Nationalratspräsidentin Barbara Prammer spricht offen über ihre Krankheit.
Wenn Barbara Prammer von ihrem Job als Nationalratspräsidentin spricht, leuchten ihre Augen. Die 59-Jährige wurde eben wieder zur ersten Frau im Hohen Haus gewählt. Seit nunmehr acht Jahren ist sie die zweithöchste Würdenträgerin der Republik. Sie sieht sich in ihrer Position als moralische Instanz, die darauf achtet, dass die Parlamentarier sich in ihrer Arbeit selbst ernst nehmen.
Zu 100 Prozent mache sie ihre Arbeit, so Prammer. Früher habe sie sogar 130 Prozent gegeben. Das sei nun nicht mehr möglich. Doch die Arbeit sei für sie „Teil ihrer Therapie“. Denn Barbara Prammer ist an Krebs erkrankt. Vor knapp acht Wochen machte sie ihre Krankheit öffentlich. Jetzt spricht Prammer im Interview mit ÖSTERREICH erstmals, wie sie gegen den Krebs kämpft: „Ich habe das Glück, dass ich die Chemotherapie gut vertrage.“
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Schwäche zulassen
Doch die Nebenwirkungen, mit denen sie zu kämpfen hat, zeigen das wahre Ausmaß ihrer Krankheit. Sie sei extrem kälteempfindlich: „In den Kühlschrank kann ich nur mit Handschuhen greifen“, erzählt sie und offenbart, dass sie nicht nur im Job eine starke Frau ist. Dennoch gesteht sie ein: „Aufgrund der Krankheit bin ich weicher geworden.“ Etwas, das sie erst lernen musste, war, Schwäche auch zuzulassen. Ihre Familie, ihre zwei Kinder und ihre betagten Eltern sind ihr hier wohl die wichtigste Stütze. Im Jänner wird Prammer 60 Jahre alt. Ihr Wunsch: „Es muss möglich sein, einigermaßen uneingeschränkt weiterzuarbeiten. Die Krankheit
darf nicht überhandnehmen.“
"Wie ein Film, von dem man denkt, es ist nicht meiner"
ÖSTERREICH: Sie haben vor rund acht Wochen Ihre Krebserkrankung öffentlich gemacht. Wie schwer fällt es Ihnen jetzt, ausführlich darüber zu sprechen?
Barbara Prammer: Womöglich ist man nie ganz an dem Punkt, an dem man mit einer gewissen Leichtigkeit darüber reden kann. Die Ärzte haben mir auch geraten, nicht zu sehr ins Detail zu gehen. Ich will ja nicht zum allgemeinen Medizinthema in Österreich werden. Aber für mich war es ganz einfach wichtig, schnell über meine Krebserkrankung zu informieren. Denn ich musste ja mein Leben verändern, kann manches nicht mehr so wie früher machen. Ich kann und will statt 130 Prozent oft nur noch 100 Prozent geben. Das wäre aufgefallen. Und ich wollte keine Spekulationen, sondern Klarheit. Darum habe ich gesagt, dass ich Krebs habe. Ich würde es auch aus heutiger Sicht wieder tun.
ÖSTERREICH: Was ist in Ihnen vorgegangen, als die Ärzte Sie mit der Diagnose Krebs konfrontiert haben?
Prammer: Es ist ein Schock, aber einer, der erst ganz langsam kommt. Es war damals alles wie ein Film, der neben einem abläuft und von dem man denkt, dass es nicht der eigene ist. Wie man sich da fühlt, können sicher nur Menschen verstehen, die selbst erkrankt sind.
ÖSTERREICH: Haben Sie zuvor beim Gang zum Arzt schon geahnt, dass etwas mit Ihnen nicht stimmt, dass Sie krank sind?
Prammer: Nein, es war wirklich Zufall. Es war Glück. Es war richtig viel Glück, dass die Erkrankung frühzeitig festgestellt wurde.
Nächste Seite: Teil 2 des großen ÖSTERREICH-Interviews mit Barbara Prammer.
ÖSTERREICH: Sie unterziehen sich seither einer Chemotherapie. Wie ist es möglich, gleichzeitig zu arbeiten?
