Die ÖVP möchte gerichtlich klären lassen, wie es zur Veröffentlichung des geheimen Strategie-Papiers "Wahltag 1. Juni" im "profil" kam.
Der Streit in der Koalition wurde um eine weitere Facette bereichert: Kaum hat man öffentlich einen "Osterfrieden" verkündet, wirft die ÖVP jetzt der SPÖ Diebstahl vor. Konkret geht es um jenes "Strategiepapier", in dem die Volkspartei detaillierte Pläne für Neuwahlen skizziert hatte, und das Medien zugespielt worden war. Die ÖVP sieht in der SPÖ den Drahtzieher der Aktion.
Anzeige eingebracht
Der Kabinettschef von Vizekanzler Wilhelm
Molterer, Ralf Böckle, behauptet, dass das Papier aus seiner Aktentasche
entwendet wurde. Er hat bei der Staatsanwaltschaft Wien eine
Sachverhaltsdarstellung wegen "versuchtem Diebstahl im Ministerratssaal des
Parlaments" eingebracht - und verweist in dieser auf das Umfeld von
Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, berichtet "News". Der
Staatsanwaltschaft lag die Sachverhaltsdarstellung am Donnerstag noch nicht
vor, erklärte Sprecher Gerhard Jarosch.
Aktentasche beim Ministerrat geklaut
In der Anzeige wird davon
ausgegangen, dass das Papier vergangenen Mittwoch beim Ministerrat im
Parlament aus Böckles Aktentasche entwendet wurde - und ein Hinweis auf das
Umfeld von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer gegeben: Böckle habe die Tasche
einige Zeit unbeaufsichtigt im Ministerratssaal liegen gelassen. Bei seiner
Rückkehr sei sie verschwunden gewesen. "Letztlich ergab eine Nachfrage beim
Amtsdiener im Vorzimmer des Herrn Bundeskanzlers, dass die Tasche von Herrn
Böckle diesem vor kurzem von einem Mitarbeiter aus dem Kabinett des Herrn
Bundeskanzlers ausgehändigt worden war. Bei einem Blick in die Tasche hat
mein Mandant festgestellt, dass deren Ordnung verändert war", gibt der
Anwalt in der Sachverhaltsdarstellung an.
Täter hatte es "auf Strategiepapier abgesehen"
Die
Bedeutung des Vorfalls sei Böckle erst klar geworden, nachdem das "profil"
die Strategiepapiere der ÖVP "mit einem Papier, das eindeutig aus dem Inhalt
der Tasche stammte, auszugsweise abdruckte". Genau "das Papier fehlte" aber,
steht laut "News" in der Anzeige.
Der Anwalt sieht nicht nur den Tatbestand "Auskundschaftung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses" (Par. 123 StGB) verwirklicht. Er beantragte auch Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Diebstahls - weil der Verdacht bestehe, dass eine vorerst unbekannte Person die Tasche mit dem Vorsatz an sich genommen hat, sich durch Zuneigung von Inhalten der Tasche unrechtmäßig zu bereichern.
Kanzleramt weist Vorwurf zurück
Das Bundeskanzleramt weist
den vom Kabinettschef von Vizekanzler Wilhelm Molterer geäußerten Vorwurf
des Diebstahls des geheimen ÖVP-Strategie-Papiers "Wahltag 1. Juni" zurück.
"Ich schließe das für Mitarbeiter des Kabinetts aus", sagte Stefan Pöttler,
der Sprecher von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, am Mittwochnachmittag.