Aufruhr am Küniglberg
ORF-Redakteure über Stiftungsrat "entsetzt"
14.11.2010
In offenem Brief kritisieren sie Oberhauser-Abwahl und "befürchten das Schlimmste".
Die Abwahl von ORF-Informationsdirektor Elmar Oberhauser entlang genauer festzumachender Parteigrenzen im ORF-Stiftungsrat lässt eine Gruppe von ORF-Redakteuren gegen parteipolitische Einflussnahme im obersten ORF-Gremium protestieren.
Offener Brief an Stiftungsrat
In einem offenen Brief an den Stiftungsrat zeigen sich diese "entsetzt" über die Vorgänge. "Sie sind als Aufsichtsorgane für das größte Medienunternehmen des Landes verantwortlich. Laut ORF-Gesetz sind Sie in dieser Funktion unabhängig und 'an keine Weisungen und Aufträge gebunden'. Spätestens nach den Ereignissen der letzten Wochen müssen wir aber ernsthaft daran zweifeln, dass eine Mehrzahl von Ihnen diese Gesetzesstelle (§19 (2)) ernst nimmt", schreiben die Redakteure.
Für die ORF-Geschäftsführungswahl 2011 lasse "all das das Schlimmste befürchten", heißt es in dem Brief, der unter anderem gezeichnet ist von Redakteurssprecher Dieter Bornemann, "ZiB 2"-Chef Wolfgang Wagner oder "ZiB 2"-Moderator Armin Wolf. "Wer immer vom Stiftungsrat gewählt werden will, wird auch diesmal gezwungen sein, politische Kuhhändel einzugehen und Personalpakete zu schnüren." Und: "Wie sich in diesen Tagen wieder einmal gezeigt hat, gehorcht die Mehrheit im Stiftungsrat dem Diktat von Parteisekretariaten."
"Freundeskreise" machen Meinung
Dass die formal unabhängigen Stiftungsräte informell über "Freundeskreise" sehr wohl an Parteien gebunden sind, und das offensichtlich sehr effektiv, machen die Redakteure ebenfalls zum Thema: "Bis heute kann uns niemand erklären, warum die große Mehrheit von angeblich unabhängigen Stiftungsratsmitgliedern in parteipolitischen 'Freundeskreisen' engagiert ist. Warum diese 'Freundeskreise' sogar eigene 'Leiter' haben. Und warum alle Mitglieder dieser 'Freundeskreise' (mit ganz seltenen Ausnahmen) nie anders abstimmen als ihre 'Leiter'." Dies könne auch daran liegen, "dass mit offenen Handzeichen votiert werden muss", mutmaßen die Verfasser des Protestbriefs. Die Möglichkeit zur geheimen Abstimmung wurde bei der vorletzten Novellierung des ORF-Gesetzes abgeschafft.
"Fassungslos"
Bei der Abwahl Oberhausers sei dieses Stimmverhalten "wieder in bizarrer Deutlichkeit zu sehen" gewesen, kritisieren die Redakteure: Ohne eine einzige Ausnahme hätten sämtliche Mitglieder des "SPÖ-Freundeskreises" gemeinsam mit dem Grünen-Stiftungsrat für die Absetzung des Informationsdirektors votiert, während sämtliche Mitglieder des "ÖVP-Freundeskreises" (plus BZÖ und FPÖ) entweder dagegen gestimmt oder sich enthalten haben. "Dass anschließend auch noch die Vorsitzende des Stiftungsrates allen Ernstes in einer Pressekonferenz erklärt, von einer 'Lagerbildung'" könne keine Rede sein ('Welche Lager meinen Sie?') und alle Räte hätten sich völlig 'unabhängig' ihre Meinung gebildet, lässt uns fassungslos zurück."
ORF "noch nie so beschädigt"
Das Image des ORF sei "noch nie so beschädigt" gewesen "wie in diesen Tagen", kritisieren sie. Vor allem von der Vorsitzenden des Stiftungsrates, Brigitte Kulovits-Rupp, habe man sich "in dieser für den ORF so heiklen Situation unparteiische Vermittlung erwartet", heißt es in dem Brief. "Aber welchen Wert sie politischer Unabhängigkeit zumisst, hat sie wenige Tage zuvor in einem Interview mit dem 'Standard' unmissverständlich klar gemacht - mit ihrem Spott über 'politische Nullgruppler', die 'ihre Launen zum Programm erheben', während 'eine politische Heimat ... Menschen auch einordenbar' mache", so die ORF-Redakteure. "Weiß die Stiftungsratsvorsitzende nicht, dass ORF-JournalistInnen qua Gesetz sogar zur Unabhängigkeit verpflichtet sind?"