Prammer: Die Ärzte haben mir gesagt, dass die Arbeit in meinem Leben ein wichtiger Strang, ja sogar Teil meiner Therapie ist. So geht es offenbar vielen, denn ich habe viele Zuschriften bekommen, von Menschen, die im Krankenstand gekündigt wurden oder aus dem Job gemobbt wurden, weil sie erkrankt sind. Die Arbeit hätte ihnen Kraft und Mut gegeben. Aber man darf das nicht verallgemeinern: Andere Kranke wiederum wurden nicht in die Pension entlassen, obwohl sie das gebraucht hätten. Ich will darauf aufmerksam machen, dass wir kranken Menschen Mut machen müssen, einzufordern, was gut für sie ist. Egoistisch zu sein, nur das zu tun, was ihnen hilft.
ÖSTERREICH: Aber das Arbeiten trotz Chemotherapie ist für viele unvorstellbar. Greift die Chemotherapie nicht Ihr Immunsystem an und schwächt Sie?
Prammer: Ich habe das Glück, dass ich die Chemotherapie gut vertrage. Aber natürlich gibt es Nebenwirkungen, mit denen ich zurande kommen muss. Ich leide beispielsweise unter großer Kälteempfindlichkeit. Hier im Parlament kümmern sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unglaublich gut um mich und schauen, dass Räume, in denen ich mich aufhalte, zumindest temperiert sind.
ÖSTERREICH: Wie sehr müssen Sie dadurch Ihren Alltag ändern – gerade jetzt, wenn es draußen kalt wird?
Prammer: Veranstaltungen im Freien sind für mich derzeit tabu und hier in meinem Büro ist immer gut geheizt. Aber es sind auch Kleinigkeiten: Ich kann beispielsweise nur mit Handschuhen in den Kühlschrank greifen.
ÖSTERREICH: Woher nehmen Sie die Kraft, das alles wegzustecken?
Prammer: Ich habe einen sehr engen Familien- und Freundeskreis, der mir beisteht und mich unterstützt. Meine Familie ist es auch, die mir sagt: Lass es zu, dass du nicht immer stark bist. Das ist auch neu für mich, dass ich aufgrund der Krankheit schon weicher geworden bin.
ÖSTERREICH: Haben Sie je gehadert mit der Welt, mit Gott und sich gefragt: Warum ich?
Prammer: Nein. Auch hier haben meine Ärzte vom ersten Augenblick an perfekt reagiert. Sie haben mir ans Herz gelegt, diese Frage nicht zu stellen. Es wäre, wie wenn man sich fragt, warum man ausgerechnet über die Straße gegangen ist und man von einem Auto überfahren wurde. So etwas passiert und warum, kann man nicht beantworten.
ÖSTERREICH: Am ersten Tag der neuen Legislaturperiode hat Frank Stronach Ihre Erkrankung am Rednerpult angesprochen. Was haben Sie dabei gefühlt?
Prammer: Das ist ihm wohl einfach passiert und ich nehme es ihm nicht krumm. Er hat mir auch schon mehrfach alles Gute und Gesundheit gewünscht. Aber man sieht, wie leichtfertig man Ausdrücke wie „Krebsgeschwür“ in den Mund nimmt und sich nichts dabei denkt. Dabei erkranken 50.000 Menschen in Österreich pro Jahr neu an Krebs. Sie und jene, die schon betroffen sind, nehmen solche Ausdrücke ganz anders wahr. Man wird hier einfach sensibler.
ÖSTERREICH: Sie feiern im kommenden Jänner Ihren 60. Geburtstag. Was ist Ihr größer Wunsch?
Prammer: Dass ich sehr gut weiterarbeiten kann. Und ich habe noch einen Wunsch: Es macht Mut und gibt Kraft, wenn die Bevölkerung Anteil nimmt. Aber was ich in keiner Weise möchte, ist in irgendeiner Weise Rücksichtnahme. Ich habe mich als Abgeordnete wieder beworben und bin als Präsidentin wiedergewählt worden. Dafür empfinde ich große Dankbarkeit. Daran, was ich in dieser Funktion mache, will ich gemessen werden. Ich will keine Extrawürste. Wo ich Dinge ändern muss, nehme ich mir das Recht, dies zu tun. Es muss möglich sein, einigermaßen uneingeschränkt weiterzuarbeiten. Die Krankheit darf nicht überhandnehmen.