Nach langen Verhandlungen und immer noch von Kritik der Ärzte begleitet, wurde am Dienstag im Nationalrat die Einführung der Elektronischen Gesundheitsakte ( ELGA
) beschlossen - im wesentlichen von SPÖ und ÖVP. Zwei Abweichler stimmten wie schon im Ausschuss nun auch im Plenum anders als die Parteikollegen: ÖVP-Abg. Karin Hakl dagegen, der Grüne Gesundheitssprecher Kurt Grünewald dafür. Gesundheitsminister Alois Stöger (S) pries ELGA als "großen Meilenstein". Die ÖVP sieht "Chancen und Risken", die Oppositionsparteien insgesamt mehr Risken.
Stöger zweifelt nicht im geringsten an dem von ihm ausverhandelten elektronisches Informationssystem für Ärzte und Patienten. Es bringe einen "gewaltigen Schritt im Datenschutz", denn "nur der Arzt, dem Sie vertrauen, kann auf Ihre Gesundheitsdaten zugreifen", für die begrenzte Zeit von 28 Tagen, wandte er sich an die Patienten. Die Qualität im Gesundheitswesen werde gestärkt, die Versorgung optimiert. Auf die massive Kritik der Ärzte ging der Minister indirekt ein - indem er sich bei jenen Ärzten bedankten, "die mir in den letzten Tagen dazu gratuliert haben".
Differenzierter sieht die Sache ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger. Ursprünglich ein Gegner, pries er ELGA nun, nach 18 Monaten Verhandlung, zwar als "international sehr herzeigbares Projekt". Für ihn ist ELGA jedoch immer noch "Chance, aber auch Risiko". Als "Informationsschiene" biete sie die Möglichkeit, die Behandlung zu verbessern. Das Risiko bestehe beim Datenschutz. Hier habe man aber viele "Bremsen" eingezogen - und Patienten und Ärzten hätten ja die Möglichkeit, herauszuoptieren. Als nicht ausreichend erachtet seine Fraktionskollegin Hakl die "Bremsen". Sie stimmte aus Datenschutz-Bedenken - weil die Daten nicht verschlüsselt werden - dagegen.
Kein gutes Haar ließ FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch-Jenewein an ELGA. Sie kritisierte den "schwierigen" Ausstieg, die Opt-Out-Möglichkeit sei "reine Augenauswischerei". Außerdem befürchtet sie, dass mit der geplanten EU-Datenschutzverordnung die Gesundheitsdaten der Österreicher "in ganz Europa einsehbar" werden: Die Österreicher würden "zum gläsernen Patienten in ganz Europa".
Dem trat SPÖ-Abg. Johann Maier entgegen: Die EU-Verordnung werde nicht dazu führen, dass Daten in Echtzeit abgerufen werden können. Sie ermögliche nur, dass sie für Gesundheitszwecke verarbeitet werden können. SPÖ-Abg. Sabine Oberhauser wandte sich gegen "Panikmache seitens der FPÖ" - und versuchte, die Ärzte zu beruhigen: Heute werde nur das Rahmengesetz beschlossen. Bis 2016 habe man Zeit, gemeinsam ein benutzerfreundliches System zu entwickeln.
Für die Grünen ist ELGA eine "schwierige Sache", wie Karl Öllinger sagte. Gesundheitssprecher Kurt Grünewald stimmt zu, weil er hofft, dass ELGA bis 2016 noch ausreichend verbessert wird. Die übrigen Abgeordneten lehnen ELGA an sich ab. Nicht der Nutzen für den Patienten, sondern ein "undefiniertes Interesse einer Gesundheitsverwaltung" stehe dabei im Mittelpunkt, kritisierte Öllinger. Er begrüßte allerdings, dass gleichzeitig Gesundheitsdaten besser geschützt werden.
Für das BZÖ birgt ELGA "mehr Risken als Chancen", stellte Abg. Ursula Haubner unter Hinweis auf den Datenschutz, die Opt-Out-Regelung und die "nicht abschätzbaren" Kosten fest. Sie warf dem Gesundheitsminister vor, trotz aller Kritik ein "teures Prestigeobjekt" umzusetzen.
Das Team Stronach sieht ELGA prinzipiell als "positive Sache" - stimmt aber dennoch nicht zu. Denn man dürfe eine solche Regelung nicht einfach "drüberziehen, ohne zu wissen, wie sich das in der Praxis umsetzen lässt", verlangte Abg. Robert Lugar, die Bedenken der Ärzte ernst zu nehmen.
Abgestimmt wurde namentlich. 171 Stimmen wurden abgegeben, 102 waren für, 69 gegen ELGA.
Der Zeitplan Spätestens Ende 2013, Anfang 2014 sollen alle Patienten Zugang zu ELGA (und zur Widerspruchsstelle) haben, ab 2015 müssen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen teilnehmen, ab 2016 alle Vertragsärzte und Apotheken (im Rahmen der E-Medikation) und ab 2017 die Privatkrankenanstalten. 2022 folgen die mit Respektabstand die Zahnärzte. Die Daten bleiben dezentral gespeichert und werden über ELGA zusammengeführt.
Ärzte müssen zwar Labor- und Radiologiebefunde sowie verschriebene Medikamente eingeben, ELGA aber nicht verpflichtend anwenden. Allerdings können sie haftbar gemacht werden, wenn sie aufgrund einer Nicht-Verwendung einen Fehler machen.
Auf die Daten zugreifen darf neben den Patienten nur, wer einen Behandlungskontext nachweisen kann - und zwar für 28 Tage. Damit soll etwa das Schnüffeln in Promi-Akten unterbunden werden. Zugriffe werden protokolliert, der Datenverkehr soll über gesicherte Netze laufen. Patienten können (via Bürgerkarte eingeloggt) sehen, wer auf ihre Daten zugegriffen hat. Bei Missbrauch drohen Strafen.
Für Arbeitgeber, Betriebsärzte, Behörden, Versicherungen und Kassen-Chefärzte sind die Daten tabu, der Zugriff soll auch technisch nicht möglich sei. Patienten können einzelne Befunde, Behandlungsfälle oder Medikamente ausblenden lassen.
Mehr Sicherheit? Das Gesundheitsministerium verspricht den Patienten einen unkomplizierten und sicheren Zugriff auf ihre Befunde, mehr Sicherheit bei Medikamentenverschreibungen und eine höhere Behandlungsqualität durch die besser verfügbaren Daten. Den Ärzten - die bis zuletzt gegen ELGA Sturm gelaufen sind - wird die Versorgung mit standardisierten Daten und damit Hilfe bei der Fehlervermeidung versprochen. Auch Doppelbefunde und Doppelmedikationen sollen zurückgedrängt werden.
Die Patienten müssen für die Teilnahme nicht zusätzlich zahlen. In einer volkswirtschaftlichen Betrachtung listet das Gesundheitsministerium ab 2018 laufende Kosten von 18 Millionen Euro jährlich auf, dem stehen Kostendämpfungseffekte von rund 129,8 Mio. Euro, davon 95,8 Mio. Euro für das Gesundheitssystem, gegenüber. Bis 2017 müssen aber erst einmal rund 130 Mio. Euro investiert werden. Für Ärzte, Apotheken und Privatkrankenanstalten ist eine Anschubfinanzierung (insgesamt 15 Mio. Euro) vorgesehen.