ORF sieht offenbar Rückendeckung nach Signalen aus der Politik.
Der ORF wird die von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zu Beweismittelzwecken geforderten Bänder in der Skinhead-Affäre nun doch nicht herausgeben. In jüngsten Signalen aus der Politik, wonach der Schutz des Redaktionsgeheimnisses schon bald gesetzlich stärker abgesichert werden könnte, sieht man im ORF offenbar Rückendeckung für diese Vorgangsweise. Auch wenn gesetzliche Bestimmungen und Gerichtsentscheidungen derzeit die Herausgabe der Bänder erfordern würden, bleibt der öffentlich-rechtliche Sender bei seiner Rechtsauffassung: Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft sei ein Eingriff in das Redaktionsgeheimnis, die Entscheidung des Oberlandesgerichts falsch. Man werde deshalb das unveröffentlichte und ausschließlich zu Recherchezwecken aufgenommene Drehmaterial nicht herausgeben.
Redaktionsgeheimnis als hohes Gut
"Das Redaktionsgeheimnis ist ein zentrales Element der Demokratie und gerade die Debatte der letzten Tage quer durch alle Medien hat dies eindrucksvoll belegt", erklärte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz am Sonntag der APA. "Nach den klaren Meinungsäußerungen von ORF, Zeitungsverlegern, Vertretern der Journalistengewerkschaft sowie zahlreichen Kommentatoren ist besonders bemerkenswert und zu begrüßen, dass wichtige Vertreter der Regierungskoalition Gespräche angekündigt und wichtige Vertreter der Opposition klare Unterstützung angekündigt haben. Es besteht nun offensichtlich breiter politischer Konsens über die Bereitschaft, das Redaktionsgeheimnis auch gegen fragwürdige einschränkende Interpretationen zu schützen und wie das Beichtgeheimnis zu behandeln. Bis zu einer eindeutigen Klärung der zukünftigen Rechtslage wird der ORF im Sinne eines Moratoriums die angeforderten Bänder daher nicht übermitteln, sondern - wie bisher auch - vor Zugriffen geschützt versiegelt aufbewahren", stellte Wrabetz fest.
Wrabetz bezog sich auch darauf, dass es sich aus Sicht des ORF und faktisch aller maßgeblichen Kollegen anderer Medien bei diesen Bändern um nicht zur Veröffentlichung vorgesehenes Recherchematerial handle, welches - egal ob in Bild- oder Printform - nicht einfach nachträglich von den Gerichten angefordert werden kann. Es gebe sonst keinen Schutz der unabhängigen und vertraulichen Recherche mehr. "Wir sind wohl berechtigt der Meinung, dass dieser Beschluss das Gesetz falsch interpretiert und jetzt zeigt sich, dass die Politik das im Grunde auch so sieht und auch die Meinung der ersten Instanz untermauert wird", so der ORF-Generaldirektor.
Medien-Staatssekretär Josef Ostermayer (S) hatte sich am Wochenende für eine Präzisierung und den stärkeren Schutz des Redaktionsgeheimmisses ausgesprochen und in Aussicht gestellt, dass die entsprechenden gesetzlichen Änderungen bereits mit Jahreswechsel in Kraft treten könnten. Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (V) zeigte sich zum Ostermayer-Vorstoß gesprächsbereit. "Verbesserungen sind immer möglich und willkommen", hieß es aus ihrem Büro.
ORF-General Wrabetz unterstrich die Bedeutung des Redaktionsgeheimnisses als Basis der redaktionellen Arbeit. "Wenn die Medien ihre gesellschaftlich so wichtige Aufgabe als vierte Gewalt und wesentlicher demokratischer Eckpfeiler ausüben können sollen, dann geht das prinzipiell nur unter dem Schutz des Redaktionsgeheimnisses", so Wrabetz. Der ORF-Chef hat deshalb entschieden, dass das versiegelt und gesichert in einem ORF-Tresor aufbewahrte Rohmaterial jetzt nicht voreilig vor einer etwaigen Gesetzesreparatur herausgeben wird.
"Aus grundsätzlichen Überlegungen und auf der Basis unserer prinzipiellen Haltung haben wir uns nach reiflicher Überlegung und in Abwägung aller Folgen dazu entschlossen, das Redaktionsgeheimnis als das höhere Gut zu betrachten, selbst wenn wir dafür auch Zwangsmaßnahmen in Kauf nehmen müssen - die Bereitschaft hat ja bereits der Informationsdirektor deutlich artikuliert und bei dieser Haltung bleiben wir auch", so der ORF-Generaldirektor. Oberhauser hatte am Freitag bei einer Diskussion am "Runden Tisch" des ORF erklärt, dass er "für den Erhalt der Meinungsfreiheit auch bereit sei, "ins Gefängnis" zu gehen.
Die Skinhead-Reportage, bei der ein ORF-Team um "Am Schauplatz"-Reporter Eduard Moschitz mehrere Tage zwei jugendliche Glatzköpfe begleitet hatte, sorgt bereits seit dem Frühjahr für Aufregung. Zum rechtlichen Disput kam es, weil Moschitz dabei mit den beiden Jugendlichen aus dem rechten Milieu auch eine Wahlveranstaltung der FPÖ in Wiener Neustadt besucht hatte. Dort gab es eine Begegnung mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der dem Redakteur vor laufender Kamera unterstellte, die Burschen zu einschlägigen rechten Parolen angestiftet zu haben, was aus den Aufnahmen aber nicht hervorgeht. Das Rohmaterial dieser Szenen machte der ORF öffentlich und stellte dieses auch der Staatsanwaltschaft zur Verfügung.
Bei der aktuellen Auseinandersetzung geht es um das übrige Drehmaterial der Reportage. Die Staatsanwaltschaft will offenbar prüfen, ob von den Jugendlichen an anderer Stelle Nazi-Sager getätigt wurden beziehungsweise ob etwaige Parolen, wenn es solche geben sollte, vom ORF-Reporter angeregt wurden. Im ORF betonte man zuletzt, dass auch auf dem nicht gesendeten Drehmaterial keine strafbaren Handlungen zu sehen seien, die eine gerichtliche Verfolgung nach sich ziehen würden. Ein gerichtliches Gutachten, das vergangene Woche bekanntgeworden war, bestätigte laut ORF darüber hinaus, dass die den Behörden bereits zugänglichen Aufnahmen des Drehs von Wiener Neustadt technisch nicht manipuliert worden seien. Die FPÖ hatte dem ORF eine Manipulation der Aufnahmen unterstellt.