Der führende Rechtspopulismus-Experte Cas Mudde sieht den neuen SPÖ-Chef Andreas Babler als möglicherweise wegweisend für Europas Sozialdemokratie.
Babler sei "jemand, der erstmals das politische Narrativ verändern kann", sagte Mudde im APA-Interview mit Blick auf dessen klare Linkspolitik. "Es ist unklar, ob er erfolgreich sein wird, aber zumindest hat er es versucht", sagte der niederländische Politologe. Dagegen sei ein Rechtskurs wenig erfolgversprechend.
Mudde war für einen Vortrag an der Central European University (CEU) nach Wien gekommen. Er berichtete, dass erst kürzlich die schwedischen oder flämischen Sozialdemokraten beim Thema Migration einen rechten Kurs eingeschlagen haben. Der neue SPÖ-Chef Babler hingegen "geht nicht in Richtung Nativismus", sagte der Politikwissenschafter unter Verwendung des politikwissenschaftlichen Fachbegriffs für ausländerfeindlichen Nationalismus.
Wähler mobilisieren
"Es gibt keine empirische Evidenz, dass diese Strategie jemals funktioniert hat", kommentierte Mudde die im Vorfeld des SPÖ-Parteitags von Unterstützern des burgenländischen Landeshauptmanns Hans Peter Doskozil und zahlreichen Meinungsführern offensiv vertretene Auffassung, die SPÖ könnte mit einer rechtslastigen Migrationspolitik der FPÖ Wähler abspenstig machen. Es sei nämlich ein "Mythos", dass Sozialdemokraten besonders viele Wähler an rechtspopulistische Parteien verloren hätten. Tatsächlich sei der Abgang eher zu konservativen Parteien und Grünen erfolgt.
Die politikwissenschaftliche Forschung zeige zudem, dass sich potenzielle sozialdemokratische Wähler "mehrheitlich eine mutige Linkspolitik" wünschten. Eine solche könnte auch jüngere Nichtwähler mobilisieren, während das Thema Migration vor allem älteren Wählern wichtig sei. Dabei hätten sozialdemokratische Parteien schon jetzt eine "sehr alte Wählerschaft". "Direkt gesagt, haben diese Wähler vielleicht noch vier Wahlen vor sich." Deshalb sei es sinnvoller, jüngere Wähler anzusprechen, argumentierte Mudde.
Dazu komme, dass das Thema Migration in Österreich schon zwei rechtsgerichteten Parteien angeboten werde. "Warum sollte man da noch die SPÖ wählen, wenn man die FPÖ und ÖVP hat?" Mudde räumte in diesem Zusammenhang auch mit dem viel zitierten dänischen Modell auf. Die dortigen Sozialdemokraten seien in den Umfragen mittlerweile wieder auf dem Stand, den sie vor ihrem Rechtsruck hatten. Der Erfolg der dänischen Sozialdemokraten sei somit "nur ein kurzfristiger" gewesen, doch mit langfristigen Folgen für den politischen Diskurs. Schließlich würde nun praktisch das gesamte dänische Parteienspektrum eine Politik des Nativismus vertreten.
ÖVP ist Problem für die Demokratie
Mudde beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit der Erforschung des Rechtspopulismus. Seine Definition, wonach rechtspopulistische Parteien autoritär, nativistisch (ausländerfeindlich-nationalistisch) und populistisch sind, hat sich international stark etabliert. Im APA-Gespräch räumte er aber freimütig ein, dass es mittlerweile kaum noch möglich sei, klare Trennlinien zwischen rechten und rechtspopulistischen Parteien zu ziehen.
Der Forscher will dabei das Scheinwerferlicht vor allem auf Traditionsparteien lenken, die aus opportunistischen Gründen eine demokratiegefährdende rechtspopulistische Politik vertreten. "Die ÖVP ist ein wesentliches Problem für die liberale Demokratie in Österreich", konstatierte Mudde. Der frühere ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz sei "genauso gefährlich für die liberale Demokratie gewesen wie (der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian) Strache", sagte er. Heute könne man der ÖVP nur noch empfehlen, "dass sie nicht zu den Bedingungen der FPÖ als Juniorpartner in eine Regierung eintritt".
Nichts hält Mudde von Versuchen, rechtspopulistische Parteien zu normalisieren. "Das funktioniert nicht, und die ÖVP-FPÖ-Regierung war eines der besten Beispiele dafür", sagte der Politikwissenschafter unter Verweis auf die politischen Eskapaden des damaligen Innenministers und jetzigen FPÖ-Chefs Herbert Kickl. Rechtspopulistische Parteien seien "immer eine Bedrohung" für die liberale Demokratie, "auch wenn sie sich nett geben". Verfehlt sei auch die Vorstellung, man könne solche Parteien als Regierungspartner "kontrollieren". Diesbezüglich verwies Mudde auf den am Montag verstorbenen italienischen Ex-Premier Silvio Berlusconi, dessen Forza Italia zuletzt von zwei rechtspopulistischen Parteien überflügelt wurde. Nach dem Tod ihres Gründers werde wohl nur noch die Hälfte der auf acht Prozent geschrumpften Wählerschaft übrig bleiben.
"Das grundlegende Problem ist nicht die radikale Rechte, sondern die Schwäche der liberalen Demokratie", betonte Mudde. Statt rechtspopulistische Parteien zu bekämpfen, müsse man die liberale Demokratie stärken. Dafür gelte es, sich umfassend mit politischen Problemen auseinanderzusetzen und nicht nur auf Basis der von den rechtspopulistischen Parteien vorgegebenen Agenda. Wenn man "nur noch am Freitag" über Migration spreche, werde das Thema kleiner, und mit ihm auch die rechtspopulistischen Parteien, weil sie bei anderen Themen "weniger zu sagen haben". Für die meisten Menschen sei Migration nur deshalb so wichtig, weil so viel darüber gesprochen wird, betonte er.
Die FPÖ sieht er im Europavergleich nicht als Ausnahmefall an. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil gebe es auch in anderen Ländern stabile und traditionsreiche rechtspopulistische Parteien. So reiche etwa die französische Rassemblement National oder der belgische Vlaams Belang bis in die 1970er-Jahre zurück. Die FPÖ verdanke ihre Stabilität einer starken Organisationsstruktur, die sie auch durch Krisen getragen habe. Die Besonderheit der FPÖ sei, dass sie mehrmals von der ausgegrenzten zur Mainstream-Partei und wieder zurück gewechselt sei. So eine "Jo-Jo"-Entwicklung habe es sonst nirgends gegeben, so Mudde.