Nach der Aufkündigung der Koalitionsverhandlungen durch ÖVP-Chef Karl Nehammer mit der SPÖ stehen nun mehrere Szenarien im Raum.
Neben einer Neuwahl könnte es eventuell doch zu einer Bildung einer Koalition zwischen FPÖ und ÖVP kommen - wohl abhängig davon, wer die ÖVP nach dem angekündigten Rücktritt Nehammers führen wird. Sollte es zur Neuwahl kommen, wäre ein Urnengang aufgrund des dafür vorgesehenen Prozedere und den damit verbundenen Fristen vor Mai nur schwer möglich.
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Die Frage, ob nach dem angekündigten Rücktritt Nehammers sich nun das Tor zur FPÖ öffnet, ist noch unklar. Nehammer hatte ja stets - sowohl vor der Nationalratswahl am 29. September als auch danach - ausgeschlossen, mit der FPÖ unter Parteichef Herbert Kickl eine Koalition einzugehen. Teile der ÖVP - vor allem aus dem Wirtschaftsflügel - sollen der blauen Option freilich nicht abgeneigt sein. Die SPÖ hatte eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen ohnehin stets ausgeschlossen.
Die FPÖ selbst gab sich am Samstag nach dem Aus der Gespräche noch etwas zurückhaltend. FPÖ-Chef Kickl bezeichnete sowohl Nehammer als auch SPÖ-Chef Andreas Babler, aber auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen, als "gescheitert". Letzteren sieht Kickl nun unter "Zugzwang". Van der Bellen hatte ja nicht Kickl - als Parteichef der stärksten Partei -, sondern mit Nehammer den Obmann der zweitplatzierten ÖVP mit der Regierungsbildung beauftragt, nachdem klar wurde, dass weder ÖVP noch SPÖ mit der FPÖ eine Zusammenarbeit als möglich erachteten.
Neuwahlen brauchen etwas Vorlauf
Sollte nach dem Aus der Dreier-Gespräche zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS vom Freitag und dem nunmehrigen Platzen auch der Zweier-Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ keine tragfähige Regierung zustande kommen, dann stehen Neuwahlen ins Haus, für die freilich etwas Vorlaufzeit nötig wäre.
Neben einem Neuwahlbeschluss des Nationalrats muss nämlich die Wahl per Verordnung im Bundesgesetzblatt ausgeschrieben werden. Zwischen dem darin fixierten Stichtag und der Wahl müssen 82 Tage liegen.
Zuallererst braucht es aber für die Auflösung des Nationalrats einen Beschluss desselben mit einfacher Mehrheit. Grundlage dafür ist eine Gesetzesinitiative für ein Bundesgesetz, mit dem die Gesetzgebungsperiode vorzeitig beendet wird. Dieses muss vom Bundespräsidenten beurkundet, vom Bundeskanzler gegengezeichnet und anschließend im Bundesgesetzblatt kundgemacht werden. Das Inkrafttreten des Bundesgesetzes bildet die Grundlage für die Ausschreibung von Neuwahlen. Theoretisch kann der Nationalrat auch durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag der Regierung aufgelöst werden, was in der Zweiten Republik jedoch noch nie vorgekommen ist.
Von Neuwahlbeschluss bis Wahl rund drei Monate
Zurück zum weiteren Prozedere: Nach dem Neuwahlbeschluss muss die Wahl von der Bundesregierung durch Verordnung im Bundesgesetzblatt ausgeschrieben werden. Diese muss den Wahltag enthalten, der von der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates festgelegt wird. Zudem muss die Verordnung den Stichtag enthalten, der am zweiundachtzigsten Tag vor dem Wahltag liegen muss. Von ihm aus beginnen diverse Fristen zu laufen, also etwa jene zur Bestellung der Sprengelwahlleiter, der Beisitzer und zur Konstituierung der Wahlbehörden. Aber auch diverse Voraussetzungen des Wahlrechts, der Wählbarkeit oder auch das Sammeln der Unterstützungserklärungen der kleineren Parteien bestimmen sich von ihm aus. Vom Neuwahlbeschluss bis zur Wahl dauert es also rund drei Monate.
Der Nationalrat kommt am 22. Jänner zu seiner nächsten geplanten Sitzung zusammen. Freilich könnte davor eine Sondersitzung von 20 Abgeordneten oder allen Abgeordneten eines Klubs einberufen werden, sofern dieser nicht über 20 Abgeordnete verfügt. In diesem Fall muss der Nationalrat innerhalb von acht Werktagen zusammentreten. Theoretisch wäre dies also noch vor dem 22. Jänner möglich.
Zahlreiche Schritte nötig
Jedenfalls muss der Neuwahlantrag in einer Sitzung eingebracht und dann dem Verfassungsausschuss zugewiesen, dort behandelt und im Plenum abgesegnet werden. Das geht sich an zwei Plenartagen aus; notfalls könnte mit einer Fristsetzung auch ein Ausschussbeschluss umgangen und der Antrag noch am Tag der Einbringung abgesegnet werden.
Hat dann der Nationalrat seine Auflösung beschlossen, muss der Ministerrat die Verordnung mit dem Wahltermin und dem Stichtag 82 Tage davor beschließen. Diese Verordnung muss auch die Bitte an den Hauptausschuss enthalten, den Termin zu bestätigen - und das Ersuchen an den Bundespräsidenten, diesen durch Kundmachung im Bundesgesetzblatt öffentlich zu machen.
Geht man davon aus, dass das parlamentarische Prozedere und die Kundmachung jedenfalls zwei bis drei Wochen in Anspruch nimmt, ist ein Neuwahltermin vor Mai nur schwer möglich. Für einen Urnengang am 27. April fiele der Stichtag auf den 4. Februar. Für eine Wahl am ersten Mai-Wochenende (4. Mai) würde der Stichtag auf den 11. Februar fallen.