreich.
Doskozil: „Nehmen das jetzt selbst in die Hand“
ÖSTERREICH: Erdogan droht damit, den Flüchtlingspakt zu kippen und zigtausende Flüchtlinge Richtung EU zu schicken …
Hans Peter Doskozil: Wir hatten immer kritisiert, dass die EU sich durch den Deal mit der Türkei nur ein Zeitfenster erkauft hatte und gefordert, dass sie selbst für EU-Außengrenzschutz sorgen müsse. Die EU-Kommission hatte als Plan nur die Hoffnung, dass der Deal möglichst lange hält. So kann man nicht Politik machen. Die Türkei ist kein verlässlicher Partner.
ÖSTERREICH: Das heißt?
Doskozil: Wenn man sich mit einem totalitären Staat wie der Türkei ins Bett legt, darf man sich nicht wundern. Ich habe seit April gesagt, dass wir uns nicht darauf verlassen können. Die Verteidigungsminister Zentraleuropas haben einen gemeinsamen Grenzschutz vor. Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Serbien, Montenegro, Mazedonien, Bulgarien und wir wollen das umsetzen. Wir könnten auch helfen, die Grenzen in Griechenland zu schützen. Aber der jeweils betroffene Staat muss um Assistenz ansuchen.
ÖSTERREICH: Unser Heer könnte dort die Grenze schützen?
Doskozil: Wenn es bilaterale Anforderungen gibt, könnten wir auch die Grenzen dort schützen, sofern das neue Entsendegesetz im Parlament beschlossen wird. Im Moment leisten wir einen technischen und humanitären Einsatz.
ÖSTERREICH: Falls Erdogan den Deal platzen lässt, wie rasch könnten wir reagieren?
Doskozil: Eine Situation wie 2015 wäre dramatisch. Wir haben uns aber vorbereitet und könnten innerhalb weniger Tage handlungsfähig sein. Mazedonien hat die Grenze auch schützen können. Wir müssen und werden das auch schaffen. Die EU hätte aber längst aktiv werden müssen, statt sich Drohungen einer Diktatur auszuliefern. Aber wir haben das mit den genannten Staaten jetzt selbst in die Hand genommen.
Interview: Isabelle Daniel